Der Gender Pay Gap ist größer als angenommen

Weniger als die Hälfte

Eine aktuelle Studie kommt zu dem Ergebnis, dass der Einkommensunterschied zwischen Frauen und Männern hierzulande wesentlich größer ist als bisher angenommen.

Frauen verdienen weniger als Männer. Gähn. Der Gender Pay Gap lässt sich nicht wegargumentieren, diese Erkenntnis hat sich längst bei fast allen durchgesetzt. Und selbst so mutig-rabiate Maßnahmen wie die Aufforderung der EU-Kommission an die Mitgliedsstaaten, Löhne transparenter zu gestalten, konnten ihn bisher nicht reduzieren. Auch bundesweite Versuche, ihn in den Griff zu bekommen, waren wenig erfolgreich – was auch daran liegen mag, dass jedem kleinen Schritt in die richtige Richtung ein Rückschritt folgte. Ausbau der Kita-Plätze? Nicht ohne Einführung des Betreuungsgeldes.
Gar nicht zum Gähnen sind aber die Ergebnisse einer aktuellen Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), das neben dem Arbeitseinkommen auch weitere Werte wie Renten und Kapitaleinkünfte einbezogen und außerdem die sehr hohen Löhne nicht – wie frühere Studien – ausgeblendet hat. Denn statt der schon gewohnten Ergebnisse knapp über der 20-Prozent-Marke ermittelte das Institut eine viel höhere Differenz: Frauen verdienen im Durchschnitt nur 49 Prozent des Pro-Kopf-Brutteinkommens von Männern.
Der Gender Income Gap ist also noch größer als erwartet, und plötzlich gelten auch die bewährten Wegerklärungsmuster nicht mehr. Zur Auswahl standen bisher: Frauen wählen die falschen Berufe, bekommen Kinder, sind einfach nicht so karriereorientiert. Abgesehen von den vielen Denkfehlern in dieser Argumentation (was war nochmal die Begründung dafür, dass ein Maler beinahe doppelt so viel verdient wie eine Friseurin? Wieso erhalten Frauen auch für die exakt gleiche Tätigkeit im Durchschnitt acht Prozent weniger Lohn?), weist die Studie auf weitere Ungleichheiten hin, die mit der vermeintlich selbstverschuldeten falschen Berufswahl wenig zu tun haben. Denn Ungleichheiten bestehen auch bei den Kapitaleinkünften und anderen Gewinnen wie aus dem Gewerbebetrieb. Und so richtig erhellend ist dann erst der Blick auf die Einkommensteuer. Denn hier holen Frauen auf: Obwohl ihre Einkünfte nur halb so hoch sind, gelingt es ihnen, ganze 84 Prozent der Steuerbelastung der Männer zu erreichen. Wie machen sie das? Ganz einfach: Sie heiraten und kommen in den Genuss des Ehegattensplittings. Verheiratete Frauen mit Jahreseinkommen unter 30 000 Euro zahlen im Durchschnitt doppelt so hohe Steuern wie Ehemänner mit gleichem Einkommen. Ein, zwei Bestätigungen für Maskulisten enthält die Studie also doch: Ja, es gibt in Deutschland weiblich dominierte Bereiche. Allerdings sind das weder die Medien noch der Kulturbetrieb oder die Politik. Es sind die ärmeren Bevölkerungsanteile. Denn Frauen »konzentrieren sich auf die unteren Einkommensgruppen«, heißt es freundlich-wertfrei im Bericht des DIW, während Männer bei den höheren Einkommen »den Ton angeben«. Schade nur, dass Stefan Bach, der Autor der Studie, in seinen Ergebnissen wieder das alte Prinzip von Ur­sache und Wirkung erkennt – und damit Frauen als teilweise selbst Schuldige benennt: »Frauen ergreifen häufiger als Männer Berufe, die schlechter bezahlt werden.« – Warum eigentlich nicht: »Berufe, die häufig von Frauen ergriffen werden, werden schlechter bezahlt«? Bach findet es auch »natürlich«, dass »familienbedingte Unterbrechungen bei den Frauen eine deutlich größere Rolle« spielen. Manchmal sind die Informationen zwischen den Zeilen die interessantesten.