Frauenmörder in Ciudad Juárez wurden erstmals verurteilt

Frauenmorde mit System

Im mexikanischen Ciudad Juárez wurden erstmals drakonische Strafen gegen Frauenmörder verhängt. Die Verflechtung krimineller Strukturen in Polizei, Militär, Justiz und Politik vereitelte bislang die Aufklärung von Verbrechen gegen Frauen.

Der mexikanischen Installationskünstlerin Teresa Margolles zufolge ist Ciudad Juárez die Stadt der Arbeit. Ein modernes Metropolis, das nie stillstehe, denn zu jeder Uhrzeit sind ihre Bewohner und Bewohnerinnen emsig am Arbeiten. Die Nachtschichten in den Weltmarktfabriken wurden Frauen ab Anfang der neunziger Jahre zum Verhängnis, als die erste Welle von Frauenmorden über die Grenzstadt hereinbrach. Ein brutaler Backlash beantwortete die neue Selbständigkeit von Frauen als Geldverdienerinnen.
Ausgerechnet das Streben nach Arbeit kostete junge Frauen auch in den vergangenen Jahren das Leben. Falsche Jobangebote lockten sie in die Fänge von Menschenhandelsringen, die sie mitten im Zentrum der Stadt in ihre Gewalt brachten. Ihre Körper wurden wie Müll in ein ausgedörrtes Flussbett im Juárez-Tal außerhalb der Stadt geworfen. Bei einem Polizeieinsatz im Jahre 2012 wurden nur halbherzig mehrere Körper geborgen. Die Zuordnung von DNA-Proben erfolgte erst zwei Jahre später. Im Jahr 2013 fanden angereiste Mütter weitere Knochenreste am Fundort und erreichten einen Polizeigroßeinsatz.
Vorige Woche verkündete ein Gericht des Bundesstaats Chihuahua ein Urteil von jeweils 697 Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe von umgerechnet 47 000 Dollar für alle fünf Angeklagten. Sie hatten elf junge Frauen zwischen 15 und 25 Jahren in den Jahren 2009 bis 2011 entführt und schließlich in die Wüste verschleppt und umgebracht. Neben ihren Opfern Jazmín Salazar Ponce, Lizbeth Avilés García, Mónica Liliana Delgado Castillo, Beatriz Alejandra Hernández Trejo, Jessica Terrazas Ortega, Deysi Ramírez Muñoz, María Guadalupe Pérez Montes, Perla Ivonne Aguirre González, Idalí Juache Laguna, Jesica Leticia Peña García und Andrea Guerrero Venzor wurden die Namen von 20 weiteren vermissten Frauen während der Verhandlung benannt.
Mütterorganisationen wiesen darauf hin, dass nur die Ausführenden verurteilt worden seien und nun eine Strafverfolgung derjenigen in Politik und Polizei folgen müsse, die jene gedeckt haben. Auch die Verstrickung des Militärs wird vermutet, denn die einzige Zufahrtsstraße ins Juárez-Tal wurde in den betreffenden Jahren von einem Militärstützpunkt kontrolliert.

Die umgehend als verschwunden gemeldeten Mädchen und Frauen wurden von der Bande zu Prostitution und Drogenverkauf gezwungen: nicht nur in einem als Hotel getarnten Bordell im Stadtzentrum, sondern auch in lokalen Gefängnissen. Unterstellt waren die nun Verurteilten den »Aztecas«, einem bewaffneten Arm des Juárez-Kartells, das sich wie alle Kartelle in Mexiko seit Ausrufung des sogenannten Drogenkriegs immer mehr auf alternative Einnahmequellen wie Menschen- und Organhandel stützt.
Die drei Richterinnen Catalina Ruiz, Emma Terán und Mirna Luz Rocha beurteilten die Verbrechen dementsprechend vor dem Hintergrund der Gewalt, die Ciudad Juárez seit 2008 beherrscht. In diesem Jahr schickte der damalige Präsident Felipe Calderón Truppenverbände in die Stadt, die das Juárez-Kartell zugunsten des regierungsnahen Sinaloa-Kartells mit Waffengewalt aus der Stadt trieben. Eine Kriegssituation, die besonders für die marginalisierte Bevölkerung soziale Säuberungen, willkürliche Festnahmen und eine weitere Verschärfung von Armut und sozialer Exklusion mit sich brachte. Auch die Ermordeten stammen in ihrer Mehrheit aus den Armenvierteln am Rande der Wüste.
Das aktuelle Urteil ist als Erfolg des jahrelangen unermüdlichen Engagements ihrer Mütter sowie der sie unterstützenden Organisationen zu werten. Bereits seit einigen Jahren hatten Angehörige immer wieder auf das Zentrum der Stadt als Ort des Verschwindens von jungen Frauen hingewiesen und eigenständig Ermittlungen angestellt. In dem Prozess wurden endlich ihre Aussagen einbezogen. Insgesamt wurden 184 Zeugen und Zeuginnen, darunter auch Kronzeugen, im drei Monate dauernden Prozess angehört. Mit der Fülle der Aussagen, ergänzt durch forensische Berichte und Untersuchungsberichte der Polizei, konnten erstmals die Tathergänge lückenlos rekonstruiert werden und die Systematik von Frauenmorden in Mexiko – wie sie in Zivilgesellschaft und akademischen Kreisen schon lange analysiert waren – gerichtlich nachgewiesen werden.
Denn seit den ersten Frauenmorden in Ciudad Juárez sind 22 Jahre vergangen. Offiziellen Angaben zufolge wurden seitdem rund 700 Frauen in der Stadt ermordet. Andere Quellen sprechen von mindestens 2 000 Toten. War es zunächst der Nachwuchs des Juárez-Kartells, der, gedeckt von Politik und Polizei, Frauen entführte, vergewaltigte und ermordete, gab es bald immer mehr Trittbrettfahrer, die angesichts der absoluten Straflosigkeit ihre Lebensgefährtinnen und ehemaligen Partnerinnen umbrachten und sich sicher sein konnten, dass ein Mord durch die öffentliche Zurschaustellung der Leiche ohne weitere Nachforschungen dem Drogenhandel zugeordnet werden würde.

