Pawel Lisjanskiy im Gespräch über Arbeiter- und Menschrechte in der Ukraine

»Bergleute arbeiten auch unter Beschuss «

Der Gewerkschafter Pawel Lissianskiy ­arbeitet im Donbass als Menschenrechtler für die Organisation »Ostukrainische Gruppe für Menschenrechtsschutz«. Mit der Jungle World sprach er über die Unterstützung der Menschen in den umkämpften Gebieten der Ukraine.

Können Sie kurz Ihre Gruppe vorstellen?
Die Idee war einfach, Menschenrechte unter den Bedingungen zu verteidigen, die wir jetzt im Donbass haben. Für die Menschen vor Ort ist das sehr wichtig. Alleine das Gefühl, Beistand zu haben, bringt den Menschen wirklich viel. Wir waren eigentlich schon früher aktiv, aber offiziell gibt es uns seit Dezember 2014. Jetzt zählt die Gruppe 14 Mitglieder, hauptsächlich Juristen. In Vollzeit sind aber nur fünf beschäftigt. Die meisten kommen aus dem Donbass, aber wir haben auch Mitglieder in Charkow und Kiew.
Wo ist die Gruppe genau tätig?
Hauptsächlich in Sewerodonezk, Lyssytschansk, Debalzewo, Swetlodarsk – überall, wo wir Menschen erreichen können. Unsere Ressourcen sind angesichts des Umfangs an Arbeit sehr knapp. Grundsätzlich können wir nicht überall helfen. In unsere Sprechstunde kommen oft Menschen, die materielle Hilfe benötigen, aber wir haben selbst nicht viel. Natürlich nehmen wir auch an anderen Aktivitäten teil, wie der Verteilung humanitärer Hilfsgüter. Erst kürzlich haben wir Menschen aus Debalzewo mit zwei Autos evakuiert.
Eine Menschenrechtsgruppe beschäftigt sich mit Evakuierungen?
Zu der Zeit mussten Menschen in Debalzewo evakuiert werden. Sie bitten um Hilfe und da helfen wir, soweit wir können. Wenn jemand mit rechtlichen Angelegenheiten kommt, beschäftigen wir uns damit. Überall, wo wir Menschen vor Rechtsverletzungen verteidigen können, sind wir für sie da. Das ist unser Konzept.
Debalzewo, Lyssytschansk, Sewerodonezk – Sie arbeiten nur dort, wo die ukrainische Verwaltung ist?
Ja, wir arbeiten nur dort, wo wir rechtliche Mechanismen nutzen können. Für unsere Arbeit ist das unabdingbar. Zum Beispiel helfen wir Menschen, ihre Ansprüche auf Rente im vollen Umfang durchzusetzen, falls ihre Arbeitsjahre falsch berechnet wurden oder sonstige Hindernisse im Weg stehen. Eine Frau kam zu uns und wollte, dass wir ihr helfen, ihre Rente in einem Gebiet zu beantragen, das von Separatisten kontrolliert wird. Aber wir können nicht da hinfahren und es ist dort einfach nicht möglich. Damit wir auf dem rechtlichen Weg etwas erreichen können, brauchen wir eine funktionierende Justiz und es war gerade ein wichtiger Erfolg, dass wir das Bestehen des Gerichts von Debalzewo verteidigen konnten. Es war bereits beschlossen worden, dem Gericht die Zuständigkeit wegen seiner Nähe zur Front abzusprechen, was die Menschen vor Ort in rechtlicher Hinsicht noch schutzloser gemacht hätte, aber wir konnten das verhindern. Dazu mussten wir alle unsere Hebel in Bewegung setzten, bis zur Parlamentsebene.
Mit welchen Angelegenheiten kommen die Menschen am häufigsten zu Ihnen?
Verzögerung von Lohnauszahlungen, Verweigerung von Urlaubsansprüchen, Beantragung von Renten – es sind eine Menge von Anliegen, nicht nur arbeitsrechtliche Fragen. Ich habe aber gerade keine genaue Statistik darüber. Damit ausstehender Lohn bezahlt wird, stellen wir Anfragen, wir gehen in den Betrieb, wir kontaktieren Manager. Manchmal funktioniert es so, manchmal müssen wir weitere Schritte unternehmen. Unsere Vorgehensweise ist vom Kleinem zum Großen. Der rechtliche Beistand ist für die Menschen jetzt sehr wichtig, wir bieten diesen umsonst an. Auch wenn der Krieg in der Nähe ist, gehen Menschen arbeiten, sie müssen weiter leben und unser Verständnis ist, dass ihre Rechte in vollem Umfang verteidigt werden müssen. Wir wollen jede Ungerechtigkeit bekämpfen, mit der Menschen zu uns kommen. Wir sind quasi Sanitäter, was die Verletzungen durch Ungerechtigkeiten in unserer gesellschaftlichen Umgebung angeht.
Sind die Bergwerke im Donbass geschlossen?
Nein, die meisten arbeiten weiter. Bergleute gehen auch unter Beschuss arbeiten. Ein großes Problem sind Verzögerungen bei der Lohnauszahlung. Da müssen wir hart kämpfen. Die Regierung plant auch, Zuschüsse für die Bergbauindustrie komplett zu streichen. Alle Minen, die keinen Gewinn bringen, wollen sie schließen. Aber das müssen sie erst mit den Gewerkschaften klären.
Sie wollen nicht über Kriegsverbrechen reden, aber können Sie etwas über die Auswirkung des Krieges auf die Menschen sagen?
Das Schlimmste ist, dass der Krieg die Psyche der Menschen verändert. Aller Menschen. Ich bin kein Psychologe, ich kann es schwer beschreiben, aber es reicht, dorthin zu fahren, um zu merken, wie tiefgreifend das ist.