Der Kampf der Suffragetten

Wer eine Frau ist

Der Kampf der Suffragetten um Wahlrecht und Selbstbestimmung.

Frauen wurden von Staatsapparaten, politischen Parteien und Gruppen immer nur als eine lenkbare Masse angesehen, die nicht das Recht habe, eigene Bedürfnisse zu formulieren, sondern die – je nach aktueller Anforderung – Mehrwert oder eine gewisse Anzahl an Kindern produzieren müsse. Sexualität und Liebe wurden traditionell immer mit Frauen in Verbindung gebracht, ganz so, als gingen sie Männer nichts an, Kinder und Kinderziehung ebenfalls, ganz so, als wären Männer nicht auch Väter.
1925 beispielsweise veröffentlichte der deutsche Malik-Verlag einen schmalen Band mit Erzählungen von Alexandra Kollontai. Alexandra Kollontai war Mitglied des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und stand in Opposition zu Lenin, was der Grund dafür war, dass sie im Jahr vor seinem Tod, 1924, in den diplomatischen Dienst und somit ins Ausland abgeschoben wurde.
Als ihre in dem Band »Wege der Liebe« versammelten Erzählungen erschienen, lebte sie daher als Botschafterin in Norwegen, derweil wurden ihre Vorstellungen über die Frauen und die Liebe in zahlreiche Sprachen übersetzt. In »Wege der Liebe« lässt sie eine junge Bolschewikin auftreten, die keine Zeit für die Liebe hat, aber für Sex. Und die das von den Bolschewiki durchgesetzte Recht auf Schwangerschaftsabbruch so selbstverständlich in Anspruch nimmt wie eine Kopfschmerztablette: »Solange wir einander gefallen – sind wir zusammen«, erklärt Genia der Ich-Erzählerin, »vergeht es – so gehen wir auseinander. Keiner hat dabei etwas verloren (… ). Nur dass man des Abortes wegen die Arbeit auf zwei, drei Wochen unterbrechen muss, das ist gewiss unangenehm. Aber daran bin ich selbst schuld. In Zukunft werde ich mich besser schützen.«

