Berlin Beatet Bestes. Folge 293

Akute Suchtgefahr

Berlin Beatet Bestes. Folge 293. Squoodge Records.

Noch immer werde ich gelegentlich gefragt, wo ich denn Schallplatten kaufe. Natürlich habe ich meine Lieblingsgeschäfte, aber mir fallen Platten auch unvermittelt zu. Das ist so wie mit Drogen. Wenn bekannt ist, dass du dich dafür interessierst, dann werden dir auch manchmal einfach so welche angeboten. Am vergangenen Dienstag kam ich um halb eins aus dem Berliner Bassy-Club und ging noch kurz zum Spätkauf an der Ecke Schönhauser Allee und Torstraße, um mir Zigaretten zu holen. Plötzlich entdeckte ich ein bekanntes Gesicht in der Kassenschlange: »Hallo Roland!« »Hey Andi, das ist ja schön, dich hier zu treffen! Du, hast du einen Moment Zeit? Komm doch kurz mit zu uns nach Hause. Ele würde sich sehr freuen.« »Ich bin echt müde. Ich habe grade vier Stunden getanzt.« »Ach komm! Wir wohnen gleich um die Ecke. Nur für 20 Minuten.«
Roland und seine Frau Ele hatten zu Hause Platten gehört und Bier getrunken, er war kurz rausgegangen, um Nachschub zu holen. Im gemütlichen, von Plattenregalen eingerahmten Wohnzimmer, saßen wir drei dann noch bis halb vier zusammen und quatschten über die konservative Rock ’n’ Roll-Szene, das bevorstehende 10jährige Jubiläum von Rolands Squoodge-Label und über die Schwierigkeiten, ein kleines Indie-Label zu betreiben. Am Schluss drückte mir Roland noch einige seiner jüngsten Veröffentlichungen in die Hand.
Squoodge begann als Single-Label, spezialisierte sich dann zunehmend auf Miniauflagen in immer kunstvollerer Gestaltung und experimentierte mit Vinyl-Formaten und Formen. Zwischen den Genres Punk und Rock ’n’ Roll beheimatet, tauchten auch EA80, Die tödliche Doris und immer wieder Billy Childish auf, in allen seinen Inkarnationen. Weil das Betreiben des Labels selbst zur Kunst wurde, schien dabei die Musik gelegentlich in den Hintergrund zu treten. Die neuen Platten auf Squoodge zeichnen sich weiterhin durch eine liebevolle Gestaltung aus, der Song spielt jedoch eine deutlich größere Rolle.
Alle drei Singles enthalten ausnahmslos Hits, die jeder DJ und Plattenladenangestellte auflegen kann, um gefragt zu werden: »Was war das denn gerade für ein Lied?« Carl Perkins’ Rockabilly-Klassiker »Dixie Fried« und Bo Diddleys Blues-Rocker »Who Do You Love?« werden von Dr. Bontempi’s Snake Oil Company in lässigen Western-Swing-Versionen gespielt. Eine Spur Western-Swing ist auch in den gelungenen Eigenkompositionen »Boom Boom« und »Garbage« der Wiener Rockabilly-Band Fia Sco & The Majestics zu hören. Die tollen, eindringlichen Songs des irischen Singer/Songwriters Travis O’Neill erinnern hingegen an den frühen Elton John. Und jetzt nicht gleich gähnen. Hört euch erst mal den frühen Elton John an! Der ultra-produktive Billy Childish spielt zwar bei den Spartan Dreggs nur noch Bass, aber dafür, dass der Mann seit über 30 Jahren Sixties-Sound macht, klingt »Archeopteryx vs. Coelacanth« erstaunlich progressiv. Trixie Trainwreck ist eine One-Woman-Band, spielt Schlagzeug und begleitet sich gleichzeitig auf der Gitarre und am Gesang. »Bound to Ramble« ist ein guter Einstieg für alle, die es mal mit einer zeitgenössischen Rock ’n’ Roll-Platte versuchen wollen. Aber Vorsicht: macht süchtig!
Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.