Die Misshandlungen von Flüchtlingen häufen sich

Prügel für Flüchtlinge

Die Misshandlung von Flüchtlingen auf einer Wache der Bundespolizei in Hannover erinnert an die Folterskandale in nordrhein-westfälischen Flüchtlingsunterkünften.

Im Zuge der Ermittlungen gegen einen 39jährigen Bundespolizisten aus Hannover wegen der Misshandlung von Flüchtlingen in Polizeigewahrsam kam nun heraus, dass Vorgesetzte aus der betroffenen Wache bereits vor Monaten die Direktion der Bundespolizei Hannover darum baten, ein Ermittlungsteam mit der Aufklärung der Vorfälle zu beauftragen. Wie der Spiegel berichtete, lagen hinreichend Informationen vor, wonach sich vor allem in einer Dienstgruppe die Zwischenfälle häuften. Doch es geschah nichts.
Erst Anfang Mai erstatteten zwei Polizisten bei der Staatsanwaltschaft Hannover Anzeige gegen einen Kollegen. Der Vorwurf: Torsten S. soll zwei Flüchtlinge in Polizeigewahrsam misshandelt und einem Kollegen eine Waffe an den Kopf gehalten haben. Das belegt unter anderem eine vom NDR zitierte Whatsapp-Nachricht, in der sich der Beschuldigte mit seinen Taten brüstet: »Hab den weggeschlagen. Nen Afghanen. Mit Einreiseverbot. Hab dem meine Finger in die Nase gesteckt. Und gewürgt. War witzig. Und an den Fußfesseln durch die Wache geschliffen. Das war so schön. Gequiekt wie ein Schwein. Das war ein Geschenk von Allah.« Der Afghane war im März vorigen Jahres von den Beamten wegen geringfügiger Verstöße aufgegriffen worden, unter anderem soll er ohne Pass unterwegs gewesen sein.

Das andere Opfer, ein Marokkaner aus Tanger mit Duldungsstatus, war im September 2014 in einem Regionalexpress ohne Fahrschein unterwegs, bei seiner Durchsuchung wurden der Polizei zufolge geringe Mengen Marihuana in seinen Socken gefunden. In der Gewahrsamszelle der Bundespolizei sei es dann zu Übergriffen gekommen. Vor Schmerzen habe der Gefangene so laut geschrien, dass ein Vorgesetzter »ihn oben gehört hat«, zitiert der NDR aus einer Kurznachricht. Ein Foto, das mit dem Handy des beschuldigten Bundespolizisten aufgenommen wurde, zeigt den mit Handschellen gefesselten Flüchtling in gekrümmter Haltung und mit schmerzverzerrtem Gesicht am Boden liegend. Das Foto widerlegt die Theorie, wonach es sich nur um einen Einzeltäter handelt, da zumindest Stiefel eines weiteren Polizisten darauf deutlich zu erkennen sind. Der Marokkaner wurde darüber hinaus gezwungen, Schweinemett vom Boden zu essen. »Dann hat der Bastard erst mal den Rest gammeliges Schweinemett aus dem Kühlschrank gefressen«, schrieb der beschuldigte Beamte einem Kollegen. Dem NDR zufolge handelt es sich dabei nicht um Einzelfälle, ein weiterer Insider habe dem Sender von weiteren Vorfällen berichtet.
Die Staatsanwaltschaft Hannover hat die Berichterstattung der Medien kritisiert. Es sei nicht wünschenswert, »dass alle diese Vorwürfe einzeln schon in den Medien breitgetreten werden«, sagte Oberstaatsanwalt Thomas Klinge dem Evangelischen Pressedienst. Für die Ermittlungen sei es nicht hilfreich, »dass sämtliche Zeugen, die wir vernehmen wollen, sich schon darauf vorbereiten können«. Klinge kritisiert auch die beiden Bundespolizisten, die durch ihre Anzeige überhaupt erst auf die Misshandlungen aufmerksam machten, weil »die sich offensichtlich lieber zunächst im Fernsehen vernehmen lassen«. Bei Hausdurchsuchungen in der Dienststelle des Bundespolizisten in Hannover und in dessen Privathaus fanden die Ermittler eine möglicherweise illegale Waffe. »Diese wird jetzt untersucht, wir müssen schauen, ob es nur eine Schein­waffe ist oder ob sie auch scharf ist«, äußerte die Staatsanwaltschaft. Die Behörde versuche, so schnell wie möglich die beiden Opfer ausfindig zu machen. »Ihrer Anschrift zufolge sind sie noch in Deutschland, wir prüfen derzeit, ob dies so ist«, zitiert die Westdeutsche Allgemeine Zeitung Klinge. Der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl gehen die Ermittlungen nicht weit genug. Sie verlangt eine Ausweitung auf die Kollegen des Beschuldigten. »Der Skandal im Skandal ist die Tatenlosigkeit der Mitwisser in Polizeiuniform«, begründet der Geschäftsführer, Günter Burkhardt, die Forderung. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoğuz (SPD), erwartet von der Bundespolizei, »über den Einzelfall hinaus Konsequenzen (zu) ziehen«. Die Polizeibehörde solle »unmissverständlich klarstellen, dass sie ein solches menschenverachtendes Verhalten in ihren eigenen Reihen« nicht toleriere.