Freie Sexualität und Liebe zur Partei

Trotz ihrer Opposition zur wichtigsten Riege des ZK der KPdSU signalisiert Kollontai in »Wege der Liebe« auch ihren Willen zur Unterordnung, denn auf die Frage, ob sie sich denn gar nicht verliebe, erklärt Genia der Erzählerin, dass sie nur Lenin liebe: »›Das ist sehr ernst. Ich liebe ihn viel mehr als alle die, die mir gefallen haben und mit denen ich verkehrte (…). Wenn ich weiß, dass ich ihn hören und sehen kann – dann bin ich tagelang ganz hin (… ), für ihn könnte ich mein Leben lassen. – Dann Genosse Gerassim, kennen Sie ihn? Der Parteisekretär unseres Bezirks. Das ist ein Mensch (…) Sehen Sie, den liebe ich.«
Zu Beginn der zwanziger Jahre räumten die Bolschewiki den Menschen das Recht auf freie Sexualität und den Frauen das Recht auf Abtreibung ein, erwarteten aber, Kollontai hat diese Erwartung literarisch umgesetzt, Liebe zu den politischen Führern. In den dreißiger Jahren hatten sich die Erwartungen an die Bürger und Bürgerinnen jedoch bereits wieder stark gewandelt: »In der Sowjetunion«, schreibt die Individualpsychologin Alice Rühle-Gerstel in ihrem Roman »Der Umbruch oder Hanna und die Freiheit«, der in den Jahren 1933 und 1934 in Prag spielt, »wurde schon seit ein paar Wochen eine heftige Kampagne geführt: Die alten, wohlvertrauten ›bürgerlichen Vorurteile‹ – Familienleben, eheliche Treue, das gemütliche Heim – waren wieder aus der Rumpelkammer hervorgezogen worden und wurden im Ersten Arbeiterstaat der Welt den Proleten als neueste Ideale kommunistischer Moral vor­gestellt. Was sollte nun wieder das? Es widersprach völlig den bisher gepredigten Grundsätzen der Kulturrevolution. Die Linientreuen (...) hatten sich darauf berufen, schon Lenin habe die ›Glas-Wasser-Theorie‹, der zufolge der Geschlechtsakt nur eine hygienische Maßregel sein sollte, in Grund und Boden verdammt. Nun gewiss, aber das war denn doch etwas anderes (… ). Mussten die nächsten Schritte, nach der Hochpreisung der Monogamie und der neuerdings gepriesenen und anempfohlenen Traulichkeit des Heims, nicht das Verbot der Abtreibung sein, die Erschwerung von Ehescheidung, die Rückweisung der Frau aus dem Berufsleben ins Haus, die Abhängigkeit vom Ehemann … ?«
Als Alice Rühle-Gerstel ihren Roman im mexikanischen Exil schrieb, wusste sie bereits, auf welche Art und Weise sich die Fragen ihrer Romanheldin beantwortet hatten, sie wusste, dass Schwangerschaftsabbrüche in der Sowjetunion im Jahr 1936 vollständig verboten worden waren. Das geborene Leben wurde hingegen weniger geschützt: Seit April 1935 konnten Kinder vom zwölften Lebensjahr an wegen Sabotage oder Spionage vor Gericht gestellt und erschossen werden.
Auch die Kommunistischen Parteien in den westlichen Industrieländern wollten die Gebärfähigkeit proletarischer Frauen nicht deren eigener Kontrolle überlassen; die Kommunis­tische Partei Frankreichs reagierte schockiert, als 1949 Simone de Beauvoirs Buch »Das andere Geschlecht« erschien. »Man darf nicht vergessen«, hieß es im April 2008 in der Sozialistischen Zeitung, »dass die PCF in den 50er Jahren in Bezug auf Familie, Sexualität und Empfängnisverhütung sehr konservative Positionen vertrat.« Und die schwarze nationalistische Bewegung in den USA, das berichtet die feministische Lyrikerin Adrienne Rich, hat Geburtenkontrolle und Schwangerschaftsabbrüche in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gar als dem Völkermord ähnliche Praktiken bezeichnet und erklärt, »dass schwarze Frauen sich schämen sollten, wenn sie keine Kinder für den Kampf der Schwarzen ums Überleben liefern«.
Die kommunistischen Parteien, ebenso wie die anarchistische Bewegung, hatten nicht nur immer schon wenig Verständnis für die Forderung von Frauen aufgebracht, ihren ei­genen Körper kontrollieren zu können, sie sahen auch die Berechtigung anderer Forde­rungen wie der nach der juristischen Gleichstellung der Geschlechter nicht ein und taten die Forderung nach dem Wahlrecht für Frauen als »bürgerlich« ab. Proletarische Frauen hätten andere Sorgen, das meinte sogar Clara Zetkin, die als Sozialdemokratin gemeinsam mit August Bebel für das Wahlrecht der Frauen eingetreten war, das von den deutschen Frauen am 19. Januar 1919 zum ersten Mal ausgeübt werden konnte.

