Gewagte Weihnachten

Berlin Beatet Bestes. Folge 270. Explosivo Tropical Bristol (1980).

Sex ist diesmal das Thema der Jungle World-Weihnachtsausgabe«, informiert mich die Redakteurin. Sex und Weihnachten? Sex zu Weihnachten, das gibt es bestimmt bei Millionen von Leuten! Da ist zumindest endlich mal Zeit, um sich zu entspannen. Aber natürlich gibt es die Kombination von Sex und Weihnachten, seit es Weihnachtsplatten gibt. Der simple Impuls, sich mit der profansten Sache der Welt über das Heilige Fest lustig zu machen, hat dabei die seltsamsten Blüten getrieben. Clarence Carter besang 1968 in seinem supergroovigen und superanzüglichen Weihnachts-Soul-Klassiker den »Back Door Santa«: »I ain’t like old St. Nick, he don’t come but once a year.« Ich bin nicht wie der alte Weihnachtsmann, der »kommt« ja nur einmal im Jahr. In seinen mit Sex-Metaphern geladenen Jump Blues »Trim Your Tree« sexualisiert Jimmy Butler 1954 die christliche Weihnachtsmotivik: »Baby, won’t you let me trim your beautiful Christmas tree/I’m gonna bring along my hatchet/My beautiful Christmas balls/I’ll sprinkle my snow upon your tree.« Baby, lass mich deinen Weihnachtsbaum dekorieren ... 1953 gab Eartha Kitt einen Wunschzettel bei ihrem Santa Baby ab und betonte, wie lieb sie war. Sie hofft auf ein hellblaues Cabriolet: »Been an awful good girl, Santa baby,/So hurry down the chimney tonight/Santa baby, a ’54 convertible too, light blue;/I’ll wait up for you, dear; Santa baby,/So hurry down the chimney tonight.«
Nicht zu toppen ist allerdings Ella Fitzgeralds Lied »Santa Claus Got Stuck In My Chimney« aus dem Jahr 1950. Der Weihnachtsmann, fett und rund, bleibt in ihrem »Schornstein« stecken, und sie bittet ihn unschuldig, wieder und wieder zu kommen: »Santa, please come back to my chimney,/back to my chimney, back/Santa, please come back to my chimney/You can come back here.« Selbst Ella Fitzgerald erschien der Song später zu gewagt, so dass ihre Anwälte bis in die neunziger Jahre verhinderten, dass der Song wiederveröffentlicht wurde.
Nun zum vorliegenden Album. Es hat eigentlich überhaupt nichts mit Weihnachten zu tun. Die halbnackte, nur spärlich mit Weihnachtsbaumdekoration bedeckte Frau auf dem Cover sollte nur helfen, die Scheiben des Bristol-Plattenladens in Acapulco zu verkaufen. Als Kind verwirrten mich derart gestaltete Alben, als sie bei uns zu Hause auftauchten. Besonders das Billig-Label Europa, dessen Logo ich im übrigen auch auf vielen meiner Kinderplatten wiederfand, tat sich mit seinen Nackt-Covern hervor. Zu hören war aber nichts, was nur für Erwachsene bestimmt gewesen wäre, sondern einfache Hit-Zusammenstellungen, die nicht von den Originalinterpreten vorgetragen wurden. Von den späten Sechzigern bis Mitte der siebziger Jahre wurden derart unverhohlen mit Nacktheit Platten verkauft. In Mexiko hielt sich der Trend offensichtlich noch bis in die achtziger Jahre, wobei 1980 technisch wohl noch zu den Siebzigern zählt. Frohe Weihnachten!
Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.