Zensur in Serbien

Zensieren und plagiieren

In Serbien zensiert die nationalistische ­Regierung unabhängige Medien, die es gewagt haben, sie zu kritisieren.

Aleksandar Vučić witterte in der vergangenen Woche eine Verschwörung gegen Serbien und sich selbst. Er habe »Beweise« dafür, dass »viele in der internationalen Gemeinschaft, auch Botschafter«, serbische Medien unter Druck setzten, um »eine Kampagne gegen mich und meine Familie« zu führen, wütete der Ministerpräsident. »Aber ihr werdet mich nicht zum Schweigen bringen und ich werde niemals schweigen. Denn ich sage die Wahrheit – und sie lügen.«
Nicht einmal zwei Monate ist es her, dass die nationalpopulistische Serbische Fortschrittspartei (SNS) bei den Parlamentswahlen mit 50 Prozent der Stimmen an die Regierung kam. An ihrer Spitze steht Vučić, früherer Handlanger des mutmaßlichen Kriegsverbrechers Vojislav Šešelj. Doch trotz der hohen Popularität reagiert die Regierung empfindlich auf Kritik. Es reichte, dass sich die Medienbeauftragte der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE), Dunja Mijatović, angesichts anhaltender Cyber-Attacken auf unabhängige Webportale besorgt über den Zustand der Pressefreiheit in Serbien äußer­te. Vučić warf Mijatović vor, »Lügen« zu verbreiten.
Er verlangte eine Entschuldigung von der OSZE. Dieser angebliche Angriff auf Serbien beschäftigte die Medien und das Parlament tagelang.

Dabei hätte die Regierung Wichtigeres zu tun. Auf bis zu zwei Milliarden Euro werden die Schäden des Maihochwassers geschätzt. Eine Katastrophe für das arme Land – und auch für Vučić. Denn seine Selbstdarstellung als strenger Krisenmanager geriet in den Live-Übertragungen der Sitzungen des Krisenstabs zur Farce – viele machten sich über seine Arroganz lustig. Und auch das Krisenmanagement war mehr als chaotisch: Hilfslieferungen wurden unterschlagen, die Kleinstadt Obrenovac wurde zu spät evakuiert, mindestens ein Dutzend Menschen ertranken.
Nun greift der Staat hart durch. Wegen des Vorwurfs der »Verbreitung von Panik« saßen drei Menschen neun Tage lang in Untersuchungshaft; sie hatten auf Facebook und Twitter über die Zahl der Todesopfer in Orbrenovac spekuliert. Ihnen drohen Haftstrafen von bis zu fünf Jahren. Die Botschaft ist klar: Jede Äußerung, die Vučić nicht passt, kann ein Verbrechen darstellen. Die Regierung ist bekannt dafür, Kritikerinnen und Kritiker mundtot zu machen. Regelmäßig machen die regierungsnahen Medien Stimmung gegen Oppositionelle, in gewisser Weise war die Flut da ein Glücksfall: Wer nicht mit beiden Armen im Schlamm steckte oder wer den Krisenstab kritisierte, wurde als »Volksverräter« verunglimpft. Wegen kritischer Berichte über den Umgang der Behörden mit der Hochwasserkatastrophe wurden die Websites »Druga strana« und »Teleprompter« von Hackern angegriffen, ein Blog auf der Website der Tageszeitung Blic wurde gelöscht.

Der Druck auf Journalistinnen und Journalisten ist größer geworden, Medienschaffende berichten von direkter Einflussnahme vor allem auf lokaler Ebene, Anrufen in den Redaktionen und Ermittlungen gegen Journalistinnen und Journalisten. Die Privatisierung der ehemals jugoslawischen Medien ist noch immer nicht abgeschlossen, die Transformation verläuft schleppend und intransparent. In den staatlichen Medien, etwa dem Staatsfernsehen RTS, hat sich in den vergangenen Jahren nichts getan. So wie es im serbischen Parlament keine relevante Opposi­tionspartei mehr gibt, ist auch die Presse regierungsnah. Der Staat und staatsnahe private Firmen sind die größten Anzeigenkunden. Die internationale Wirtschaftskrise vergrößerte die Abhängigkeit der Medien von Staatsgeldern.
»Wir beobachten, dass die Politik mehr und mehr Einfluss auf die Medien nimmt, und die Regeln des Spiels stehen noch nicht fest«, sagt Sonja Seizova von der Presseabteilung der OSZE Serbien. Ein Hauptaugenmerk der Organisation liegt auf der Freiheit der Medien und der Beobachtung des Rückzugs des Staates aus diesen. »Medienfreiheit gilt hier nicht als begrüßenswerter Zustand«, sagt Gordana Janković vom Medienbüro der OSZE. Die EU-Kommission betonte angesichts der harschen Reaktion Vučićs auf die Kritik der OSZE, dass sie für eine Aufnahme Serbiens in die EU Medienfreiheit voraussetze. Mittlerweile wird zumindest auf einigen unabhängigen Webportalen eine breite Diskussion über Zensur und Selbstzensur geführt. In Belgrad wurden in den vergangenen Tagen große Diskussionspanels organisiert, bei denen sich Medienleute, aber auch Diplomatinnen und Diplomaten zu Wort meldeten. Erschreckend war für sie vor allem die Intoleranz des Staates gegenüber jeglicher Kritik seit der Flutkatastrophe. »Es war verboten, einige Fragen zu stellen«, resümiert Svetlana Lukić, Redakteurin der Website Peščanik, eines unabhängigen Portals mit kritischen Meinungstexten. Sie betont, dass es in der derzeitigen Situation keinen Unterschied zwischen Zensur und Selbstzensur gebe.

