Das geplante Tarifeinheitsgesetz

Kampf den Knebelverträgen

Das Gesetzesvorhaben zur Tarifeinheit ist nicht der erste Versuch, hierzulande das Streikrecht einzuschränken. Doch angesichts der Veränderung der gewerkschaftlichen Kräfteverhältnisse unterscheidet sich die derzeitige Auseinandersetzung deutlich von denen in früheren Zeiten.

Eigentlich stehen der Deutsche Beamtenbund, der Marburger Bund, die Organisation Cockpit und der Deutsche Journalistenverband nicht im Ruf, kämpferische Gewerkschaften zu sein. Mögen sie als Interessenvertretungen bestimmter Berufsgruppen auch mal ordentlich poltern, so sind sie gesellschaftspolitisch doch eher konservativ. In der vergangenen Woche gaben sie sich jedoch besonders kämpferisch. Schließlich könnte der Gesetzentwurf, den das Bundesarbeitsministerium am 5. März ins Parlament einbrachte, ihre Streikfähigkeit erheblich einschränken.

Nach den Vorstellungen der Bundesregierung soll nur derjenige Tarifvertrag Anwendung im Betrieb finden, der von der Gewerkschaft mit der größten Zahl an Mitgliedern abgeschlossen wird. Spartengewerkschaften, die nur ein bestimmtes Segment der Beschäftigten vertreten, wären dadurch im Nachteil. Denn wenn sie nicht tarifvertragsfähig sind, sinkt auch ihre Verhandlungsmacht. »Das Gesetz würde uns zerschlagen«, sagte denn auch der Vorsitzende des Marburger Bundes, Klaus Henke, auf einer Pressekonferenz.
Deshalb wollen er und seine Kollegen das Tarif­einheitsgesetz auf juristischem Weg stoppen. Schließlich kam selbst der wissenschaftliche Dienst des Bundestages in einem Gutachten zu dem Schluss, dass das Gesetz einen Eingriff in die Koalitionsfreiheit darstelle und daher verfassungswidrig sei. Den Anlass, ein Gesetz zur Tarif­einheit auszuarbeiten, lieferte ebenfalls eine juristische Entscheidung: 2010 urteilte das Bundesarbeitsgericht, dass die Verdrängung des Tarifvertrags einer Spartengewerkschaft »einen nicht gerechtfertigten Eingriff in die kollektive Koalitionsfreiheit der Tarif schließenden Gewerkschaft als auch die individuelle Koalitionsfreiheit der an den Tarifvertrag gebundenen Gewerkschaftsmitglieder« darstelle.
Wenige Monate nach dem Urteil einigten sich der DGB und die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände auf eine Gesetzesinitiative zur Tarifeinheit. Doch wegen der starken Kritik wurde das Vorhaben unter der schwarz-gelben Vorgängerregierung nicht vollendet. Es mussten erst wieder Sozialdemokraten Regierungsämter übernehmen, um die Gesetzesinitiative zur Tarifeinheit weiterzuführen. In diesem Fall zeigt sich einmal mehr, dass sich kapitalfreundliche Gesetze leichter durchsetzen lassen, wenn Sozialdemokraten an der Regierung beteiligt sind.
Versuche, das Streikrecht einzuschränken, gab es in der Geschichte der Bundesrepublik immer wieder, Proteste dagegen ebenfalls. Doch in der Regel waren es bisher die im DGB zusammengeschlossenen Gewerkschaften, die sich gegen Versuche von Union und FDP gestellten Bundesregierungen wandten, das Streikrecht zu regulieren. Doch bei der derzeitigen Auseinandersetzung um das Tarifeinheitsgesetz handelt es sich nicht einfach um eine Wiederholung solcher Auseinandersetzungen. Während der DGB und Teile der ihn ihm vertretenen Einzelgewerkschaften diese Gesetzesinitiative gemeinsam mit den Unternehmerverbänden befürworten, protestieren neben der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi vor allem die in den vergangenen Jahren erstarkten Spartengewerkschaften, was angesichts der möglichen Einschränkung ihrer Streikfähigkeit nicht verwunderlich ist.