Linke und bürgerliche Frauenbewegung

Die Deutsche Zetkin hatte sich immer scharf von den sogenannten bürgerlichen Frauenrechtlerinnen wie Minna Cauer, Marie Stritt, Anita Augspurg und Lida Heymann abgegrenzt. Diese hatten 1902 den Deutschen Verein für Frauenstimmrecht gegründet, doch tatsächlich war es ihnen um mehr gegangen als nur um das Recht auf den Stimmzettel: So durften Frauen in Berlin erst seit Winter 1895/96 als Gasthörerinnen eine Universität betreten, sofern sie die Genehmigung eines Professors vorweisen konnten; ein Studium absolvieren durften sie nicht. Und eine verhei­ratete Frau unterstand im Gegensatz zur ledigen, volljährigen Frau in allen Fragen ihres Lebens – Wohnort, Beruf, Einkommen, Kinder – den Anweisungen ihres Mannes. Er konnte ihr Vermögen ausgeben, ohne sie zu fragen, und eine Frau, die nachts alleine unterwegs war, musste mit ihrer Verhaftung rechnen.
Doch dann hatte der Erste Weltkrieg dieses Machtgefüge ins Wanken gebracht, Frauen hatten die Arbeitsplätze der abwesenden oder im Krieg gestorbenen Männer übernommen, und dass die Verfassung der Republik ihnen neben der Verbesserung ihres bürgerlichen Status’ auch das Wahlrecht bescherte, war letztlich nur die juristische Anerkennung einer gesellschaftlichen Tatsache, die nicht mehr zu leugnen und nicht mehr rückgängig zu machen war.
Sehr zum Missfallen jedoch von Anarchisten und Anarchistinnen: »Das Wahlrecht hat die Frau keineswegs an die Revolution und ihre Errungenschaften geschmiedet, wie dies von sozialistischen Politikern so oft behauptet wurde«, schrieb Milly Witkop Rocker in der Grundlagenerklärung »Was will der syndikalistische Frauenbund?« im Jahr 1921, »im Gegenteil, es hat sie in eine neue Welt des Trugs hineingeführt, der sie jeder wehrhaft revolutionären Auffassung der Dinge entfremden muss. Nicht nur, dass sie, die mit öffentlichen Angelegenheiten bisher wenig oder gar nichts zu tun hatte, durch ihre Unkenntnis und ihre anerzo­gene Unwissenheit letzten Endes nur der Sache der Reaktion nützen wird (die verschiedenen Wahlresultate, die z. B. hier in Deutschland während der letzten Zeit erzielt wurden, sind ein deutlicher Beweis dafür), wird sie auch in derselben Zeit zu einem neuen und gewaltigen Hindernis in der Entwicklung der Arbeiterbewegung werden müssen, hauptsächlich hier in Deutschland. Der alte Wahnglaube an das Erlösungsmittel der parlamentarischen Tätigkeit, der gerade der deutschen Arbeiterschaft so sehr zum Verhängnis geworden ist, und der nun nach langen und schmerzlichen Erfahrungen endlich anfing, in breiten Kreisen der Arbeiter seinen alten Nimbus zu verlieren, ist durch das Frauenwahlrecht neu gestärkt worden.«
In den USA hatte die breite und kämpferische Suffragettenbewegung das Wahlrecht für Frauen in allen Staaten bereits im Vorjahr, 1920, durchgesetzt. In einigen Staaten wie Colorado, Wyoming oder Utah hatten die Frauen auch zuvor schon wählen dürfen, was die berühmte amerikanische Anarchistin russischer Herkunft, Emma Goldman, aufbrachte: »Was hat sie (die Frau, B. S.) durch die Emanzipation erreicht«, fragte sie in ihrem bereits 1911 erschienenen Text »Das Tragische an der Emanzipation der Frau«: »In einigen Staaten gleiches Wahlrecht. Hat das etwa unser politisches Leben vom Schmutz befreit, wie einige wohlmeinende Befürworter voraussagten? Ganz sicher nicht.«
In den Jahren vor 1920 war die legendäre Syndikalistin Mother Jones mit folgenden Worten auf Versammlungen aufgetreten: »Ich hatte noch nie ein Stimmrecht für irgendetwas, und ich habe in diesem Land die Hölle in Bewegung gesetzt. Man braucht kein Wahlrecht, um die Hölle in Bewegung zu setzen! Was ihr braucht, sind die richtige Überzeugung und eine Stimme zu Schreien!«