Am 1. Juni erschien auf Peščanik ein wissenschaftlich fundierter Artikel, der nahelegt, dass Innenminister Nebojša Stefanović, ein Vertrauter Vučićs, seine Doktorarbeit in großen Teilen abgeschrieben hat. Danach war die Website tagelang nicht verfügbar. »45 Minuten nachdem der Text online ging, wurde unser Server massiv attackiert«, berichtet Lukić. »Der Text ist der Grund für die Attacken.« Die ersten DDoS-Attacken kamen ausgerechnet vom Server der Megatrend-Universität, jener Privatuniversität, die Stefanovićs Dissertation betreute. Als Lukić der Polizei die Daten der Cyber-Attacken vorlegte, mutmaßte diese, der Megatrend-Server sei gehackt worden. »Seltsam, dass sie gleich zu dieser Annahme kommen«, sagt Lukić. Die DDoS-Attacken halten nun seit zwei Wochen an, mittlerweile kommen sie aus mehreren Ländern, die Angreifer müssen entsprechend organisiert sein.
Die Universität Megatrend ist die größte und älteste Privatuniversität Serbiens, sie ist für ihre Regierungsnähe bekannt, viele Parlamentsmitglieder promovierten dort, Mitglieder der Regierungspartei SNS lehren an der Universität. »Megatrend ist die Universität der politischen Elite«, sagt der Soziologe Jovo Bakić. »Sie wollen gebildeter erscheinen als sie sind.«
Nun trat der Direktor von Megatrend, Mića Jovanović, zurück. Der Bildungsminister hatte ihn dazu gedrängt, nachdem bekannt geworden war, dass Jovanović nie einen Doktortitel an der Londoner Universität LSE erworben hat, ihn aber seit Jahren führt. Hinzu kommt, dass er der Promotionskommission vorstand, die die Doktor­arbeit Stefanovićs durchwinkte. Die Causa Stefa­nović und sein erzwungener Rücktritt seien fabriziert worden, »um die Staatsführung fertig zu machen«, so Jovanović. Auch Megatrend gerät nun unter Druck: Jetzt soll die Kommission, die über die Zulassung privater Universitäten bestimmt, entscheiden, ob Megatrend die Lizenz entzogen wird – rund 2 000 Doktorarbeiten könnten so ihre Gültigkeit verlieren. Dass Konsequenzen gezogen werden und Stefanović seinen Posten verliert, glaubt allerdings kaum jemand. »Die Öffentlichkeit ist nicht reif genug, um solche Fälle zu ahnden«, befürchtet Bakić. Dennoch steht die Regierung unter Druck: Das mutmaßliche Plagiat, aber auch die Enthüllung eines pseudoakademischen Systems, das systematisch die Mitglieder der Regierungspartei schmiert, könnte der gesamten serbischen Führung schaden. »Es ist seltsam, wenn eine außerordentlich populäre Regierung so nervös reagiert«, sagt Bakić. »Das ist ein Anzeichen dafür, dass etwas faul ist.«
Tatsächlich sprengt die amateurhafte Reaktion der serbischen Regierung auf die nicht vom Pla­giatsfall Stefanović zu trennenden Zensurvorwürfe jede Dimension. Während im Kosovo gewählt wurde, beschäftigte sich das Parlament mit Websites, von denen es nie zuvor gehört hatte. »Das sagt etwas über die Situation in diesem Land«, meint Lukić. Die EU und Deutschland schweigen indes, solange Serbien seine Hausaufgaben macht. Die bestehen vor allem in der Anerkennung des Kosovo – Vučić aber könnte genau die eines Tages seine absolute Mehrheit kosten.