Antideutsche Politik steckt in der Sackgasse

Den Pudding an die Wand nageln!

Facebook-Gruppen, Katzen-Memes mit Davidstern, Profilbilder mit Israel- und USA-Fahnen und öffentliche Events, die sich irgendwie »gegen Deutschland« richten. Ist das alles, was antideutsche Kritik heute zu bieten hat? Da geht mehr: Interventionen in den deutschen Alltag erfordern eine verbindliche Organisierung jenseits von Zynismus und identitärem Kitsch.

Es ist Montagabend, im Fernsehen jagen amerikanische Ermittler-Teams, mit allen technischen Raffinessen ausgerüstet, im tausendsten Fall den fiesen Mörder. Draußen ist es dunkel und kalt. Frühling in Deutschland. Irgendwo am Horizont brennt ein gerade eröffnetes Flüchtlingsheim. In den Nachrichten erzählen ahnungslose Krawattenträger etwas von einer erneuten Katastrophe im Mittelmeer. Es folgt, selbstverständlich, das Wetter. Auf der Straße halluzinieren sich wieder einige Tausende als völkische Massenbewegung. Die Antifa GmbH hält, ganz im Sinne des neuen Deutschland, fest dagegen. In der »Anstalt« schauspielert man am Tag darauf derweil beflissentlich Betroffenheit. Was genau spricht eigentlich nochmal gegen den Rückzug ins Private?
Während man dieser unerträglichen Scharade zusieht, wächst allerdings mit jeder Minute die innere Zerrissenheit zwischen Apathie, Ohnmacht und Wut. Diese Gräben lassen sich kurzfristig überbrücken, mit den unterschiedlichsten Drogen, unermüdlicher Arbeit oder der Organisation von wahnsinnig vielen politischen Aktionen. Aber am Ende steht einem trotzdem der Rhein bis zum Hals. Weil einem entweder der Frust über die eigene Bedeutungslosigkeit, der überbordende Zynismus oder die Drogen immer mehr zusetzen. Das Ergebnis ist fast immer gleich: die endgültige Aufgabe, das Erlahmen des Widerstandes gegen den eigenen Wahnsinn. Die Qual der Wahl fällt allerhöchstens noch schwer, wenn hinsichtlich der Abendunterhaltung zwischen »Navy CIS« oder »Big Bang Theory« entschieden werden muss. Denn als Menschen ohne Eigenschaften vegetieren viele lieber langsam vor sich hin, statt endlich die geballte Faust aus der Tasche zu nehmen und in das Gesicht zu schlagen, das es längst verdient hat.
Letzten Endes gerinnen persönliche Ansichten ebenso wie der distanzierte Zynismus zu einer verhärteten Identität, die keines politischen Ausdrucks mehr bedarf. Wiederkehrende Rituale antideutscher Antifaschisten, wie Partys am 8. Mai oder regelmäßig stattfindende Vorträge und Diskussionsveranstaltungen, mutieren zu sozialen Events, bei denen man alte Genossen wiedertrifft und das eigene Bild vom aufrechten Antideutschen pflegt. Proteste, wie zuletzt in Berlin gegen eine Veranstaltung des der Hamas nahe stehenden Palestinian Return Center, bedienen das individuelle Bedürfnis, ab und zu öffentlich und im wahrsten Sinne des Wortes »Flagge zu zeigen«. Dabei reicht es völlig, dass der »Feind« sich ein wenig ärgert. Eine kontinuierliche Kritik an den deutschen Verhältnissen ist jenseits der antideutschen Publizistik kaum noch existent. Deshalb braucht es neue Impulse, ansonsten wird jegliche politische Aktivität auf sozialen Mehrwert reduziert. Und die letzten antideutschen Zusammenhänge verkommen zum netten Dienstleister dieses kurzweiligen Vergnügens.

