Diskriminierung von Übergewichtigen auf dem Arbeitsmarkt

Mitarbeiter nach Maß

Zu dick für den Job? Die Klage einer angeblich übergewichtigen Frau wurde vom Arbeitsgericht abgewiesen.

Vor den Türen eines großen Bildungsinstitutes in Berlin-Schöneberg steht die Angestellte Sabine H. und raucht. Das ist ihre Sache, aber Sabine H. ist die Gesundheitsbeauftragte des Betriebs und ihre Aufgabe ist es, das Gesundheitsbewusstsein der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu stärken. Einige sind deshalb der Ansicht, mit Sabine H. habe man den Bock zur Gärtnerin gemacht. »Ständig gibt es Witze auf meine Kosten«, berichtet Sabine H. Sie nimmt die Vorwürfe aber gelassen auf. »Ich finde«, sagt eine Angestellt, »man sollte schon mit seiner Person für die Inhalte seiner Tätigkeit stehen, zumindest dann, wenn die Inhalte richtig sind und es sich um einen qualifizierten Arbeitsplatz handelt.«
Soll also jemand, der für Gesundheitsfragen in einem Betrieb zuständig ist, mit gutem Beispiel vorangehen? Soll er nicht rauchen, Alkohol nur in Maßen konsumieren, muss er Sport treiben und darf nicht übergewichtig sein? Und sollen Anforderungen dieser Art auch für andere Stelleninhaber gelten, insbesondere in Firmen oder Vereinen, die im Bereich der Gesundheitsfürsorge und -beratung tätig sind? Liegen dafür sachliche Gründe vor oder handelt es sich um nicht akzeptable Eingriffe in die Freiheit des Individuums? Handelt es sich um Diskriminierung, wenn Arbeitssuchende abgelehnt werden, die diesen Kriterien nicht genügen?
Über solche Fragen wird wieder einmal diskutiert, seit das Darmstädter Arbeitsgericht am 13. Juni die Klage einer 42jährigen Frau abwies, die auf 30 000 Euro Schmerzensgeld geklagt hatte, weil sie vom Arbeitgeber für zu dick befunden und als Bewerberin abgelehnt worden war. »Eine gütliche Einigung«, berichtete die Zeit über den Prozessausgang, »hatte sie zuvor abgelehnt. Die Bewerberin hatte sich 2012 bei einem im Gesundheitsbereich tätigen Verein um eine leitende Position beworben. Das erste Vorstellungsgespräch war offenbar positiv verlaufen. Doch dann habe es geheißen, das Gewicht der Bewerberin sei für den Arbeitgeber problematisch, da dieser als gemeinnütziger Verein für eine gesunde Ernährung und Sport werbe. Eine übergewichtige Führungskraft würde insofern nicht zum Außenbild der propagierten Werte passen.«
Der Fall zeigt die Grenzen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) auf, auf das sich die Klägerin und ihr Anwalt berufen hatten. Das AGG wurde im April 2006 verabschiedet, zugleich wurde begonnen, den Unternehmen die sogenannte Diversity-These schmackhaft zu machen, der zufolge eine heterogene Belegschaft leistungsfähiger sei als eine homogene. Arbeitssuchenden soll es seitdem sogar möglich sein, sich anonym um einen Arbeitsplatz zu bewerben.
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz soll Menschen im Privatleben, Beschäftigte und Arbeitssuchende davor schützen, wegen ihrer Herkunft, ihres Geschlechts, wegen einer Behinderung, ihrer weltanschaulichen, religiösen oder sexuellen Orientierung oder wegen ihres Alters benachteiligt zu werden. Das AGG möchte vor sexueller Belästigung schützen, es zeigt Beschwerdemöglichkeiten auf und regelt die Ansprüche im Fall einer Zuwiderhandlung. Diskriminierung wegen des Erscheinungsbildes beziehungsweise wegen Übergewichts ist im AGG kein Thema, dennoch hatten die Klägerin und ihr Anwalt mit dem AGG argumentiert.
