Bei der Schaffermahlzeit in Bremen waren dieses Jahr auch Frauen dabei

Eine Männerbastion ist gefallen

Die Schaffermahlzeit in Bremen ist das älteste Brudermahl der Welt. Fast 500 Jahre lang war sie eine reine Männerveranstaltung. Dieses Jahr durften zum ersten Mal Frauen teilnehmen. Auch die Jungle World war dabei.

300 Herren in Frack, Fliege und Lackschuhen oder in Kapitänsuniform schütteln sich die Hände oder stehen über Schiffe fachsimpelnd bei­einander. Von einer Galerie unter der Decke aus sehen ihnen Damen in farbenprächtigen Abendkleidern dabei zu. Dann ertönt der plattdeutsche Ruf »Schaffen, schaffen unnen un boven – unnen un boven schaffen!« und die Herren schreiten in den Festsaal ein: Eine imposante Halle mit go­tischen Fenstern, Wandgemälden und 400 Jahre alten Holzschnitzereien tut sich vor ihnen auf. Von der reich verzierten Decke hängen Kronleuchter und historische Modellsegelschiffe in der Größe eines kleinen Autos, auf einer Empore spielt eine Kapelle. Während die Herrschaften an der feierlich gedeckten Tafel in Form von Neptuns Dreizack nach ihren Namensschildern suchen, nehmen die Damen in einem kleinen Nebenzimmer Platz.
Es könnte der Eindruck entstehen, man befinde sich auf einer Verkleidungsparty mit Rollenspiel – würde das Ganze nicht im Bremer Rathaus stattfinden und säße da nicht Ursula von der Leyen am Kopfende der Tafel. Alles, was hier passiert, ist ernst gemeint, sehr ernst sogar: Es ist die Schaffermahlzeit, eine der feierlichsten Veranstaltungen des Jahres in Bremen und das älteste Brudermahl der Welt.
Ernst gemeint ist auch der Hinweis auf der Website der Traditionsveranstaltung: »Frauen müssen draußen bleiben.« 470 Jahre lang blieben Kapitäne und Kaufmänner – von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen – bei Stockfisch, Braunkohl und Tonpfeife unter sich. Am 13. Februar gab es eine Premiere: bei der 471. Schaffermahlzeit wurden zum ersten Mal auch Frauen einge­laden. Rechts von Frau von der Leyens strahlend weißer Bluse sitzt Saarlands Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer im schwarzen Anzug, links zwei Unternehmerinnen im schwarzen Abendkleid. Auch zwei Kapitäninnen sind mit von der Partie. Es sind ganze sechs Frauen unter den 300 Anwesenden.
»Die Entscheidung kommt 471 Jahre zu spät«, sagt Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne) über die Öffnung der Schaffermahlzeit für Frauen. Die Fraktionen von SPD und Grünen hatten 2013 im Bremer Landtag einen Antrag zur Änderung der Einladungspraxis eingereicht. Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) hatte außerdem seine Kritik dadurch angedeutet, dass er auf sein Recht verzichtete, einen Gast für die Veranstaltung vorzuschlagen. Im gleichen Jahr wurde der Einzug der Festgesellschaft ins Rathaus von Protesten begleitet.
Laut Klaus Meier, einem der drei »Schaffer«, die die diesjährige Veranstaltung ausrichten, führte der öffentliche Druck zunächst zu Abwehrreaktionen. »Wir lassen uns das nicht aufzwingen«, hätte es zum Teil unter den kaufmännischen Mitgliedern der Stiftung Haus Seefahrt geheißen.
Die Stiftung lebt zum großen Teil von den Spenden, die bei der Schaffermahlzeit gesammelt werden. Im Jahre 1545 wurde sie zugunsten alter oder in Not geratener Seeleute und deren Angehöriger gegründet und gilt damit als ältester bestehender Sozialfonds Europas. Noch heute unterhält sie ein Altersheim für Seeleute sowie Wohnungen für Studierende der Nautik. Das Schaffermahl hatte ursprünglich die Funktion, die Verbindung zwischen Schifffahrt und Handel zu stärken, die beide für die Hansestadt Bremen von zentraler Bedeutung waren. Wer an dem Festmahl teilnimmt und wer nicht, entscheiden die Mitglieder von Haus Seefahrt.