Liebe statt Arbeit

Die irgendwann zwischen 1830 und 1844 geborene Irin Jones war eine radikale Gewerkschafterin und Agitatorin. 1867 hatte sie ihren Mann und ihre vier Kinder bei einer Gelbfieberepidemie verloren und sich, auf sich allein gestellt, immer stärker radikalisiert. Ab 1880 hatte sie sich in die Arbeiterbewegung gestürzt, denn: »In allen großen industriellen Zentren war die Arbeiterklasse in Aufruhr. Die ungeheure Einwanderungswelle aus Europa füllte die Slums, drückte die Löhne und drohte, den Lebensstandard, den sich die amerikanische Arbeiterklasse erkämpft hatte, zu zerstören. Auf dem Land gab es eine Wirtschaftskrise und viele Arbeitslose. In den Städten gab es Hunger, Aufstände und Verzweiflung.« Mother Jones agitierte unter den Bergarbeitern und in der Textilindustrie. Sie wurde Zeugin der mexikanischen Revolution von 1910 und landete ungezählte Male im Gefängnis. Als sie am 30. November 1930 starb, soll sie 100 Jahre alt geworden sein und war in den gesamten Staaten bekannt.
Die Argumentation von Frauen wie Mother Jones und Emma Goldman beruhte auf einer Vorstellung von Feminismus, die auf einem natürlichen Unterschied der Frau gegenüber dem Mann bestand. Beide wollten die Frauen vor der Berufstätigkeit retten und ihre vermeintliche weibliche Liebesfähigkeit schützen. »Ich bin keine Suffragette«, schreibt Jones in ­ihrer Autobiographie, »und glaube nicht an eine ›Karriere‹ der Frauen, besonders nicht an die ›Karriere‹ in den Fabriken und Spinnereien, wo die meisten arbeitenden Frauen ihre ›Karriere‹ machen. Auf den Frauen ruht eine große Verantwortung – die Erziehung der Kinder. Das ist ihre schönste Aufgabe. Wenn die Männer genug Geld verdienen würden, hätten die Frauen es nicht nötig, ihr Heim und ihre Kinder zu vernachlässigen, um zum Familieneinkommen beizutragen.« Und auch Emma Goldman wandte sich gegen die »so gepriesene Unabhängigkeit« der Frau, diese sei »letztlich nur ein Prozess der ständigen Vergewaltigung der natürlichen Eigenschaften der Frau, ihres Liebeempfindens und und Muttergefühls«.
Jones und Goldman aber hatten die amerikanische Geschichte nicht historisch analysiert und nicht gesehen, was für andere offensichtlich war, nämlich dass die Vorenthaltung von Bürgerrechten für Frauen mit der Vorenthaltung von Bürgerrechten für die schwarze Bevölkerung einherging. Beide Gruppen wurden von weißen Männern für inferior erklärt. Schwarze wurden bis Mitte des 19. Jahrhunderts als Sklaven gehalten, und auch für die Frauen in den USA galt, wie Eleanor Flexner in ihrem Grundlagenwerk über die amerikanische Frauenbewegung schreibt: »Verheiratete Frauen durften keine Verträge unterschreiben, hatten keinen Anspruch auf eigenes Einkommen und Vermögen, nicht einmal, wenn es als Erbschaft oder Mitgift ihnen gehörte, und sie hatten im Fall einer gesetzlichen Trennung keinen Anspruch auf die Kinder.«