Unter dem Pflaster liegt nur Sand … #realität.
Stellen wir also fest: Antideutsche Politik steckt heute in einer Sackgasse. Aus dieser verzwickten Lage gelingt der Ausbruch nur durch einen beherzten Sprung nach vorn. Es gilt, endlich raus aus der Israel-Fahnen-Anti-al-Quds-Bomber-Harris-Ecke zu kommen. Das Immerwiedergleiche gehört schleunigst eingemottet. Mit der schier endlosen Wiederholung ein- und desselben Spektakels wird letztlich nur das Bedürfnis nach Sicherheit und Selbstvergewisserung bedient. Dabei sind Interventionen gegen den deutschen Alltag notwendiger denn je. Aber bitte nicht mehr so wie bisher! Deshalb hier als allerletzte Durchsage: Es ist mehr als nur zynisch, wenn man gesellschaftliche Widersprüche im postmodernen Kapitalismus sowie die zunehmende Barbarei in den vom Weltmarkt abgehängten Gebieten unter Zuhilfenahme von Katzenbildern oder mittels bunter Einhornmontagen inklusive Davidstern kommentiert.
Wenn antideutsche Inhalte mit den hinlänglich bekannten Symbolen verziert sind, finden sie ausschließlich begeisterte Abnehmer im eigenen Dunstkreis. Nicht nur aus diesem Grund ist anti-deutsche Politik in den vergangenen Jahren zwischen NGOs, Facebook-Gruppen und Universitätsseminaren komplett hängengeblieben. Organisatorisch und inhaltlich in die Defensive gedrängt, mutiert dementsprechend jede spontan organisierte Reaktion zu einer Zurschaustellung des Immerselben. Um dieser eintönigen Tristesse zu entkommen, ließen sich einige im vergangenen Sommer sogar dazu hinreißen, gemeinsam mit mit den Antiimperialisten von »ARAB« über die MLPD bis hin zu »zusammen Kämpfen« für den »kurdischen Widerstand« auf die Straße zu gehen. Um aus diesem Dilemma herauszukommen, hilft nur eine Neuausrichtung, selbstverständlich ohne Aufgabe unserer Kritik an den deutschen Verhältnissen, sowie eine Organisierungsdebatte, zumindest der Organisierung einer Diskussion um die strategische Ausrichtung.
Dabei gilt es, zuerst einmal festzuhalten, was unser großes Faustpfand ist: Antideutsche sind als Feind aller Authochtonen, ob rechts, links oder politisch neutral, wahrlich bekannt. Aber in der Öffentlichkeit haben die Antideutschen ihren Exotenbonus aufgebraucht, außer in der Provinz. Dort ist das Schreckgespenst von den widerspenstigen Volksfeinden immer noch äußerst lebendig. Trotzdem sollte jedem endlich klar werden: Das Immer-wieder-Gleiche führt zu den immer wieder gleichen Reaktionen. In unserem Fall bedeutet das konkret, je öfter die Wiederholung, desto geringer der Erkenntnisgewinn oder die Verärgerung bei den potentiellen Adressaten. Die meisten deutschen Linken sind größtenteils immun gegen die üblichen antideutschen Phrasen, was aus einem jahrelangem Gewöhnungseffekt resultiert. Einstmals kritisch gemeinte Interventionen treffen auf automatisierte Abwehrreflexe. Dieses langweilige Trauerspiel dient einzig und allein der Aufrechterhaltung der eigenen Identität, am Besten weiträumig von der Polizei abgesichert, was am Beispiel der Proteste gegen den al-Quds-Tag jedes Jahr vortrefflich zu beobachten ist. Anstatt Deutschland zum Beispiel in Torgau, Coburg oder Tröglitz zu denunzieren, wird der gute Ruf der Berliner Republik mitten im Herzen der Hauptstadt verteidigt. Gegen den »größten antisemitischen Aufmarsch«, maximal 1 500 Teilnehmer in einem Land mit 80 Millionen Einwohnern, werden monatelang die letzten Reste der Szene mobilisiert. Nach den neuesten Erkenntnissen haben in diesem Land 48 Prozent keine gute Meinung von Israel, bei den 18- bis 29jährigen sind es sogar 54 Prozent. Die israelische Regierung schneidet bekanntlich noch schlechter ab, 62 Prozent der Deutschen bewerten sie negativ. Statistisch gesehen marschieren demzufolge an einem ganz normalen Samstag auf dem Berliner Kurfürstendamm oder im Offenbacher Fußballstadion mehr Antisemiten und Israel-Hasser auf als bei jeder al-Quds Demonstration. Doch selbst solche offensichtlichen Tatsachen werden die Identitären nicht davon abhalten, ihr alljährliches Ritual aufrechtzuerhalten. Ganz im Sinne eines weltoffenen Berlin.

Theorie. Organisation. Praxis! #adab
Es war einmal eine Stärke der Antideutschen, dass sie die unterschiedlichsten Ausdrucksformen deutscher Ideologie nicht nur in Publikationen scharfzüngig denunzierten, sondern dass es ihnen auch gelegentlich gelang, öffentlich wirksam den Finger in die Wunde zu legen.
Wie vor 25 Jahren in Frankfurt am Main. Ziel antideutscher Kritik und Organisation muss auch heute sein, jenseits von Hochschulgruppen, Klamauk und Zeitschriften noch die Waffen der Kritik ins Feld zu führen. Dabei ist nicht nur Kreativität gefragt. Wenn man den Augsteins, Knopps und Max Mustermanns dieses Landes aufs Dach steigen will, dann sind ein Stapel Zeitschriften dafür einfach nicht genug.
Die Reeducation als Praxis, auf die sich Kritische Theorie im Nachkriegsdeutschland spezialisierte, wurde von kleinen, verschworenen Kadergruppen gegen das »Volk williger Knechte, Denunzianten und Zutreiber« vorangetrieben, wie Lars Quadfasel völlig zu Recht in dieser Zeitung feststellte (Jungle World 21/13).
Machen wir uns also nichts vor: Die Chancen standen noch nie besonders gut. Doch das Elend – denn nichts anderes ist diese Melange aus identitärem Gehabe und Zynismus –, das sich in anti-deutschen Kreisen seit geraumer Zeit breitgemacht hat, trägt ein Übriges dazu bei. Endlich wieder den Pudding an die Wand zu nageln, die letzten Reste der vernunftbegabten Antideutschen zu organisieren, ist die Aufgabe, der wir uns derzeit stellen müssen. Nur so ist es möglich, erfolgreiche Interventionen in den deutschen Alltag, wie zuletzt in Tröglitz, zu organisieren.