Die Syrien-Reise von vier französischen Abgeordneten

Besuch bei einem Toten

Drei konservative französische Abgeordnete trafen Bashar al-Assad und weitere Würdenträger des syrischen Regimes. Ein Sozialdemokrat beteiligte sich an ihrer Syrien-Reise. Bei ihrer Rückkehr ernteten sie Kritik.

Jacques Myard vom rechten Rand der konservativen UMP traut sich vieles zu. »Ich kann Tote auferwecken!« sagte der seit 1993 im französischen Parlament sitzende Abgeordnete, der bislang eher durch homophobe und sexistische Ausfälle auf sich aufmerksam gemacht hat, vorige Woche der Wochenendausgabe von Libération zufolge. Es handelte sich um eine ironische Reaktion auf eine »Dummheit«, die ihm zuvor nach seinen eigenen Worten unterlaufen war. Myard hatte öffentlich behauptet, in Damaskus den christlichen Würdenträger Ignaz IV. Hazim von Antiocha getroffen zu haben. Dieser griechisch-orthodoxe Patriarch habe ihm, ebenso wie der Patriarch der syrisch-katholischen Kirche, Gregorius III., und der muslimische Mufti Ahmad Hassoun, seine Unterstützung für die »legitime Regierung« Syriens versichert. Also für das Regime von Bashar al-Assad. Doch Ignaz IV. ist im Jahr 2012 verstorben. In Wirklichkeit hatte Myard dessen Nachfolger getroffen, Johannes X. von Antiochia.
Aber nicht nur ihn traf Jacques Myard, sondern auch den Diktator persönlich. Drei französische Abgeordnete waren es, die Bashar al-Assad am 25. Februar eine Stunde lang zur Audienz empfing. Ein viertes Mitglied der Nationalversammlung, der sozialdemokratische Abgeordnete Gérard Bapt aus Südwestfrankreich, war ebenfalls mit ihnen auf Reisen. Er zog es jedoch vor, der Spezialaudienz bei dem syrischen Diktator fernzubleiben. Aufnahmen zeigen ihn zwar lächelnd auf den Stufen zum Präsidentenpalast, er ist jedoch auf den nachfolgenden Fotos vom Zusammentreffen der Parlamentarier mit dem Diktator nicht zu sehen. Er dürfte aber bei anderen Treffen mit hochrangigen Funktionären des syrischen Ba’ath-Regimes, wie dem Außen- und dem Vizeaußenminister, mit dabei gewesen sein.
Bapt, der einzige Sozialdemokrat in der vierköpfigen Politikerriege, ist der Vorsitzende der parlamentarischen »Freundschaftsgesellschaft Frankreich-Syrien« in der Nationalversammlung. Der Rechtskonservative Myard ist ihr Vizevorsitzender. Der Parlamentarier Jean-Pierre Vial von der UMP, ebenfalls mit auf Reisen, sitzt der entsprechenden Freundschaftsgesellschaft im Senat vor, also im französischen Oberhaus. Ein weiterer Senator, François Zocchetto, Fraktionschef der liberal-konservativen UDI, der zweitstärksten rechten Partei im Oberhaus, gehörte ebenfalls dieser Gesellschaft an.