Frauen- und Sklavenbefreiung

Selbstverständlich hatten die Frauen auch keine Verfügungsgewalt über ihren eigenen Körper noch das Recht auf Bildung. Schlimmer jedoch waren die Lebensbedingungen der Sklaven in den Südstaaten, das war den Feministinnen der ersten Stunde bewusst. Und so verbanden sich die Forderungen von Feministinnen wie Lucy Stone (1818–1893), Elizabeth Cady Stanton (1815–1902), Lucretia Mott (1793–1880) Susan Anthony (1820–1908) und vielen anderen mit den Forderungen derjenigen, die als Sklave oder Sklavin ihr Leben fristen mussten. Berühmt geworden ist in diesem Zusammenhang die Rede, die eine ehemalige Sklavin, die sich Sojourner Truth nannte, auf einer Frauenrechtsversammlung in Ohio gehalten hat. Sie sagte: »Der Mann da drüben sagt, Frauen hätten es nötig, dass man ihnen in die Kutsche hilft und sie über Gräben hebt und dass sie überall die besten Plätze bekommen. Niemand hilft mir jemals in Kutschen oder über Pfützen oder räumt mir den besten Platz ein – und bin ich keine Frau?«
»Mit einer Geste, die das Publikum elektrisierte«, schreibt Eleanor Flexner, »hob sie ihren bloßen schwarzen Arm: ›Seht meinen Arm an! Ich habe gepflügt und gepflanzt und geerntet und kein Mann hat mir etwas vormachen können – und bin ich keine Frau? Ich konnte arbeiten und essen wie ein Mann – wenn ich soviel bekam – und gleichermaßen die Peitsche ertragen! Und bin ich keine Frau? Ich habe dreizehn Kinder geboren und zusehen müssen, wie sie die meisten als Sklaven verkauft haben, und wenn ich meinen mütterlichen Schmerz hinausschrie, hörte mich niemand als Jesus – und bin ich keine Frau?‹«
Sojourner Truth, aber auch Stone, Cady Stanton, Mott und Anthony waren Abolionistinnen, also Kämpferinnen gegen die Sklavenhaltergesellschaft. Die meisten von ihnen waren Quäkerinnen, hatten also einen religiösen Hintergrund und leiteten ihr Gleichheitspostulat aller Menschen aus der Bibel ab. Sie waren in Untergrundbewegungen aktiv, die geflohenen Sklaven aus den Südstaaten den Weg in die freien Nordstaaten ermöglichen wollten, und so kam es, dass ihre Forderungen, die 1848 auf dem Kongress von Seneca Falls formuliert worden waren, im Gegenzug von schwarzen Abolitionisten wie Frederick Douglass unterstützt wurden.
Eleonor Flexner nimmt an, dass diese Verbindung fast ein Vierteljahrhundert hielt. Der Höhepunkt des Kampfes ereignete sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts, vor dem Hintergrund des Goldrausches, der 1848 ausbrach, und einer gewaltig expandierenden Textilindustrie, die zahlreiche ehemalige Hausfrauen proletarisierte.
1850 stellte man sich ihnen mit dem sogenannten Sklavenfluchtgesetz entgegen, das jegliche Unterstützung von Entflohenen unter drakonische Strafen stellte, doch 1851 erschien mit »Onkel Toms Hütte« von Harriett Beecher Stowe der Bestseller des Jahrhunderts, der die öffentliche Meinung im Sinne der Quäkerinnen beeinflusste. Und 1861 brach der Bürgerkrieg aus, an dessen Ende die Aufhebung der Sklaverei in allen Staaten der USA stand.
Doch 1866 war im Kongress die Rede davon, dass nun die »Stunde des Negers« sei; 1867 ­erhielten die ehemaligen Sklaven das Wahlrecht – die männlichen. Die Frauen, ob sie Weiße oder Schwarze waren, gingen leer aus, schwarze Frauen fanden sich auf der untersten Stufe der gesellschaftlichen Hierarchie wieder. Und die Allianz zwischen schwarzen Aktivisten und Aktivistinnen und weißen Frauenrechtlerinnen brach auseinander.
Bisweilen äußerten sich Letztere nun auf bösartige Weise über schwarze Abolitionisten, sie gründeten 1869 den amerikanischen Frauenwahlrechtsverein, doch es sollte bis nach dem Ersten Weltkrieg dauern, dass sie ihre bürger­liche Gleichstellung erkämpften und ihnen das Wahlrecht zugestanden wurde. Danach dauerte es noch einmal 35 Jahre, bis diejenige Gruppe, der es am schlechtesten ging, aufzubegehren begann, die schwarzen Frauen: Als Rosa Parks sich 1955 weigerte, aufzustehen, weil sie im Bus auf einem für Weiße reservierten Sitzplatz saß, löste sie damit eine Welle der Empörung und eine Emanzipationsbewegung aus, die die US-amerikanische Gesellschaft durchgreifend verändert hat.

