Militärparade und nationalistische Symbole am griechischen Nationalfeiertag in Athen

Spiele ohne Brot

Am 25. März gedenkt man in Griechenland des Aufstands gegen die Herrschaft der Osmanen im Jahr 1821. Vergangene Woche wurde der Nationalfeiertag in Athen mit der traditionellen Militärparade begangen. Unter der neuen linken Regierung fielen die Feierlichkeiten bombastischer aus als in den vergangenen Jahren.

Genau zehn Jahre ist es her, dass der damalige Vorsitzende der »Koalition der Linken und des Fortschritts« – der Vorgängerpartei von Syriza – in einer Pressemitteilung verkündete: »Unser Land allein bewahrt die Schülerparaden, einen Brauch mit militaristischem Charakter, der unter dem faschistischen Regime von Metaxas eingeführt wurde.« Und er fügte hinzu: »Als Koalition der Linken fordern wir noch einmal die Abschaffung der Schülerparaden und dass sie durch Veranstaltungen ersetzt werden, bei denen Geschichte fern jeglichen Vorurteils, pseudopatriotischen Nationalismus und militaristischer Symbolik vertieft wird.« Der Mann hieß Alexis Tsipras.

Am Mittwoch voriger Woche, dem Nationalfeiertag, an dem des Beginns des Aufstandes gegen die Herrschaft der Osmanen im Jahr 1821 gedacht wird, konnte man in Athen erleben, wie ausgerechnet unter der ersten vermeintlich linksradikalen Regierung in der Geschichte des Landes »pseudopatriotischer Nationalismus« und »militaristische Symbolik« ein noch vor einem Jahr kaum vorstellbares Niveau erreichten. Bereits eine Woche zuvor war klar geworden: An diesem Tag würde eine besonders pompöse Parade stattfinden, die symbolisch zur Versöhnung zwischen den Streitkräften und der Bevölkerung beitragen sollte.
Die Schüler- und Militärparaden am Nationalfeiertag wurden 1938 unter der Diktatur von Ioannis Metaxas eingeführt. »Ein Traum – gestern die Jugend, heute die Soldaten, alle uniformiert«, so beschreibt der Diktator diesen Tag in seinem Tagebuch. Auch am 28. Oktober, dem »Oxi-Tag«, an dem der Eintritt Griechenlands in den Zweiten Weltkrieg gefeiert wird, finden in ganz Griechenland Militär- und Schülerparaden statt.
In den vergangenen Jahren formierte sich breiter Widerstand gegen die Militärshows, bei denen unter anderem auch das seit dem Ausbruch der Krise gewachsene Unbehagen der Bevölkerung zum Ausdruck kam. Einige Paraden wurden verhindert oder spontan zu Protestkundgebungen umgewandelt. Parlamentarier wurden niedergebrüllt, Schüler und Lehrer sagten öffentlich ihre Beteiligung ab, in manchen Fällen beschimpften die marschierenden Schüler die anwesenden Regierungsvertreter, anstatt sie feierlich zu begrüßen.
Als sich die Krise verschärfte, radikalisierte sich auch die Kritik an den Paraden, antinationale und antimilitaristische Inhalte flossen in den Protest gegen die Krisenpolitik und die Austeritätsmaßnahmen ein. Ein Höhepunkt dieser Entwicklung war der Protest gegen die Parade am 28.Oktober 2011 in Thessaloniki, als die Gegner in Anwesenheit von Präsident Karolos Papoulias die Straße stürmten und das militaristische Spektakel ganz vereitelten. Um militante Proteste zu verhindern, wurden in den vergangenen Jahren bei den Paraden in Athen und Thessaloniki Metallgitter-Absperrungen aufgestellt, die teilnehmenden Regierungsvertreter mussten von der Polizei geschützt wurden. Es kam sogar so weit, dass aus Angst vor Unruhen nur Politiker und Angehörige des Militärs an den Feierlichkeiten teilnehmen durften, das »einfache Volk« war davon ausgeschlossen. Umso mehr wuchs die Ablehnung der staatlichen Veranstaltungen in der griechischen Bevölkerung. Die Absperrungen, die Sondererlaubnisse für die Teilnehmer, der Polizeischutz für die Politiker und deren Angst vor der Verachtung der Schüler waren Zeichen eines klaren Konflikts zwischen dem Staat und der Gesellschaft.
