Die Verflechtung von Politik und Kriminalität in Mexiko

Aufmerksamkeit allein reicht nicht

Der Fall der 43 Studenten hat weltweit sichtbar gemacht, was in Mexiko grausamer Alltag ist. Die internationale Kritik an dem Geflecht aus korrupten Politikern, legalen Unternehmern und kriminellen Kartellen wächst. Nur in Europa nicht.

Es hat schon etwas ziemlich Skurriles, wenn Mexikos Präsident, Enrique Peña Nieto, nun alle Welt wissen lässt, wie wichtig ihm die Aufklärung des mutmaßlichen Massakers von Iguala sei. Nach dem Angriff hatte er die Angehörigen der Entführten neun Tage alleine gelassen und nutzte das Verschwindenlassen für politische Manöver gegen seinen politischen Gegner Angel Aguirre, den Gouverneur des Bundesstaats Guerrero. Das war nicht verwunderlich, denn der mexikanische Staatschef hat nie ernsthaftes Interesse gezeigt, gegen die korrupten und gewalttätigen Verhältnisse im Land vorzugehen. Die Medien bat er, weniger über zerstückelte Leichen, aufgehängte Körper und Massengräber zu berichten – in der Hoffnung, das Morden so aus dem öffentlichen Bewusstsein zu vertreiben. Hauptsache, die internationale Wahrnehmung stimmte. Doch während Peña Nieto in aller Welt Mexiko als sicheres Investitionsland anpries, ging der Terror weiter. Mehr denn je trifft es jetzt jene, die sich gegen das Geflecht aus korrupten Politikern, legalen Unternehmen und kriminellen Kartellen zur Wehr setzen, etwa kritische Gewerkschafter, Indigene oder Journalisten. Von rechtsstaatlichen Verhältnissen kann keine Rede sein. In Guerrero zum Beispiel kann nur sein Recht verteidigen, wer selbst zur Waffe greift.
So zynisch es klingen mag: Das »Positive« am Fall der 43 Verschwundenen ist, dass dieser bittere Alltag endlich weltweit die Aufmerksamkeit erhält, die er schon lange verdient. Jahrelang versuchten mexikanische Regierungen, die Zigtausenden von Toten und »Verschwundenen« als Mitglieder der Mafia zu denunzieren, ohne wirklich angeben zu können, wer warum zum Opfer wurde. Mit den 43 wohl getöteten oppositionellen Studenten lässt sich diese Lüge nicht mehr aufrechterhalten. Und damit auch nicht die Behauptung, Mexikos Problem sei nur die organisierte Kriminalität. Zu offensichtlich sind die Strukturen des politischen Apparats geworden: ein Bürgermeister, der oppositionelle Störer von seinen Polizisten verhaften lässt; seine Gattin, deren Killertruppe, die »Guerreros Unidos«, die Festgenommen bestialisch hinrichtet; ein Gouverneur, der diesem Treiben seit Jahren zuschaut; und ein Präsident, der, obwohl er genau informiert ist, nichts gegen Straflosigkeit, Korruption und Armut unternimmt. Bestenfalls. Viele seiner Parteifreunde aus der ehemaligen Staatspartei, der Partei der Institutionellen Revolution, sind in das mafiose Geflecht eingebunden, nicht wenige bewegen sich in höchsten Regierungskreisen.
Auch wenn Peña Nieto die Lehramtsanwärter lästig waren, kann ihm an der aktuellen Entwicklung nicht gelegen sein. Die teils militanten Reaktionen von Lehrern, Studenten und weiteren Linken setzen ihm gehörig zu. Es ist nicht auszuschließen, dass die Lage eskaliert. Vor allem aber die internationale Kritik macht dem Staatspräsidenten zu schaffen. Die Uno, die Interamerikanische Menschenrechtskommission, selbst die US-Regierung kritisierten den unzureichenden Einsatz Peña Nietos und dessen Unfähigkeit, Gewalt und Straflosigkeit zu bekämpfen.
Einzig das Europaparlament stärkte dem Präsidenten und seinem vermeintlichen Kampf gegen die Mafia den Rücken. Auch Deutschland tat dies. Kein kritisches Wort hat die Regierung Angela Merkels über Mexikos gescheiterte Sicherheitspolitik verloren. Geschweige denn, dass sie Konsequenzen gezogen hätte. Bis heute muss sich der Rüstungskonzern Heckler & Koch nicht vor Gericht verantworten, obwohl deren Waffen illegal nach Guerrero geliefert wurden, wo nun damit Polizisten und Mafiakiller auf ihre Kritiker schießen. Anstatt diese Straflosigkeit zu beenden, setzt die Bundesregierung noch eins drauf: Im Rahmen eines Sicherheitsabkommens sollen demnächst deutsche Polizisten ihre mexikanische Kollegen ausbilden. Da die Besten der Uniformierten bei den Kartellen landen, dürften sich die Kriminellen über die Subventionierung aus Übersee freuen.
Das Gegenteil wäre richtig: Sowohl die EU als auch Deutschland müssten jede Kooperation mit dem Mafia-Staat Mexiko beenden, solange die Regierung keine Fortschritte im Kampf gegen das Morden und Verschwindenlassen vorweisen kann. Denn Peña Nietos Verhalten seit dem mutmaßlichen Massaker hat gezeigt: Ohne den Druck von der Straße und politische sowie wirtschaftliche Sanktionen aus dem Ausland wird sich nichts bewegen. Das ist die einzige Sprache, die er versteht.