Aber ein Gesetz kann nicht zur Anwendung gebracht werden, wenn es, wie im gegebenen Fall, nicht zutrifft. Das Gericht konnte also keinen Verstoß gegen das AGG feststellen, wies die Klage ab und gab die Frage an den Gesetzgeber zurück, ob ein Mensch sich wehren kann, der sich wegen tatsächlichen oder angeblichen Übergewichts diskriminiert fühlt – die Klägerin soll bei einer Körpergröße von 1,70 Meter 83 Kilo wiegen und Kleidergröße 42 tragen, was nicht wirklich dick ist. Es ist eine politische Frage, die an diesem 13. Juni in Darmstadt verhandelt worden ist, und eine gesellschaftliche, es ist keine juristische.
Es geht um die Frage, ob, und wenn ja, inwieweit und wie Menschen geschützt werden können, deren äußeres Erscheinungsbild einem Arbeitgeber nicht gefällt. Es geht um die Frage, warum man in der Bundesrepublik noch immer ein Foto beilegen muss, wenn man sich um eine Stelle bewirbt, obwohl dies in anderen Ländern – in den USA beispielsweise oder in Frankreich – nicht nur nicht nötig, sondern sogar unerwünscht ist. Noch steht man am Anfang der Diskussion.
»Das AGG ist noch jung«, verkündet auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes in Berlin, die 2006 eingerichtet worden ist, »und viele Fragen zu Diskriminierung in Deutschland sind kaum oder gar nicht wissenschaftlich untersucht oder durch die Rechtsprechung geklärt. Wir wissen zum Beispiel noch zu wenig darüber, wer in Deutschland von Diskriminierung betroffen ist und aufgrund welcher Merkmale Menschen am häufigsten benachteiligt werden. Deshalb arbeitet die Antidiskriminierungsstelle daran, mehr Erkenntnisse zum Thema zu gewinnen und Forschung voranzutreiben.«
Das aktuelle Urteil hat man bei der Antidiskriminierungsstelle bereits zur Kenntnis genommen: »Nach dem AGG-Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt«, erklärt deren Mitarbeiter Sebastian Bickerich, »hat die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders, eine Erweiterung des Diskriminierungsschutzes in Deutschland angeregt: ›Bei der Auswahl eines Bewerbenden sollte immer die Qualifikation im Vordergrund stehen, nicht der Name, die Herkunft oder die körperliche Erscheinung‹, sagte Lüders. Sie wies darauf hin, dass in anderen EU-Ländern wie etwa in Frankreich die ›körperliche Erscheinung‹ zu den Diskriminerungsgründen zählt.«
Christine Lüders greift im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit in die Debatte ein, die meisten führen sie jedoch vor dem Hintergrund der von ihnen gemachten Erfahrungen. So ist fast allen, die in den Kommentarspalten der Online-Presse über das Urteil diskutiert haben, klar, dass, wer einen Job sucht und optisch nicht gefällt, auf jeden Fall aussortiert wird. Gegenüber dem Spiegel hatte die Klägerin aus Darmstadt erklärt, man habe sich nach dem Vorstellungsgespräch bei ihr gemeldet und »in einer E-Mail gefragt, ›was dazu geführt hat, dass Sie kein Normalgewicht haben‹. Und weiter: ›Im jetzigen Zustand wären Sie natürlich kein vorzeigbares Beispiel und würden unsere Empfehlungen für Ernährung und Sport konterkarieren. Vielleicht haben Sie ja auch einen plausiblen Grund, der in den Griff zu bekommen ist.‹« Das ist nicht freundlich, darüber waren sich die Kommentatoren einig, aber sie meinten auch: Die waren einfach nur ehrlich. Und vor dem, was Personaler denken, aber nicht sagen, kann man niemanden schützen.