Die Kritik war in den vergangenen Jahren laut und konsequent geworden und Syriza als damalige Oppositionspartei profitierte politisch davon. Führende Parteimitglieder, etwa der heutige stellvertretende Bildungsminister Tasos Kourakis und der heutige stellvertretende Außenminister Nikos Chountis, forderten 2013 und 2014 ausdrücklich die Abschaffung der Schülerparaden. Noch im März 2012 sagte Alexis Tsipras in einem Fernsehinterview: »Die Leute von Syriza gehen traditionsgemäß nicht zur Parade. Wir teilen diese Kultur nicht. Ob das nun richtig oder falsch ist, es ist nicht unsere Kultur.« Die dezidierte Ablehnung des militaristischen Kults wurde nur so lange aufrechterhalten, wie sie Wählerstimmen brachte.
Syriza-Romantiker, die sich eine Abschaffung dieses anachronistischen Militärspektakels erhofft hatten und den nationalistischen Ruck der letzten zwei Monate seit den Wahlen anscheinend nicht wahrgenommen haben, mussten vergangene Woche in Athen ihr blauweißes Wunder erleben.
Panos Kammenos, Verteidigungsminister und Vorsitzender der rechtsnationalistischen Partei »Unabhängige Griechen«, war dieser Tag besonders wichtig. Mit der Präfektin von Attika, Rena Dourou, war er übereingekommen, dass die Feierlichkeiten zum 25. März besonders glänzend ausfallen sollten. Das erste Zeichen dafür war, dass die Bevölkerung nach Jahren wieder an den Feierlichkeiten teilnehmen durfte.
Um die Zuschauer in Stimmung zu bringen, verteilen Soldaten schon am frühen Morgen Tausende blauweiße Plastikfähnchen an die Besucherinnen und Besucher des Spektakels. Diese griechischen Fähnchen mit einem Plastikkreuz darauf – das die enge Verbindung mit dem orthodoxen Glauben symbolisieren soll – konnte man früher an Ständen von Straßenhändlern kaufen. »Bitte noch eines für meinen Bruder, der liegt krank zu Hause«, bittet ein schwarzhaariger junger Mann. Der Soldat zeigt sich großzügig. Eltern kaufen ihren Kindern Luftballons und gegrillte Kastanien – ein echtes Familienfest. Der Regen trübt zwar die festliche Atmosphäre, aber das macht nichts, zumindest nicht den vielen Besuchern in blauweißen Regenmänteln.
Regierungs- und Kirchenvertreter stellen sich feierlich vor dem Nationalpark so hin, dass sie die Sicht auf das Monument des Unbekannten Soldaten verstellen. An ihnen vorbei paradiert zunächst eine Abteilung Panzer. Die Erinnerung an die Panzer, die am 17. November 1973 in die Polytechnische Universität rollten und den Aufstand der Studenten blutig beendeten, kommt den meisten hier vermutlich nicht in den Sinn, vor allem nicht den jüngeren Besuchern, die diese riesigen Spielzeuge bestaunen, ohne zu ahnen, was sie an Staatsausgaben und korrupten Geschäften bedeuten.
Dann folgen die Sondereinheiten der Armee. »Macht mal Platz, der Herr will seinen Sohn sehen!« schreit eine ältere Dame und schafft Platz in der Menge. Der Mann tritt vor und holt seine Digitalkamera heraus. Endlich findet er einen guten Blickwinkel für das Foto, das das Wohnzimmer dekorieren dürfte.
Unter dem Dröhnen der Militärhubschrauber und der Luftwaffe marschieren verschiedene Sondereinheiten, die eigenmächtig nationalistische Lieder gegen Mazedonien skandieren. »Ist das so üblich?« fragen wir einen älteren Herrn, der seit vielen Jahren die Parade besichtigt. »Nicht wirklich«, antwortet er gleichgültig, aber er lässt sich davon die Laune nicht verderben. Als nächstes sind die Kampftaucher dran, eine kahlgeschorene Truppe, der viele Mitglieder von Chrysi Avgi angehören. »Unser Traum ist es, in Istanbul einzumarschieren, die Fahne hochzuheben, die Nationalhymne zu singen«, rufen sie laut. Am Straßenrand wird geklatscht.
Nach der Parade sind die Volkstänze dran. Die Armeekapellen bleiben im Regen stehen und spielen Marschmusik. Trachtengruppen, die aus ganz Griechenland auf Kosten des Verteidigungsministeriums angereist sind, führen Volkstänze auf, begleitet von Klarinettenmusik. »Schade, dass die Sonne nicht scheint«, beschwert sich eine ältere Dame, »dann wäre es so schön wie Ostersonntag gewesen.« Ursprünglich gab es die Idee, auch Gegrilltes zu verteilen, darauf wurde aber aus finanziellen und religiösen Gründen verzichtet, es ist schließlich Fastenzeit.