In Nordrhein-Westfalen hat die Staatsanwaltschaft gegen mehr als 50 Personen Ermittlungen wegen der Misshandlung von Flüchtlingen in einer Notunterkunft in Burbach im vergangenen Jahr eingeleitet. Eine Vielzahl von Straftaten sei im Rahmen von Zeugenbefragungen bekannt geworden. »Wir ermitteln wegen Freiheitsberaubung, Körperverletzung und Nötigung«, erklärte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft in Siegen. Neben den mutmaßlichen Tätern sollen auch Sozialbetreuer, die Heimleitung und Polizisten von den Übergriffen gewusst haben, ohne eingeschritten zu sein. Auch gegen zwei Bedienstete der Bezirksregierung Arnsberg bestehe ein Anfangsverdacht der Freiheitsberaubung und Nötigung durch Unterlassung. »Langsam kommt Licht ins Dunkel«, sagte Frank Herrmann, der für die Piratenpartei im nordrhein-westfälischen Landtag sitzt. Auf der Homepage des Kölner Kreisverbandes der Partei wird berichtet, dass in Nordrhein-Westfalen 68 Verfahren gegen Sicherheitsleute, Mitarbeiter und Beauftragte der landeseigenen Einrichtungen allein von Januar 2013 bis September 2014 eingeleitet worden seien.
Die meisten Vorfälle sollen in Dortmund stattgefunden haben. In acht Einrichtungen kam es der Homepage zufolge zu Straftaten, unter anderem Körperverletzung. Mindestens gegen 73 Sicherheitsbeamte und sonstige Mitarbeiter werde als Beschuldigte ermittelt. Betroffen davon seien auch kommunale Einrichtungen in Köln und Dortmund. »Das Traurige ist, dass diese neuen schrecklichen Erkenntnisse nur einmal mehr zeigen, dass die Landesregierung die Menschen im Stich gelassen hat – so lange bis die Situation eskalierte. Das wäre mit verbindlichen Standards und der Wahrnehmung der Aufsichtspflicht nicht passiert«, kritisiert Herrmann.

Auch in Berlin beklagen Flüchtlinge regelmäßig die Zustände in den Unterkünften für Asylbewerber. Derzeit erheben Bewohner einer Neuköllner Unterkunft in der Haarlemer Straße Vorwürfe, in der es Berichten der Taz und der Berliner Zeitung zufolge bereits kurz nach der Eröffnung im März vorigen Jahres in mehreren Räumen schimmelte, über Monate die Brandschutzanlage nicht abgenommen wurde und Sozialarbeiterstellen unbesetzt blieben. Wachleute sollen gegen ein Paar vorgegangen sein und dieses »geschlagen, geohrfeigt, stranguliert und geschubst« haben. Dem Neuen Deutschland zufolge wurde eine nigerianische Bewohnerin vom Sicherheitsdienst nicht in das Heim gelassen, weil sie ihre Ausweiskarte nicht vorweisen konnte. Demnach hatte sie nach eigener Aussage ihr Portemonnaie verloren und wollte zu ihrem zwei Monate alten Kind ins Heim zurückkehren. Doch das Personal habe sie nicht auf das Gelände gelassen. Die Situation sei eskaliert, als ihr Freund aus dem Heim hinzukam. Das Paar sowie die zwei Sicherheitsmänner seien danach im Krankenhaus ambulant behandelt worden. Der Betreiber der Unterkunft, die Firma Pewobe, verweist darauf, dass die Gefahr eindeutig vom Bewohner ausgegangen sei. Der Wachmann habe »lediglich versucht, sich aufgrund der Würg- und Bissattacken im Rahmen des Zulässigen zu wehren«, sagte eine Mitarbeiterin der Taz. Mitte vorigen Jahres habe man mit einer Umstellung bei der Beauftragung externer Firmen begonnen und achte seitdem »zunehmend auf die Qualität der Wachschutzunternehmen«.