Die Veränderungen in der Debatte machen aber auch deutlich, wie sich die gewerkschaftlichen Kräfteverhältnisse verschoben haben. Lange Zeit galt auch unter linken Gewerkschaftern in den Betrieben das Credo, die Einheitsgewerkschaft DGB unter allen Umständen zu verteidigen. Vor allem in der traditionalistischen Linken wurde darauf verwiesen, dass die Spaltung der Arbeiterbewegung in Deutschland den Aufstieg des Nationalsozialismus erleichtert habe – als Konsequenz hätten Gewerkschafter, die in der Weimarer Republik in unterschiedlichen Richtungsgewerkschaften organisiert waren, beschlossen, nach dem Ende des NS eine Einheitsgewerkschaft zu gründen. Vor allem die Generation der politisch engagierten Arbeiter, die in der Weimarer Zeit die oft erbitterten Auseinandersetzungen zwischen den Richtungsgewerkschaften erlebt hatte, betonte den Wert der Einheitsgewerkschaft.
Auch der Marburger Politologe und Antifaschist Wolfgang Abendroth, der in den sechziger und siebziger Jahren großen Einfluss auf linke Gewerkschafter und die akademische Diskussion um eine gewerkschaftliche Orientierung ausübte, verteidigte vehement das Prinzip der Einheitsgewerkschaft. Selbst linke Kritiker der sozialpartnerschaftlichen DGB-Politik betonten in der Regel, nicht sie, sondern die DGB-Funktionäre stellten den Grundsatz der Einheitsgewerkschaft infrage. Lediglich manche maoistische Gruppen versuchten in den siebziger Jahren mit der Gründung gewerkschaftlicher Oppositionsgruppen an die Revolutionäre Gewerkschaftsopposition in der Weimarer Republik anzuknüpfen. Aber auch sie betonten, dass die Spaltung nicht von ihnen, sondern von den DGB-Vorständen mit ihren Unvereinbarkeitsbeschlüssen und Ausschlüssen linker Mitglieder provoziert worden sei.
Mit der Ausdifferenzierung der Arbeitsstrukturen, die sich in unterschiedlichen Tarifverträgen im gleichen Betrieb zeigt, nahm die Zahl der Branchengewerkschaften jenseits des DGB zu. Sie konnten häufig von einer besonders sozialpartnerschaftlichen Politik vieler DGB-Gewerkschaften profitieren. Doch die Rhetorik der Branchengewerkschaften sollte nicht zu der Illusion führen, sie seien Vorboten einer neuen, kämpferischen Gewerkschaftsbewegung. Schließlich sind von viel Lärm begleitete Tarifkämpfe auch für konservative Verbände möglich, wenn es darum geht, die eigene Klientel zu bedienen.

Das größte Problem dieser Branchengewerkschaften besteht darin, dass sie in der Regel kein Interesse daran haben, über ihre Klientel hinaus auch Kollegen zu unterstützen, deren Verhandlungsmacht gering ist. Hier würde gewerkschaftliche Solidarität beginnen, die bei den DGB-Gewerkschaften häufig nur noch in Sonntagsreden erwähnt, im gewerkschaftlichen Alltag aber meist vergessen wird. Für die meisten Branchengewerkschaften ist diese Solidarität über ihre unmittelbare Klientel hinaus nicht einmal ein angestrebtes Ziel.
So ist die Fragmentierung der Gewerkschaftsbewegung auch ein Ausdruck der Atomisierung der Lohnabhängigen. Kämpferische Basisgewerkschaften wie die Freie Arbeiter Union und die Wobblies werden beim Kampf gegen die Tarifeinheit meist gar nicht erst erwähnt. Dabei würden diese Gewerkschaften durch das Tarifeinheitsgesetz tatsächlich an Kampfkraft verlieren. Denn für sie ist ein Streik nicht ein Szenario, mit dem man droht, sondern eine Aktionsform, die man anwendet.