»Es hatte ja viel Knarz gegeben, bei der Generalversammlung, seit Jahren schon«, verrät ein älterer Kapitän mit nordischem Einschlag, während er im Foyer der Oberen Rathaushalle die Tafel mit der Sitzordnung studiert: »Manche meinten, das ist ein Brudermahl, kein Frauenmahl.« »Die Frauen haben ja auch ihre eigene Schaffermahlzeit hier in Bremen«, schaltet sich ein Kollege ein, »da dürfen auch keine Männer dabei sein.« Ein großer Streitpunkt, so Klaus Meier, sei die Kleiderordnung gewesen: Alle Männer kommen im Frack – was sollen die Frauen tragen? Und was würde mit der sogenannten Frauentafel im Kaminzimmer geschehen, an der ja dann auch Männer sitzen würden?
Die drei Schaffer, die für die Organisation des diesjährigen Festmahls zuständig sind, hätten es Meier zufolge aber »komisch gefunden, an einer Veranstaltung teilzunehmen, bei der keine Frauen anwesend sind«. Satzungsgemäß sei die Anwesenheit von Frauen auch nie verboten gewesen, weshalb die zwei Kapitäninnen Barbara Massing und Lisa Brenneisen auch schon vergangenes Jahr dabei sein durften und 2007 sogar Angela Merkel als Ehrengast eingeladen war. Die Entscheidung, die Schaffermahlzeit endgültig regulär für Frauen zu öffnen, sei letztendlich auf der Generalversammlung von Haus Seefahrt mit »überwältigendem Applaus« begrüßt worden.
Weniger überwältigend ist die tatsächliche weibliche Präsenz auf der diesjährigen Schaffermahlzeit. Kapitänin Brenneisen ist die Sonderrolle schon derart leid, dass sie keine Lust mehr hat, mit der Presse zu sprechen. Massing nimmt das ganze hanseatisch gelassen und urteilt nur wortkarg über die Schaffermahlzeit: »Joa, schmeckt gut.« Ob sie sich komisch fühle unter all den Männern? »Nööö …«
Klaus Meier erklärt das Geschlechterungleichgewicht folgendermaßen: Jedes Jahr seien 100 Plätze für seemännische Mitglieder und 100 für kaufmännische Mitglieder von Haus Seefahrt vorbehalten, sowie 100 Plätze für Gäste. Nur drei neue kaufmännische Mitglieder würden jedes Jahr in die Stiftung aufgenommen, was in Bremen als eine der höchsten unternehmerischen Ehren gelte. Bisher ist keine Frau unter ihnen. Die seemännischen Mitglieder beschränkten sich bisher auf Frau Brenneisen und Frau Massing. Und Gäste müssten von den Mitgliedern vorgeschlagen werden, nicht in Bremen wohnen und eine herausragende Position in Wirtschaft, Wissenschaft oder Politik bekleiden.
Meier würden zwar auf Anhieb mehr als vier Frauen einfallen, die diese Voraussetzungen erfüllen, da jeder Gast aber nur einmal im Leben an dem Festmahl teilnehmen darf, habe man sich im ersten Jahr mit den Einladungen noch etwas zurückgehalten. Auch er halte Frauen in Führungspositionen für eine »überfällige gesellschaftliche Entwicklung«, für die aber die Unternehmen und nicht Haus Seefahrt verantwortlich seien.
Sozialsenatorin Stahmann sieht das anders: »Wer heute networken will, kann das nicht ohne Frauen.« Auch wenn Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten noch nicht annähernd gleich stark vertreten seien, bekleideten doch viele von ihnen Führungspositionen. Die Männer würden sich hier selbst Chancen verbauen. »Das kann doch nicht so schwer zu verstehen sein: Frauen gehören einfach dazu, und nicht nur mit einer Zwei-Prozent-Quote«, so das Bremer Regierungsmitglied. Sie wünsche, dass schon in den nächsten Jahren genauso viele Frauen zur Schaffermahlzeit kämen wie Männer. Bisher veranlasst allerdings nichts zur Hoffnung, dass das Brudermahl diesem Anspruch tatsächlich gerecht werden könnte.

