In der Ukraine sollen neue Gesetze den Nationalismus stärken

Bedenkliches Gedenken

Das ukrainische Parlament verabschiedet Gesetze, die den ukrainischen Nationalismus stärken sollen.

Es fehlt nur noch die Unterschrift von Präsident Petro Poroschenko. Dann könnten die vier Gesetze zu Geschichte und Erinnerung, die das ukrainische Parlament am 9. April verabschiedet hat, in ein paar Wochen in Kraft treten. Ob dies tatsächlich geschieht, ist jedoch unklar, denn zwei der Gesetze sind höchst umstritten. Es geht um das Gesetz über die »Verurteilung des kommunistischen und des nationalsozialistischen Regimes in der Ukraine und das Verbot der Propaganda ihrer Symbole« und jenes über »den Rechtsstatus und die Ehrung der Kämpfer für die ukrainische Unabhängigkeit im 20. Jahrhundert«. Das erste verurteilt den »verbrecherischen Charakter des kommunistischen totalitären Regimes 1917–1991« und verbietet die öffentliche Verwendung seiner Symbole, wie die Wappen der UdSSR, Hammer und Sichel und die sowjetische Hymne. Bei einem Verstoß dagegen drohen fünf Jahre Gefängnis, bei »erschwerenden Umständen« sogar zehn Jahre.
Dabei verfuhren die Autoren des Gesetzes höchst inkonsequent. Während die Liste der zu verbietenden kommunistischen Symbole zwei Seiten umfasst, beschränkt sich die Liste der verbotenen nationalsozialistischen Symbole auf nur wenige Zeilen. Darunter findet man weder die Symbole der SS-Division »Galizien« noch die »Wolfsangel«. Ein mit letzterer bedrucktes T-Shirt trug einer der Autoren des Gesetzes, der Neonazi Ihor Mosijtschuk, sogar jüngst bei seinem Auftritt bei einem ukrainischen Fernsehsender. Unter anderem verwendet auch das rechtsextreme ukrainische Regiment Asow eine Wolfsangel als nazistisches Symbol.
Die Abteilung für Rechtsexpertise, die jeden Gesetzentwurf überprüft, bevor er dem Parlament vorgelegt wird, hatte angemerkt, dass das Gesetz mehrfach gegen die ukrainische Verfassung verstoße. Paradoxerweise schränkt das Gesetz mehrere demokratische Freiheiten ein, für deren Einschränkung es gleichzeitig das »verbrecherische kommunistische Regime« verurteilt, darunter die Meinungs- und Pressefreiheit sowie den politischen Pluralismus.

Das zweite Gesetz will diejenigen bestrafen, die »den Kämpfern für die Unabhängigkeit der Ukraine« mit »Verachtung« begegnen. Zu den Kämpfern zählt das Gesetz auch die Mitglieder der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) und der Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA). Die Rotarmisten, die die ukrainische Sowjetrepublik von den deutschen Besatzern befreiten, werden im Gesetz nicht erwähnt.
Obwohl das nazistische Deutschland das Projekt des ukrainischen Marionettenstaats ablehnte, der Führer der ukrainischen Nationalisten, Stepan Bandera, von Juli 1941 bis September 1944 in einem KZ inhaftiert war und bis zu vier Fünftel der Führung der OUN 1941 und 1942 erschossen wurden, machen diese und ähnliche Umstände den ukrainischen »integralen Nationalismus« der dreißiger und vierziger Jahre keinen Deut unterstützenswert. Ukrainische Nationalisten halfen den Deutschen bei der Vernichtung von Jüdinnen und Juden. Was sie von und mit den deutschen Besatzern gelernt hatten, half ­ihnen später bei der Vernichtung der polnischen Bevölkerung in Wolhynien. 1943 führte die UPA zwar die heftigsten Kämpfe gegen Nazi-Deutschland, aber in diese Zeit fallen auch ihre größten Verbrechen an der Zivilbevölkerung.

Der gegenwärtige Versuch der ukrainischen Regierung, das Erbe des historischen ukrainischen Nationalismus in einen positiven Bezugspunkt für die ukrainische Identität umzudeuten, stößt auf keinen nennenswerten Widerstand. Die ukrainische Mehrheitsgesellschaft ist nach wie vor nicht bereit, sich mit der Beteiligung ukrainischer Nationalisten am Holocaust auseinanderzusetzen, und klammert sich an den Mythos vom ukrainischen Volk als unschuldigem Opfer fremder Mächte.
An Orten, wo die ukrainische Bevölkerung in den ersten Wochen der deutschen Besatzung Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung verübte, finden sich keine Gedenkstätten. Die Straßen mehrerer westukrainischer Städte, die Anfang der vierziger Jahre mehr jüdische als ukrainische Einwohner hatten, tragen heutzutage die Namen nationalistischer Anführer, die für eine ethnisch homogene Ukraine eintraten. Einige ehemalige Synagogen wurden in Kirchen umgewandelt, ohne dass daran erinnert wird. Es geht so weit, dass die Opfer der Massenmorde an Jüdinnen und Juden, an denen sich ukrainische Nationalisten beteiligten, als Opfer des Stalinismus ausgegeben werden.

Doch die Westukraine ist nicht das einzige Problem. Auch die andere, prostalinistische Seite verklärt historische Verbrechen. Das zeigen beispielsweise die Errichtung eines Stalin-Denkmals in der südukrainischen Stadt Saporischschja 2009 oder die Rechtfertigung der Verfolgung und Ermordung von Krimtataren durch prorussische Aktivisten.
Einer Studie des Rechtsextremismusforschers Wjatscheslaw Lichatschow zufolge erlebte die Ukraine 2014 die höchste Zahl an antisemitischen Vorfällen der vergangenen zehn Jahre. Von 23 registrierten Fällen von antisemitisch motiviertem Vandalismus ereigneten sich jedoch nur drei in der Westukraine, davon kein einziger in Galizien, das als Hochburg des ukrainischen Nationalismus gilt. Die meisten Vorfälle ereigneten sich in der Süd- und Ostukraine, in zwei Fällen wurden bei der Beschmierung jüdischer Denkmäler sogar sowjetische Symbole verwendet.