Der Kampf gegen den Alkohol

Die soziale Bewegung, die in den USA für die bürgerliche Gleichstellung aller kämpfte, war nicht nur fast immer durch ihren religiösen Hintergrund und durch den Rückgriff auf biblische Argumentationsweisen charakterisiert, sondern auch auf eine aus der heutigen Sicht befremdliche Weise mit dem Kampf gegen Alkohol verbunden.
Für diesen Zusammenhang gab es gute Gründe. Denn unter anderem der Alkohol war das Mittel gewesen, mit dem Minenbesitzer und Fabrikeigner sich die männliche Arbeiterschaft gefügig gemacht hatten. Die Flucht in die Kneipe und der Griff zur Flasche waren für die Arbeiter die einzigen Fluchtmöglichkeiten aus Lebensumständen, wie sie beispielsweise in Colorado herrschten: »Praktisch waren sie«, schreibt Mother Jones, »Sklaven der Bergwerksgesellschaft. Der Gesellschaft gehörten die Häuser der Arbeiter, ihnen gehörte das Land. Wenn ein Arbeiter selbst ein Haus besaß, musste er es räumen, wann immer es den Besitzern des Landes passte. Man bezahlte sie mit Gutscheinen statt mit Geld, damit sie nicht fortgehen konnten, wenn sie unzufrieden waren. Sie mussten in gesellschaftseigenen Läden zu den Preisen der Gesellschaft einkaufen.« »Die Schulen, die Kirchen«, fährt sie fort, »die Straßen gehörten der Gesellschaft.« Auch die Kneipen gehörten der Gesellschaft. Im Bundesstaat Colorado hatten die Frauen das Stimmrecht zwar schon vor 1920 inne, standen aber zugleich vor dem Problem, ihre Familien mit dem kargen Lohn eines Ehemannes am Leben halten zu müssen, der diesen oft genug auf dem Heimweg vertrank. Von Jack Londons Roman »König Alkohol« aus dem Jahr 1913 bis zu »Becher des Zorns« von Upton Sinclair aus dem Jahr 1956 rankt sich die literarische Aus­einandersetzung mit dem Thema. Im Gegensatz zu Jack London (der mit 40 Jahren selbst an seinem Alkoholismus verstarb) war Sinclair, der über sich sagt, in einem Meer von Schnaps aufgezogen worden zu sein, ein fanatischer Gegner des Alkohols: »Ich stelle eine Liste mit den Namen der mir bekannten Opfer zusammen«, schreibt er in »Becher des Zorns«, »und sie enthält 75 Namen; ich würde sagen, dass die meisten literarisch interessierten Amerikaner 30 von ihnen kennen; ein Dutzend sind in der gesamten literarischen Welt bekannt.«
Alkohol war auch das Problem des großen Sozialisten Eugene V. Debs, er war das Problem des Syndikalisten Big Bill Hawood, und er war das Problem der amerikanischen Arbeiterschaft, die sich – laut Upton Sinclair – voll­ständig im Griff der Schnapsindustrie befand. Und damit war er auch das Elend der Frauen: »Seit den vierziger Jahren (des 19. Jahrhundert, B. S.)«, schreibt Eleanor Flexner, »befassten sich die Reformerinnen mit der Alkoholfrage – nicht bloß aus einem abstrakten Ideal, sondern weil das Gesetz verheiratete Frauen so sehr der Willkür ihrer Ehemänner auslieferte.«

Mary Wollstonecraft und John Stuart Mill

Ganz anders als in den Vereinigten Staaten war die Geschichte des Kampfes für das Frauenwahlrecht in Großbritannien verlaufen: Hier war die Forderung nach formeller Gleichstellung der Geschlechter bereits 1792 von Mary Wollstonecraft erhoben worden, John Stewart Mill hatte sie 1867 aufgegriffen und eine Frau namens Lydia Becker hatte daraufhin die Manchester Suffrage Society gegründet. Befreundet mit Becker war ein Ehepaar, dessen Namen eng und bis auf den heutigen Tag mit dem Kampf um Frauenrechte verbunden sind: Als der liberale Anwalt Richard Pankhurst 1898 starb, kämpfte seine Frau Emmeline weiter für die Sache.
Die Pankhursts hatten fünf Kinder, von denen die beiden Söhne im Kindesalter starben, doch die drei Töchter Christabel, Sylvia und Adela engagierten sich gemeinsam mit ihrer Mutter in einer Bewegung, die im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreichte und die ab 1903 von Emmeline Pankhursts Women’s Social and Political Union (WSPU) geleitet wurde. Die Frauen führten Demonstrationen durch, die immer militanter wurden, und trugen ihre weiß-grün-purpurfarbenen Fahnen, sie sprengten politische Versammlungen, wurden verhaftet, traten in unbefristete Hungerstreiks und wurden zwangs­ernährt.
Diese britischen Suffragetten hielten die Gesellschaft bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs in Atem, dann stellte Emmeline Pankhurst ihre Arbeit aus nationalen Gründen ­zurück und viele andere führende Sufragetten taten es ihr gleich. Die britischen Frauen erhielten das Wahlrecht im Jahr 1928 als Ergebnis der durch den Krieg verursachten gesellschaft­lichen Umbrüche.