Frankreich unterhält seit 2012 keine diplomatischen Beziehungen mehr zum syrischen Regime. Im März jenes Jahres schloss der damalige Präsident Nicolas Sarkozy die Botschaft in Damaskus. Und Ende Mai 2012 wurde die syrische Botschafterin, im Rahmen einer gemeinsamen diplomatischen Aktion mit der britischen, deutschen, italienischen und spanischen Regierung, in Paris für unerwünscht erklärt.
Präsident, Premier- und Außenminister verurteilten den von den vier unternommenen Versuch, den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu unterlaufen. Regierungschef Manuel Valls sprach etwa von einer »moralischen Verfehlung« und einem Empfang bei »einem Schlächter«. Staatspräsident François Hollande nannte es eine »eigenmächtige Initiative von Parlamentariern« zu einem »Treffen mit einem Diktator, der im Ursprung eines der schlimmsten Bürgerkriege« stehe. »Niemand« habe den vier französischen Abgeordneten, die die Reisekosten in Höhe von rund 1 600 Euro aus eigener Tasche bezahlten, »ein Mandat dazu erteilt«.
Darauf erwiderte Bapt, der wesentlich defensiver auf die heftige Kritik bei seiner Rückkehr reagierte als seine drei konservativen Mitreisenden, er habe offizielle Stellen vorab über seine Pläne informiert. Bei Kontakten mit »Beratern« von Elysée-Palast, Außen- und Innenministerium vor Reiseantritt seien ihm zwei rote Linien vorgegeben worden: kein persönlicher Kontakt mit Präsident Assad und keine negativen Äußerungen über die französische Politik. Daran habe er sich gehalten. Bereits anderthalb Wochen vor Reiseantritt hatte Bapt seine Absichten in der französischen Sonntagszeitung JDD bekundet.
Hinter dem Besuch steckt mehr als die Privatauffassung einiger verwirrter Politiker. Eine wachsende Fraktion im französischen Staatsapparat, vor allem in seinen Sicherheitsapparaten, plädiert heute für eine Wiederannäherung an die syrische Diktatur. Sie berufen sich auf die jihadistische Bedrohung, auch wenn die Diktatur in Wirklichkeit unter der Hand lange Zeit diese Pseudo-Polarisierung gefördert hat. Erst am Wochenende warf die EU dem syrischen Regime vor, nach wie vor in den vom »Islamischen Staat« (IS) besetzten Gebieten Öl zu kaufen.
Auf den IS und andere Jihadisten verweist nunmehr ein Teil der französischen Polizei- und Geheimdienstfunktionäre. Ihrer Auffassung nach lässt sich »effiziente Terrorismusbekämpfung« nur dann betreiben, wenn man auch auf die Erfahrungen der ausgedehnten syrischen Apparate zurückgreift. Diese Position gab es die ganzen vier Jahre seit Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs hindurch, aber derzeit wird sie offensiver vorgetragen als zuvor.

Unterstützung erhalten die vier vor allem bei den derzeit oppositionellen Konservativen. Myard, der seine Reise offensiv verteidigte – er äußerte bei RTL: »Ich gestehe Ihnen zu, dass Assad Blut an den Händen haben mag, aber er wird notwendig Teil einer politischen Lösung sein« –, erhielt bei seinem ersten Auftritt vor der Parlamentsfraktion der UMP Anfang März warmen Applaus. Und der Fraktionsvorsitzende Christian Jacob sagte daraufhin, Myard habe »einstimmige Unterstützung« erhalten.
Zwar hatte Sarkozy sich spöttisch über die vier »Burschen« geäußert, sich aber auch gegen Sanktionen ausgesprochen. Kritischer verhielt sich sein früherer Außenminister Alain Juppé, wie Sarkozy ein möglicher Präsidentschaftskandidat für 2017. Der dritte Anwärter auf die konservative Kandidatur, der ehemalige Premierminister François Fillon, zeigte sich dagegen offen enthusiastisch: Hätte er die Gelegenheit zu einer solchen Reise gehabt, wäre er »auch nach Syrien gefahren«. Ebenso wie Myard ist auch Fillon gleichzeitig ein offener Verfechter einer Annäherung an Wladimir Putin, was inhaltlich stimmig ist. Zählt doch Putin zu den wichtigsten Unterstützern des syrischen Präsidenten, neben dem iranischen Regime, an das Fillon sich ebenfalls annähern möchte. Dieses nutzte die Gelegenheit, um Frankreich zu einer »realistischeren Position« zu Syrien aufzufordern, wie es sein Botschafter in Paris, Ali Ahani, am Donnerstag voriger Woche formulierte. Er stützte sich dabei darauf, dass die offizielle französische Position doch auch im Land »durch verschiedene Persönlichkeiten« kritisiert werde.
Diese Standpunkte finden sich auch bei den Wählern. Einer Umfrage zufolge kritisieren 61 Prozent der befragten Franzosen die Reise der vier Abgeordneten, aber in der Wählerschaft der UMP fällt die Kritik mit 52 Prozent am geringsten aus. Und die Anhängerschaft von UMP und UDI ist, mit 58 respektive 70 Prozent, am stärksten für eine Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zum Assad-Regime. Die der Sozialdemokratie ist mehrheitlich dagegen. Und beim Front National (FN) zeichnet sich eine Spaltung zwischen Parteiapparat und Wählerbasis ab: Letztere ist mit 71 Prozent neben der kommunistischen Wählerschaft am stärksten gegen eine Annäherung an das syrische Regime. Dagegen sind die rechtsextremen Parteiführer besonders lautstark dafür, wie etwa der Vizevorsitzende Florian Philippot, der die Reise als »gesunden und vernünftigen Akt« bezeichnete. Aber aus Sicht der FN-Wähler sind es nun mal einfach »Araber«.