Der Konflikt in der Ostukraine

Die Macht der Milizen

Je länger der Konflikt in der Ostukraine andauert, desto größeren Einfluss gewinnen Warlords und Faschisten.

Wären nach »sehr konservativen Schätzungen« der Uno bei den Kämpfen in der Ostukraine nicht 2 086 Menschen getötet worden, fast die Hälfte von ihnen seit Ende Juli, könnte der Konflikt als Posse gelten. Propagandistisch setzte der russische Präsident Wladimir Putin die Fahrt eines Konvois mit Hilfsgütern in Richtung Ostukraine in Szene, doch bei der Inspektion durch Journalisten stellte sich heraus, dass viele der Lastwagen fast leer waren. Die offizielle Erklärung – die brandneuen LKW dürften nicht zu stark belastet werden und bei Pannen könne man umladen – überzeugt nicht. Dass unterwegs Waffen zugeladen werden sollten, ist allerdings unwahrscheinlich, denn für die Versorgung der Separatisten gibt es diskretere Wege.
Am Freitag voriger Woche verbreitete der ukrainische Präsident Petro Poroschenko die »glaubwürdige und bestätigte« Information, die Mehrzahl der russischen Panzerwagen, die in der Nacht zuvor die Grenze überquert hatten, sei »von ukrainischer Artillerie zerstört« worden. Die internationalen Medien waren alarmiert, der Dow-Jones-Index sank um 50 Punkte, aber von zerstörten Panzerwagen fehlt auch nach Tagen noch jede Spur. Möglicherweise handelte Poroschenko unprofessionell oder er wollte vor der Kriegsgefahr warnen und die von Journalisten bestätigte Grenzüberquerung russischer Panzerwagen genügte ihm dafür nicht. Wahrscheinlicher ist, dass er von Offizieren oder Geheimdienstlern durch eine Falschinformation desavouiert wurde. Seine nächste »glaubwürdige und bestätigte« Information wird ihm kaum noch jemand glauben.
Der ukrainische Staatsapparat ist gespalten. Das Verbot der KP wegen der Unterstützung der Separatisten war eine undemokratische Scheinlösung, weiterhin ist die Loyalität vieler Beamter und Soldaten fraglich. Dennoch rückt die ukrainische Armee langsam vor, dies aber wohl nur, weil sich bei den Separatisten um einen harten Kern professioneller Kämpfer Abenteurer, Faschisten und Kriminelle sammeln und es an Unterstützung in der Bevölkerung mangelt, die der Beschuss von Wohngebieten durch die ukrainische Armee allerdings auch gegen die Zentralregierung aufbringt.
Ein Waffenstillstand, der die derzeitige Lage konserviert, wäre keine Lösung. In der Ostukraine hat der Konflikt bereits zu einer Warlordisierung geführt, die sich dann festigen würde. Denkbar wäre zwar, während der Verhandlungen über eine dauerhafte Lösung die umstrittenen Gebiete unter die Hoheit der OSZE oder der Uno zu stellen, doch ist fraglich, ob sich die Separatisten darauf einlassen würden. Auf ukrainischer Seite sammeln unterdessen die faschistischen Milizen des »Rechten Sektors« Waffen und Erfahrung. Sie drohten am Sonntag mit einem bewaffneten Marsch auf Kiew, weil das Innenministerium viele ihrer Kämpfer festgenommen und Waffen beschlagnahmt habe.
Der »Rechte Sektor« hat sowohl Gegner als auch Förderer im Staatsapparat. Der Kyiv Post zufolge kam es am Montag zu einer Einigung mit dem Innenministerium, der Marsch wurde abgesagt und für den Einsatz der faschistischen Milizen an der Seite der Armee soll nun ein legaler Rahmen geschaffen werden. Was dem »Rechten Sektor« und Swoboda an Wählerstimmen fehlt, werden sie durch Drohungen, Gewalt und institutionelle Unterstützung zu kompensieren versuchen. Die politischen Reformen kommen unterdessen nicht voran. So könnte Putin zumindest ein Ziel erreichen: die Demokratisierung der Ukraine zu verhindern und allen Unzufriedenen in seinem Einflussbereich klarzumachen, wie hoch der Preis eines regime change ist.