Die jüngsten Arbeiten des Komponisten William Basinski

Bezwinger der Beschleunigung

Der US-amerikanische Avantgarde-Komponist William Basinski erschuf mit den »Disintegration Loops« ein musikalisches Mahnmal für 9/11. Seine jüngste Veröffentlichung kommt mit weniger Symbolhaftigkeit aus.

Worum geht es dem US-amerikanischen Komponisten William Basinski eigentlich in seinem Werk? Und welche Rolle spielt die Geschichte der Ambient Music? Der Legende nach hat Ambient Music ihren Ursprung in Deutschland. Indirekt wenigstens, denn hier fühlte sich der britische Künstler Brian Eno einst so mies, dass er eine Musik gegen Ärger und Stress erfinden wollte. Der Anlass war banal: Mitte der siebziger Jahre saß Eno auf dem Flughafen Köln/Bonn fest. Kein Vor, kein Zurück und zwischendrin das ewige Schauspiel von zermürbt wartenden und hektischen Menschen. Musik lief hier keine. Zumindest keine, die irgendwie entspannend oder ablenkend zur Milderung der misslichen Lage geführt hätte.
Dieser Erfahrung entstammt das Album »Ambient I – Music For Airports«, das den offiziellen Beginn des Genres darstellt. Ambient ist eine leise, repetitive und sphärische Musik, die sich über lange Strecken entwickelt und zumeist ohne Beats auskommt. Das Augenmerk liegt auf der ruhigen, fast unscheinbaren Atmosphäre. Enos Vorstellungen zufolge sollte »Music For Airports« in Dauerschleife – eben auf Flughäfen – gespielt werden und den Wartenden die Anspannung aus den Gliedern und Köpfen treiben.
Eno versah seine Veröffentlichung mit einigen Anmerkungen. Entscheidend ist, dass er Ambient von Muzak abgrenzte. Die US-amerikanische Firma Muzak Holdings LLC fertigte in großem Stil Gebrauchsmusik für den Alltag. Die Muzak – ein mittlerweile nicht mehr verwendeter Markenname, der zum Synonym seichten Hintergrundgedudels geworden ist – wurde eingesetzt, um die Hörenden unbemerkt zu beeinflussen: Im Supermarkt sollte Muzak die Kunden dahingehend manipulieren, dass sie ihre Einkaufswagen vollluden; in Fabriken sollten die Arbeiter von Muzak angetrieben werden, die in 15minütigen Zyklen bei stetig steigendem Tempo abgespielt wurde. Ob Mu­zak tatsächlich wie beabsichtigt funktionierte, ist unklar. Ambient jedenfalls, so Eno, verfolge andere Ziele. Er solle Raum zum Grübeln lassen und sich nicht einfügen in den größeren Verblendungszusammenhang.
Doch das Lippenbekenntnis alleine genügt nicht, der Grat zwischen Ambient und Muzak ist schmal. Ob ein Ambient-Stück gelingt, hängt davon ab, ob es tatsächlich die Aufmerksamkeit steigert und die Wahrnehmung schärft. Verleitet es zum genaueren Hinhören und -sehen? Niemand trieb die Aufladung der Ambient Music mit Bedeutung so weit, niemand wollte sie so deutlich auch als Politikum nutzen wie der Avantgarde-Komponist William Basinski auf seinen »Disintegration Loops I-IV«. Sie wurden gespielt im Rahmen von Gedenkveranstaltungen am Ground Zero und avancierten in den USA zu einem musikalischen Mahnmal für 9/11. Hymnische Besprechungen folgten, Basinski fand seinen sicheren Platz in den Bestenlisten des Jahrzehnts.
Das alles ist für Ambient recht erstaunlich. Denn der reinen Lehre Enos zufolge habe solche Musik keinen konkreten Inhalt, weshalb er den Stücken auf »Music For Airports« keine Titel verlieh, sondern sie lediglich bezifferte. So trieb er die Entkopplung der Musik von einem bestimmten Gegenstand, Ort und einer spezifischen Zeit voran. Der Plural »Airports« sollte jeden Flughafen zu jeder Zeit meinen.
Erfolgreich wurden die »Disintegration Loops« auch durch die Geschichte, die Basinski über ihre Entstehung erzählt. Er habe damals versucht, alte Tape-Loops, also Endlosschleifen aus Tonband, durch Digitalisierung zu bewahren. Also startete er die Loops, auf denen sich Radiomitschnitte aus den siebziger Jahren befanden, und verließ den Raum. Als er nach einiger Zeit zurückgekehrte, habe er bemerkt, dass sich die alten Magnetbänder langsam zersetzten: Störgeräusche, manchmal völlige Stille fraßen sich in die Aufnahmen. Auf diese Weise hatte Basinski die sprichwörtliche Auflösung des Analogen in die scheinbare Ewigkeit des Digitalen gebannt. Und eine klangliche Metapher für Tod, Zerfall und Trauer geschaffen.