Bis auf vereinzelte Kritik von einigen Syriza-Abgeordneten in den sozialen Medien war die Aufregung angesichts des nationalistischen Spektakels nicht groß, von offizieller Missbilligung durch die politische Klasse ganz zu schweigen. Kammenos verkündete, er sei so zufrieden mit der aufrechten Parade im Regen, dass er alle beteiligten Soldaten mit einem fünftägigen Urlaub belohnen wolle. Das Brot fehlt zwar nach wie vor, aber die Spiele waren erfolgreich.
Die ganze Veranstaltung sei so abgelaufen, wie man es aus der Zeit der Militärjunta kannte, war der Tenor vieler Kommentare im Internet. »Nur die chlamys (antiker Schulterumhang, Anm. d. Red.) haben diesem Kitsch gefehlt«, hieß es in einer offiziellen Stellungnahme der linksliberalen Partei To Potami.
Matsch und zertretene Fähnchen bestimmen die Szenerie, als die Show vorbei ist. Einem älteren Mann in kurzen Hosen ist die nationale Stimmung noch nicht vergangen. Er tanzt alleine mitten auf der leeren fünfspurigen Panepistimiou-Straße, die zum Omonia-Platz führt.
»Das Volk ist die Armee«, hatte Kammenos bereits vorher erklärt und hinzugefügt, dass die »Aufwertung« der Parade durch die anschließende Volksfeier auf die volle Zustimmung des Ministerpräsidenten gestoßen sei.
Die Gestaltung des Feiertags diente auch außenpolitischen Zwecken. »Wir wollen durch die starke Publikumspräsenz eine klare Botschaft ins Ausland schicken: dass wir nämlich ein souveräner Staat sind, in dem ein vereintes Volk den Respekt vor seiner Souveränität beansprucht«, so der Verteidigungsminister.
Das Volk vereint bei Panzern und Volksmusik. Eine große Errungenschaft der neuen Regierungskoalition: Die Gitter waren weg, die Hubschrauber flogen tief, linke und rechte führende Politiker konnten ohne Angst vor der – diesmal applaudierenden – Bevölkerung die Show der Streitkräfte bestaunen.
»Heute darf man nicht vergessen, dass unserem Volk nichts geschenkt wurde. Alles wurde erkämpft. Wenn ein Volk entschlossen etwas beansprucht und recht hat, wird es unabhängig von der Stärke seiner Gegner alles erreichen«, verkündete Tsipras im Anschluss an die Parade.
Der Anlass des griechischen Befreiungskampfes schien optimal zu einer Inszenierung nationaler Einheit zu passen. Obwohl kritische Stimmen immer behauptet hatten, dass die Revolte von 1821 ein Klassenkonflikt war, in dem die griechischen Proletarier gegen ihre Ausbeutung durch türkische und griechische Fürsten aufbegehrten, spricht die herrschende Staatsdoktrin nicht nur von einem nationalen Aufstand, sondern sieht darin die Geburtsstunde des neugriechischen Staats.
Die Heldenfiguren jenes Befreiungskampfes wurden von den stalinistischen Köpfen der griechischen Guerilla während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg und des anschließenden Bürgerkriegs vereinnahmt, um nationale Kontinuität herzustellen und sich im patriotischen Wettbewerb gegen ihre rechten Konkurrenten durchzusetzen. Diesem Muster folgten sogar die Mitglieder der Stadtguerilla-Gruppe 17. November, die ihre politischen Vorfahren auch im Nationalbefreiungskampf von 1821 suchten.
Insofern hatte Kammenos gar nicht so unrecht, als er sagte, die Feierlichkeiten am 25. März sollten niemanden verwundern: »Nicht nur Kolokotronis (Held des Befreiungskampfs, Anm. d. Red.), sondern auch Velouchiotis (linker Guerillero, Anm. d. Red.) haben doch Volkstänze getanzt. Was hätten sie sonst tanzen sollen? Etwa Rock’n’Roll?«