Emanzipation und Krieg

Nicht nur Staaten, sondern auch Parteien und Gruppen haben die Frauen immer als lenk­bare Masse gesehen, die Kinder oder Mehrwert produzieren sollten oder eben nicht, die wählen dürfen sollten oder nicht. Dabei offenbart der historische Rückblick die merkwürdig anmutende Tatsache, dass Parteien und Gruppen, die traditionell links angesiedelt werden, wie Kommunisten, Anarchisten und Syndikalisten, oftmals aus Eigeninteresse oder aus biologis­tischen Erwägungen heraus vehement gegen das Frauenwahlrecht, gegen die juristische Gleichstellung der Geschlechter, gegen das Selbstbestimmungsrecht der Frau argumentiert haben. In Staaten mit einer starken Kommunistischen Partei und einer starken sozialistischen Bewegung wie Italien oder Frankreich konnte das Frauenwahlrecht erst nach dem Zweiten Weltkrieg eingeführt werden, während es in den Vereinigten Staaten bereits etwa 30 Jahre früher festgeschrieben worden war.
Auch die Frauenbewegung selbst muss sich Kritik gefallen lassen. In Großbritannien hat sie die die Interessen der Frauen letztlich nationalen Kriterien untergeordnet. In Deutschland knüpfte sich die Vorstellung von der »befreiten Frau« in manchen Fällen an biologis­tische und eugenische Argumentationsmuster, die aus der historischen Distanz schockieren. So berichten Anna Dünnebier und Ursula Scheu in ihrer Doppelbiographie von Anita Augs­purg und Lida Heymann, erstere habe auf einem Kongress im Jahr 1905 nicht nur die Abschaffung des Paragraphen 218 gefordert, sondern zugleich, dass Kindstötung gleich nach der Geburt straffrei bleiben müsse. Sieben Jahre später forderte sie das Recht auf freie Liebeswahl mit dem Argument, nur emanzipierte Frauen sorgten für die Verbesserung der Rasse: »Denn nur selbständige Frauen«, schreiben Dünnebier und Scheu, »könnten sich frei ihren Partner wählen. ›Der auslesende Instinkt der Frau wählt unter mehreren Bewerbern den tüchtigsten, für die Vererbung wertvollsten.‹ So sei es in der Natur, so sei es aber nicht in der männerdominierten menschlichen Gesellschaft. ›Dieses Verbrechen wider die Natur beherrscht unser ganzes Gesellschaftsleben seit Jahrtausenden und dürfte als das verhängnisvollste Agens menschlicher Rassedegeneration angesprochen werden. Nicht wie es die Natur, die Förderung der Art, ihr zur Aufgabe macht, in freier Wahl, in fein differenzierter Auslese am Adel der Menschheit bauend, sondern unter dem groben Zwange des kaufenden Mannes gebiert die Frau die Kinder.‹«
Die Frage, wie attraktiv der Mutterkult der Nationalsozialisten auf die Frauen gewirkt hat, die längst bereits rasseideologisch eingestimmt waren, ist bisher noch nicht ausreichend erforscht worden. Fest steht, dass sich die amerikanischen sowie die britischen Frauen und die deutschen mit dem Zweiten Weltkrieg als Feindinnen gegenüberstanden. In den Vereinigten Staaten und in Großbritannien wurde die Kriegsproduktion der maßgebliche Faktor, der die Frauen in die Arbeitswelt integrierte und ihnen dabei half, ein Stück ökonomische Unabhängigkeit zu erreichen. Im national­sozialistischen Deutschland wurden die Frauen zu Müttern. Bis 1949 hatten sie kein passives Wahlrecht mehr.