Effektiven Ermittlungen stand bislang auch fehlender politischer Wille entgegen. Zeigte sich doch die Stadtelite daran interessiert, das Image der Stadt mit Kampagnen wie »Liebe für Juárez« reinzuwaschen, um abgewanderte Industrien und Einzelhandel zurückzuholen. Die Gewalterfahrungen der Bevölkerung im Drogenkrieg wie auch die Frauenmorde wurden dabei immer wieder als Ammenmärchen abgetan. Im März 2012 geriet die Staatsanwaltschaft von Ciudad Juárez in die Schlagzeilen, als sie zugab, 143 nicht identifizierte Frauenkörper im Leichenschauhaus »vergessen« zu haben. Dabei war der mexikanische Staat bereits vier Jahre zuvor vom Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof wegen Strafvereitelung im Fall von Frauenmorden verurteilt worden.
María de la Luz Estrada, die Direktorin des Nationalen Zivilgesellschaftlichen Observatoriums gegen Frauenmorde, beurteilt jede gerichtliche Verurteilung auf mexikanischem Boden deshalb als »großen Erfolg«. »Femizide müssen an Ort und Stelle strafrechtlich verfolgt und juristisch verurteilt werden«, so die Soziologin. Die Erfahrung habe gezeigt, dass Urteile auf internationaler Ebene weitestgehend folgenlos blieben.
Neben dem jüngsten Urteilsspruch in Ciudad Juárez hat es bereits im März ein wegweisendes Urteil vom Obersten Gerichtshof gegeben. Dort wurde beschieden, dass bei jeglichen Mordfällen an Frauen landesweit als Motiv Frauenhass in Betracht gezogen und dahingehend Ermittlungen angestellt werden müssen. Diese neuen Maßnahmen wurden mit der Wiederaufnahme des Falles Mariana Lima Buendía beschlossen, die von ihrem Ehemann, einem Gerichtspolizisten, im Bundesstaat Mexiko ermordet worden war. Seiner Aussage, es sei Selbstmord gewesen, wurde damals Glauben geschenkt, es wurden keine weiteren Ermittlungen angestellt. Ihre Eltern hatten den Fall gemeinsam mit Anwälten des Nationalen Zivilgesellschaftlichen Observatoriums nun vor die oberste Justizinstanz des Landes gebracht.
In Mexiko tut sich etwas, nicht zuletzt wegen des wachsenden Drucks zivilgesellschaftlicher Organisationen, die sich nicht mit dem »Normalfall Frauenmord« zufriedengeben wollen. Das mexikanische Innenministerium hat diese Woche endlich einen »Gender-Alarm« für elf Gemeinden des Bundesstaats Mexiko ausgesprochen. In den Satellitenstädten rund um die Hauptstadt übertreffen die Frauenmordraten mittlerweile die von Ciudad Juárez um ein Zehnfaches. Auch hier lebt eine marginalisierte Bevölkerung, die ihr gesamtes Leben auf lange Arbeitsschichten und -wege ausrichten muss, in einem von Drogenhandel, Straflosigkeit, Gewalt und Frauenhass geprägten Ambiente.