Die Loops sind sehr unterschiedlich. Mal ist ein metallisches Schleifen zu vernehmen, das nach einer halben Stunde der Wiederholung abbricht, um nach Minuten der Stille wieder einzusetzen. Ein anderes Stück besteht aus wenigen Klaviertönen, die nach größter Wehmut und dabei trotzdem wahnsinnig lebendig und, ja, schön klingen.
2002 erschien der erste der vier Teile der »Disintegration Loops«. Basinski sagt, er sei am Morgen des 11. September 2001 mit seiner Arbeit fertig geworden. Im Anschluss habe er mit Freunden auf dem Dach seines Hauses gesessen, den Blick gerichtet auf die brennenden Türme, die bald in sich zusammenstürzen sollten. Im Hintergrund liefen seine Loops. Durch die Fotos der brennenden Twin Towers auf dem Cover des Albums wurden die gewünschten Assoziationen noch klarer. Die »Disintegration Loops« sollten ausdrücklich über eines der schwerwiegendsten und symbolhaftesten politischen Ereignisse seit 1989 sprechen.
Basinski kommt dadurch zu einer Parallelführung, die durchaus gewagt ist, weil ihr eine seltsame Logik zugrunde liegt: Wie die Musik sich auflöst, am Ende von allem die disintegration, der Zerfall steht, so soll sich auch der Schutt der Türme im Rahmen einer umfassenderen Geschichtsdeutung verstehen lassen. Aber an den Magnetbändern nagte schlicht der Zahn der Zeit. Die Türme und die Leichen – das war ein Akt der Gewalt, ein Ergebnis menschlicher Entscheidungen. Durch die so deutliche Verbindung mit 9/11 stattete Basinski seine Musik mit gigantischem Pathos aus – den politischen Prozess aber verschleierte er.
Nun legt William Basinski mal wieder ein neues Werk vor: »The Deluge« beziehungsweise »Cascade«, das eine die LP, das andere die CD. Als Basis dienen erneut wenige geloopte Klaviertöne, kunsthallenkompatibel, angenehm, aber dem ersten Eindruck nach ohne echten Wiedererkennungswert. Nach und nach jedoch verschwimmen die Konturen wunderbar, es wirkt, als zerstäubten die Töne, erst ein Rauschen, dann legt sich ein Pfeifen darüber und aus dem Angenehmen wird, vor allem laut und mit Kopfhörern gehört, ein Klingeln in den Ohren, etwas zu hell und flächig, um wohlig zu bleiben.
Auch hier sind alte Aufnahmen das Ausgangsmaterial, Radioschnipsel aus dem Jahr 1982, die Basinski mit seiner Methode der extremen Verlangsamung wie unter einem Mikroskop sichtbar zu machen scheint. Der größere Kontext vergangener Ereignisse, der Geschichte und des Songs wird ausgeblendet. Wie viel Nostalgie steckt darin? Und wie viel Täuschung?
Basinski geht es offensichtlich um die Verfremdung, die jedem Erinnerungsprozess innewohnt. Immer wieder zieht er große Emotionen aus einem einzelnen Klavierakkord, verhindert aber durch die Filter, das Feedback und die Störgeräusche eine zu große Nähe zum Kitsch. Basinski ist kein Nostalgiker, kein Verklärer der Vergangenheit, wenn er hier alte Aufnahmen in den Mittelpunkt rückt. Im Gegenteil zeigt »The Deluge/Cascade«, dass die Erinnerung schon immer trügerisch war. Es sind Stücke, die anrühren, aber sie ergeben keinen großen, letzten Sinn, sie rufen auch keine eindeutigen, unumstößlichen Bilder hervor. Basinski befasst sich – eben abgesehen von den »Disintegration Loops« – nicht mit einer bestimmten Vergangenheit, um sie ins Verhältnis zur Gegenwart zu setzen. Ihn interessieren Melancholie und Erinnerung als Konstanten. Und nicht zuletzt lädt er dazu ein, genauer hinzuhören, weil die Veränderungen so schleichend geschehen und jede Wiederholung einen Unterschied mit sich bringt. Wenn das Klavier in »Cascade« schon zu verklingen scheint, führt die scheinbare Stille dazu, noch lauter zu stellen.

William Basinski: Cascade/The Deluge (2062/Cargo Records)