Bei der Schaffermahlzeit geht es vor allem um Tradition. Und die verändert sich per Definition langsam. Darauf gibt schon die Website von Haus Seefahrt einen Vorgeschmack, auf der Frauen immer noch explizit ausgeladen werden, obwohl der Beschluss, diese Praxis zu ändern, schon im Juli vergangenen Jahres getroffen wurde.
Der Ablauf der Veranstaltung ist in seiner jetzigen Form seit Ende des 19. Jahrhunderts unverändert: Vor dem Rathaus werden die Gäste von einem Seemannschor begrüßt. Die Ansammlung lauschender Senioren schunkelt zu kolonialen Anspielungen wie »Kommt ein Schiff mit den Schätzen des Orients beladen« verzückt mit. Die Verteidigungsministerin lächelt. Unterbrochen wird die allgemeine Zufriedenheit dieses Jahr nur durch die wenigen Teilnehmenden an einer Friedensmahnwache, die »Frieden schaffen ohne Waffen« rufen.
Um Punkt 14.30 Uhr beginnt das Festmahl, jedes Jahr mit denselben sechs Gängen. Stockfisch, Kalbsbraten, Rigaer Butt, dazu das eigens gebraute historische Seefahrtsbier – keiner der Gänge ist vegetarisch. Dazwischen wird die Nationalhymne gesungen, Spenden für Haus Seefahrt werden gesammelt und zwölf Reden gehalten, unter anderem auf Bundespräsident, Vaterland, Seefahrt und die Stadt Bremen. Jeder Gang und jede Rede sind auf die Minute genau geplant. Nach dem Essen wird Mokka getrunken und Tabak aus langen weißen Tonpfeifen geraucht. Das Bremer Nichtraucherschutzgesetz sieht hierfür eigens eine Ausnahme Rauchverbot in öffentlichen Einrichtungen vor. Um 19.30 Uhr beginnt dann der Seefahrtsball mit Polonaise und Wiener Walzer, bei dem auch die wenigen Ehefrauen aus dem Kaminzimmer dazu kommen dürfen. Pünktlich um 22 Uhr endet das Fest.

Klaus Meier behauptet, das Networking bei der Schaffermahlzeit werde überschätzt. Es sei vor allem ein Werbeevent für die Stadt Bremen, eine »imposante, konservative Veranstaltung«, die vielen gefalle und natürlich auch die Möglichkeit biete, bei den eingeladenen Geschäftspartnern ein wenig Eindruck zu schinden. Tatsächlich aber war es das Networking auf der Schaffermahlzeit, das beispielsweise dazu beitrug, Bremen während des Nationalsozialismus zu einem der bedeutendsten Rüstungsstandorte des Deutschen Reichs zu machen. Einflussreichen NSDAP-Mitgliedern wurde die Ehre einer Einladung erwiesen, so war beispielsweise SS-Führer Heinrich Himmler 1936 Ehrengast beim Schaffermahl.
Was das Knüpfen von Kontakten auf der Traditionsveranstaltung noch heute für eine Bedeutung hat, zeigt sich an der Zusammensetzung der Festgesellschaft. Bis auf einen Gast sind alle Anwesenden weiß. Und Meiers These, dass Haus Seefahrt für das eklatante Geschlechterungleichgewicht keine Verantwortung trage, sondern allein die gesellschaftlichen Umstände, scheint allein schon mit Blick auf das Einladungsreglement der Stiftung fragwürdig.
Nach den jetzigen Regeln wäre eine paritätische Geschlechterpräsenz beim Festmahl allerfrühestens in 17 Jahren möglich – wenn ab jetzt nur noch Kapitäninnen und weibliche kaufmännische Mitglieder in die Stiftung aufgenommen würden und von den einflussreichen Gästen aus Wirtschaft und Gesellschaft die Hälfte Frauen wären. Das Argument, dies sei schlichtweg nicht möglich, weil es nicht genug Frauen in Führungspositionen gebe, läuft dabei Gefahr, sich in den Frack-Schwanz zu beißen: Dass nach wie vor viel weniger Frauen als Männer einflussreiche Positionen bekleiden, ist eine gesellschaftliche Realität. Diese Realität wird sich aber nur schwerlich ändern, wenn die weißen Männer der Politik-, Wissenschafts- und Wirtschaftseliten bei den einschlägigen Treffen weitestgehend unter sich bleiben. Veränderung scheint allerdings generell nicht das größte Anliegen der Schaffermahlzeit zu sein.