»Allein unter Juden« von Tuvia Tenenbom

Von Arabern mit Liebe überschüttet

Den antisemitischen Menschenrechtsaktivisten auf der Spur: In »Allein unter Juden« begibt sich Tuvia Tenenbom auf Entdeckungsreise durch Israel.

Als Tuvia Tenenboms Reisebericht »Allein unter Deutschen« Ende 2012 erschien, wurde er heftig diskutiert und stand monatelang auf der Bestsellerliste. Damals beschäftigte sich Tenenbom, der Leiter des Jewish Theatre of New York, mit dem ganz normalen Antisemitismus auf deutschen Straßen und in deutschen Stuben. Wenige Monate später unternimmt Tenenbom eine Entdeckungsreise durch Israel, Gaza und die Westbank. Getarnt als »Tobi, der Deutsche«, reist er kreuz und quer durchs Land, vom Gaza-Streifen bis zu den Golanhöhen, von Eilat bis zu den Hizbollah-Stellungen an der Grenze zum Libanon und mit der Konrad-Adenauer-Stiftung macht er einen Abstecher nach Jordanien.
Schon bald erkennt er, dass man mit allen sprechen muss, um Israel wirklich zu verstehen: mit Ultraorthodoxen und Atheisten, mit Kibbuzniks und Siedlern, Rabbis und Imamen, Mystikern und Intellektuellen, Armeeangehörigen und Geheimagenten, Knessetabgeordneten und Politikerinnen der Palästinensischen Autonomiebehörde, israelischen Prostituierten und Beduininnen, Journalisten und Menschenrechtsaktivisten. In »Allein unter Juden« treten unter anderem Shimon Peres und Guido Westerwelle auf, genauso Amos Oz, der ehemalige Botschafter Avi Primor und Jibril al-Rajub, ehemaliger Sicherheitschef des palästinensischen Geheimdienstes.
Das Buch ist witzig und ausgesprochen unterhaltsam, doch jedes seiner 55 Kapitel hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack. Mehr als 30 Jahre nach seiner Auswanderung findet Tenenbom, der Sohn eines Rabbiners, sein Geburtsland stark zum Negativen verändert vor. Während es damals noch verschiedene Formen friedlicher Koexistenz zwischen Israelis und Palästinensern gegeben hat, begegnet ihm der Nahostkonflikt auf seiner Reise nun auf Schritt und Tritt – angeheizt von zahllosen Nichtregierungsorganisationen, die hier in einer Dichte am Werk sind, wie nirgendwo sonst auf der Welt.
Es wäre sicher falsch, allein die NGOs dafür verantwortlich zu machen, dass sich die Fronten im Nahostkonflikt in den vergangenen 25 Jahren verhärtet haben. Ohne Zweifel haben die Gründung der Hamas und der Hizbollah, die Radikalisierung des Islamismus, die palästinensischen Medien sowie die Gelder und Waffen aus dem Iran und den arabischen Staaten einen großen Anteil an der Förderung des antiisraelischen Terrors. Doch dadurch, dass Tenenbom die Rolle der NGOs wie niemand vor ihm beleuchtet, rückt ihr verhängnisvoller antiisraelischer Einfluss deutlich in den Blick.
Tenenbom meint, bevor Europa und die USA Milliarden von Dollars in »Friedensinitiativen« investierten, wären sich Araber und Juden näher gewesen. Vor der ersten Intifada und dem Oslo-Abkommen habe der Araber den Juden und der Jude den Araber besucht. Selbstverständlich war nicht alles gut, Tenenbom vergleicht die damalige Situation mit dem Zusammenleben verschiedener Bevölkerungsgruppen in New York. Als junger Mann fuhr er nach Ramallah, Nablus, Betlehem – egal wohin und genoss arabische Musik und arabisches Essen. Kann ein israelischer Jude heute noch nach Nablus reisen, nach Gaza, nach Ramallah?
»Tobi, der Deutsche« versucht es – und die Palästinenser lieben ihn dafür. Hätte er sich mit seinem jüdischen Vornamen vorgestellt, wäre er womöglich entführt oder ermordet worden. Nirgendwo in Palästina – oder im »A-Gebiet«, wie es im Oslo-Abkommen heißt – findet man heute auch nur einen Juden. Und auch Christen werden aus den Gebieten verdrängt, die von der Hamas oder der Palästinensischen Autonomiebehörde beherrscht werden. Lebten vor der Machtübernahme Arafats noch 20 Prozent Christen in Ramallah, sind es heute nur noch 1,5 Prozent.
Besonders auffällig ist für Tenenbom die Obsession der Deutschen mit den Juden im Allgemeinen und Israel im Besonderen. Ihren Einsatz für die Palästinenser benutzen sie als Vorwand, um ihren alten Antisemitismus im neuen Gewand auszuleben. So tummeln sich deutsche Parteistiftungen, kirchliche Hilfswerke und linksalternative Aktivisten in Israel, um Juden Nachhilfe in Demokratie und Menschenrechten zu geben und ihre vermeintlichen Verstöße dagegen zu dokumentieren.
