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Im historischen Rückblick lässt sich erkennen, wie ungerecht die Welt ist und wie wenig Weitblick die meisten Journalisten haben. So wurde im März 1997 viel über die Schaffung des Neuen Marktes, eines gesonderten Börsensegments, berichtet, inklusive zahlreicher Prophezeiungen über die schöne Zukunft, die er uns allen bescheren sollte. Im April verkündete Bundespräsident Roman Herzog: »Durch Deutschland muss ein Ruck gehen.« Auch darüber wurde viel berichtet und gelobhudelt, rückblickend könnte man die Rede fast als Vorzeichen betrachten, aber vermutlich hatte Herzog anderes im Sinn als die Gründung einer Wochenzeitung namens Jungle World. Diesem Ereignis wurde ungebührlich wenig Aufmerksamkeit zuteil. Wäre damals gewettet worden, ob der Neue Markt oder die Jungle World zuerst Pleite machen würde, hätten alle auf uns getippt. Es war dann der Neue Markt, der 2003 geschlossen wurde, während die Jungle World in diesen Tagen 18 Jahre alt wird. Eine Grußadresse von Roman Herzog ist nicht eingetroffen, aber viele Glückwünsche können Sie auf den Seiten 10 und 11 ­lesen. Und wir beglückwünschen auch Sie, liebe Abonnentinnen und Abonennten, zu Ihrer weisen Entscheidung, der Jungle World aus den Windeln geholfen und ihr über die Pubertät hinaus das Überleben ge­sichert zu haben, obwohl wir Sie so selten mit Prophezeiungen einer schönen Zukunft erfreuen konnten. Wir werden zwar nie unseriös genug sein, um von Investoren mit Millionen überschüttet zu werden, ge­loben aber, renitent und unerziehbar zu bleiben.
Hier arbeiten weiterhin Redakteurinnen und Redakteure aus dem Kreis der founding fathers & mothers, aber es gibt nun auch Menschen bei uns, die 1997 gerade Lesen gelernt hatten. »Ich bin mit Bigbeatland aufgewachsen«, sagt etwa ein Layouter zum Erstaunen der Generation Donald Duck. Aber in der Betriebswirtschaft gilt das Multigenerationenunternehmen ja als Win-win-Partnerschaft und es soll immer wieder ein Ruck durch die Zeitung gehen. Schließlich gibt es zwar Dinge, die uns seit damals erhalten geblieben sind, etwa die Wirtschaftsesoterik (der Neue Markt heißt jetzt Industrie 4.0), aber es stellen sich auch neue Fragen und Herausforderungen. Darüber auf Veranstaltungen zu diskutieren, gehört seit der ersten ­legendären Release-Party 1997 zur Tradition der Jungle World. Im Rahmen der Linken Buchtage Berlin moderiert Doris Liebscher am 5. Juni um 20 Uhr »Positionieren schwer gemacht. Der Ukraine-Konflikt und die Linke« mit Ute Weinmann und Ilia Ryvkin. Zwei Stunden vorher diskutiert unser Autor Carl Melchers mit Michael Knapp und Blair Taylor über die Revolution in Rojava (in englischer Sprache). Wie üblich an einem jugendgefährdenden Ort, im »Clash« (Mehringhof).