Die Debatte um BND und NSA in Frankreich

Vom Hering verraten

Auch in Frankreich wird über den BND-NSA-Skandal berichtet. Doch die Regierung hält sich zurück, die Opposition sorgt sich derweil um die nationale Souveränität.

Als bekannt wurde, dass der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) von Bad Aibling aus der NSA beim Ausspähen von Politikern und Unternehmen im europäischen Ausland geholfen hat, wurde darüber auch in Frankreich berichtet. Die französischen Politiker hielten sich hingegen bedeckt. Am 27. April erklärte das Außenministerium lediglich, die Regierungen in Paris und Berlin stünden »in engem Kontakt«, um die Sache aufzuklären. Am Wochenende sagte eine anonyme »ministerielle Quelle« in Le Monde, Anfang Mai hätten »geharnischte Aussprachen« hinter den Kulissen stattgefunden.
Ein Grund für diese verbale Zurückhaltung, die sich auch in der Haltung der meisten bürgerlichen Medien widerspiegelt, liegt in der hohen strategischen Bedeutung der als »deutsch-französische Freundschaft« bezeichneten zwischenstaatlichen Zusammenarbeit für das politische Establishment Frankreichs. Obwohl das Land im ersten Quartal des laufenden Kalenderjahrs ausnahmsweise zum Spitzenreiter beim Wirtschaftswachstum unter den EU-Kernstaaten wurde, allerdings mit mageren 0,6 Prozent, liegt die Nationalökonomie deutlich abgeschlagen hinter der deutschen. Die Gründe dafür sind mannigfaltig, einer liegt darin, dass Deutschland von der Grenzöffnung in Richtung Zentral- und Osteuropa nach 1989 aus geographischen und historischen Gründen ungleich stärker profitiert hat. Hinzu kommt, dass die französischen Entscheidungsträger sich lange auf ihrer neokolonialen Macht in Afrika ausruhten, was ihnen billige Rohstoffe einbrachte, jedoch nicht zur Modernisierung des Produktionsapparats beitrug.

Weiterhin kultivieren zumindest Teile der französischen Führungsschicht einen Minderwertigkeitskomplex gegenüber Deutschland. In den vergangenen Jahren stellte sich angesichts der Euro-Krise vorübergehend die Frage, ob Frankreich eher mit den südeuropäischen Ländern gegen die deutsche Krisenpolitik oder mit Deutschland gegen Südeuropa zusammenhalten solle. Kurz nach François Hollandes Wahl zum Präsidenten schien es kurzzeitig, als wolle er mit Spanien unter Manuel Rajoy und Italien unter Matteo Renzi eine innereuropäische Blockbildung versuchen. Diese Politik wurde jedoch zugunsten einer Juniorpartnerschaft mit Deutschland schnell wieder aufgegeben.
Selbst der Front National, der zwar aus ideologischen Gründen Deutschland tendenziell eher bewundert, doch andererseits gern nationalistische Argumente gegen Brüssel und Berlin ins Feld führt, verhielt sich in jüngerer Zeit relativ ruhig zu der NSA-BND-Affäre. Der FN-Abgeordneter Gilles Lebreton durfte allerdings im Europaparlament herumpoltern: »Deutschland hat Frankreich und seine europäischen Partner zugunsten der USA verraten« und »die EU instrumentalisiert, um sie in den Dienst amerikanischer Interessen zu stellen«. Er stellte allerdings keine primär gegen Deutschlands Rolle in der EU gerichtete Forderung, sondern sieht in dem Spionage­skandal einen weiteren Grund, auf das geplante Freihandelsabkommen TTIP zu verzichten.
Am anderen Ende des politischen Spektrums ging der Linksnationalist und linke Sozialdemokrat Jean-Luc Mélenchon, dessen kleine Linkspartei (PG) mit der französischen KP verbündet ist, stärker in die Offensive. Er forderte Ende April die gleichzeitige Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses und die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens der Justiz, »um volle Aufklärung über diese Angriffe auf die Souveränität Frankreichs« zu gewährleisten. Kurz darauf erschien Mélenchons Buch »Le hareng de Bismarck« (Der Bismarckhering), in dem er die deutsche Politik und Gesellschaft aufs Korn nimmt. Manche im Ansatz richtige Kritik an der deutschen Hegemonialpolitik mischt sich dabei mit viel Ressentiment und karikaturhaften Ausführungen, denen zufolge in Deutschland soziale Verhältnisse quasi wie in einem Land der Dritten Welt herrschen und zugleich »Umweltverschmutzung einen Nationalsport« darstelle, weil alle große Autos fahren würden. In der Linken rief das Buch viel Kritik hervor, allerdings zum Teil, wie bei den traditionell EU-freundlichen Grünen, auch wegen des etwas naiven Wunsches, durch Annäherung an Deutschland einen überkommenen Nationalismus abzustreifen.

Nicht zum Scherzen aufgelegt waren unterdessen manche Unternehmen, die im Zusammenhang mit den mutmaßlichen Ausspähungen Wirtschaftsspionage befürchten. Am 30. April kündigte das europäische, überwiegend deutsch-französische Konsortium Airbus eine Strafanzeige gegen Unbekannt wegen »Spionage« an und forderte Informationen von der deutschen Regierung.
Dass es in Frankreich insgesamt vergleichsweise ruhig zur BND-NSA-Affäre blieb, hängt unter anderem damit zusammen, dass die Aufmerksamkeit auf die innenpolitischen Vorhaben und Praktiken der französischen Nachrichtendienste gerichtet war. Bereits 2013 stellte sich anlässlich der ersten Enthüllungen von Edward Snowden über das Prism-Programm der NSA heraus, dass Frankreichs Nachrichtendienste vergleichbare Überwachungstechniken praktizierten, wenngleich auf quantitativ niedrigerem Niveau (Jungle World 36/2013). Dieses soll angehoben werden, das am 5. Mai dieses Jahres in erster Lesung verabschiedete Gesetz zur Nachrichtenerfassung (Jungle World 17/2015) sorgte für eine breit geführte innenpolitische Debatte.
Dazu passend enthüllte Le Monde am Samstag, dass im Rahmen der bilateralen Zusammenarbeit zwischen französischen Nachrichtendiensten und dem BND unter anderem Frankreichs Regierung und Nachrichtendienste das Abhörzentrum in der Mangfall-Kaserne in Bad Aibling belieferten, das Erkenntnisse an die NSA weiterreichte.