Besonders gut funktioniert die Zusammenarbeit der Deutschen mit linksgerichteten israelischen NGOs, die ohne Unterlass versuchen zu beweisen, dass es sich bei Israel um einen Aggressorstaat handelt. Eine der einflussreichsten ausländisch finanzierten israelischen NGOs ist B’Tselem – sehr aktiv im Sammeln und Veröffentlichen von Beweisen für Menschenrechtsverletzungen der israelischen Regierung und der israelischen Armee gegenüber den Palästinensern. Den Holocaust bezeichnet ein Mitarbeiter B’Tselems gegenüber Tenenbom als eine »Erfindung der Juden«. Einer der Hauptförderer von B’Tselem ist das große deutsche kirchliche Hilfswerk Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst. Es förderte B’Tselem zum Beispiel 2012 mit umgerechnet etwa 250 000 Euro, was gut einem Fünftel des Gesamtbudgets dieser NGO entspricht. Die Hälfte des Budgets von Brot für die Welt kam 2013 vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Einem israelischen Geheimdienstoffizier zufolge, den Tenenbom interviewte, »kommt der Großteil der antiisraelischen europäischen Gelder von den Deutschen«. Es sind Gelder für NGOs, die antisemitische Stereotype verbreiten und Israel mit dem Apartheidstaat vergleichen.
Die Spezifik des europäischen Antisemitismus, der ihm in Israel immer wieder entgegenschlägt, beschreibt Tenenbom mit den Worten: »Der ›normale‹ Rassist kämpft auf seinem eigenen Territorium, das er von all jenen gesäubert sehen möchte, die er hasst. Er ist irregeleitet und seine Gedanken und Taten sind beklagenswert, aber er hat wenigstens ein eigennütziges Motiv. Er möchte, dass sein Land allein sein Land ist. Kein Ku-Klux-Klan-Mitglied verbringt beispielsweise sein Leben damit, die Türkei von den Türken zu befreien. Die europäischen NGOler sind anders. Der Jude, den sie bekämpfen, lebt nicht auf ihrem Territorium, sondern Tausende von Kilometern entfernt, und doch reisen diese Europäer Tausende von Kilometern, um den Juden zu erwischen – wo immer sie ihn finden. Die NGO-Aktivisten verstehen sich als rechtschaffene Leute. Sie sind aber in Wirklichkeit Menschen, die an einem Überlegenheitsgefühl gegenüber anderen kranken, und ihr Judenhass ist unerträglich.«
Deutlich wird in Tenenboms Buch, dass die NGOs in ihren beständigen Versuchen, den jüdischen Staat zu diskreditieren, in den europäischen Medien einen verlässlichen Partner finden. Ein Beispiel: al-Rajub lädt »Tobi den Deutschen« eines Tages zu einer Party anlässlich des »palästinensischen Unabhängigkeitstages« ein. Doch die Feier findet nicht in einem Restaurant oder einer Disco, sondern an einem Checkpoint statt. Dort wird die Partygesellschaft von zahlreichen europäischen Kamerateams, mit Steinen ausgerüsteten palästinensischen Jugendlichen und islamischen Gläubigen mit Beobachterstatus empfangen. Bevor die Jugendlichen mit dem Schauspiel beginnen, schwere Steine auf israelische Soldaten zu werfen, die mit dem Einsatz von Tränengas reagieren, gehen die europäischen Medienvertreter in Position. Hier folgt nicht die Nachricht auf das Ereignis, sondern die vorbereitete Nachricht wird live inszeniert.
Im Zeit-Magazin vom 22. Dezember 2014 resümiert Tenenbom seine Reiseerfahrungen: »Wenn man die Geschichte zwischen Deutschen und Juden im vergangenen Jahrhundert betrachtet, würde man erwarten, dass die Deutschen anders handeln, aber sie tun es nicht. Warum? Weil sie die Juden immer noch hassen. Lassen Sie mich geradeheraus sein: Festzustellen, welch enorme Investitionen die Europäer leisten – allen voran die Deutschen – und welch endlose Anstrengungen sie unternehmen, die letztlich nur dazu führen, dass die Juden in Israel geschwächt werden, ist eine sehr beunruhigende Erfahrung. Von den Arabern mit Liebe überschüttet zu werden, nur weil sie denken, ich sei Deutscher, ist beängstigend. Juden zu beobachten, die sich schon wieder nicht trauen, sich gegen die vielen feindseligen Europäer zu wehren, die sich ihnen sogar anschließen, ist schockierend.«
Anders als »Allein unter Deutschen« hat es Tenenboms jüngstes Buch zwar hierzulande nicht in die Bestsellerlisten geschafft, dafür aber in Israel. Die linke Tageszeitung Haaretz, die von Tenenbom durchaus ihr Fett abbekommt, nennt es »eine literarische Sensation«. »Ein brillantes Buch«, urteilte der Rezensent der Zeitung Maariv und im Fernsehsender Channel 2 wurde es als »das wichtigste Buch der letzten fünf Jahre« bezeichnet.

Tuvia Tenenbom: Allein unter Juden. Eine Entdeckungsreise durch Israel. Suhrkamp, Berlin 2014, 473 Seiten, 16,99 Euro