Die Entkriminalisierung der Prostitution wäre ein wichtiges Signal

Mehr Optionen für Sexarbeiterinnen

Amnesty International setzt sich für die Entkriminalisierung von Prostitution ein. Es ist eine gute Entscheidung, die zu Recht Signalwirkung entfaltet.

Manche Abolitionistinnen, also Vertreterinnen eines generellen Verbots von käuflichem Sex, behaupten nun, Amnesty wolle eine Legalisierung der Prostitution vorantreiben oder verfechte gar die Interessen von Zuhältern und der Bordellindustrie. Aber wenn man sich die Resolution und ihre Begründung genau anschaut, zeigt sich das Gegenteil. Der Fokus liegt auf dem Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen. Und nach einem intensiven, dezentralen Konsultationsprozess in den verschiedensten Regionen der Welt ist Amnesty zu der Auffassung gelangt, dass sich die Verbrechen, also Gewalt, Menschenhandel, Kindesmissbrauch, Vergewaltigung, Betrug oder Nötigung, nur dann wirksam bekämpfen lassen, wenn die Prostitution als solche (also der Tausch von Sex gegen Geld unter Erwachsenen in gegenseitigem Einverständnis) nicht mehr pauschal als kriminell gilt. Niemand bestreitet, dass es im Umfeld von Prostitution besonders häufig zu Gewalt und Verletzung von Menschenrechten kommt. Allerdings: Beim Kampf dagegen in erster Linie auf Staat und Polizei zu setzen, ist naiv. Erst recht, wenn man, wie Amnesty es als internationale Organisation tut, eine globale Perspektive einnimmt. Schon in einem gleichstellungspolitisch vorbildlichen Rechtsstaat wie Schweden berichten Sexarbeiterinnen von Stigmatisierung, Schikanen und Willkür seitens der Polizei. Wie mag das in Ländern mit fest verankerten patriarchalen Traditionen, hierarchischen Gesellschaftsstrukturen und grassierender Korruption sein? Amnesty verweist auf eine Studie aus Papua-Neuguinea, wo über einen Zeitraum von sechs Monaten 50 Prozent der Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter vergewaltigt wurden – von Kunden und von Polizisten. Was die Menschenrechte von Sexarbeiter­innen betrifft, so ist die Polizei oft ein Teil des Problems, kein Teil der Lösung.

In aller Regel verkaufen Frauen (und auch junge Männer) sexuelle Dienstleistungen, weil sie Geld brauchen und keine besseren Optionen haben, ihren Lebensunterhalt oder den ihrer Kinder zu sichern. Insofern haben Prostitutionsgegnerinnen Recht, wenn sie betonen, dass Sexarbeit häufig keine freiwillige Entscheidung ist. Ja, Frauen werden in die Prostitution gezwungen – aber nicht in erster Linie von Menschenhändlern und Zuhältern, sondern von Armut und ungerechten gesellschaftlichen Verhältnissen. »Auch eine Kriminalisierung verändert nichts an den sozialen und wirtschaftlichen Gründen, aus denen Menschen sich für Sexarbeit entscheiden«, steht auf der Website von Amnesty unter »Questions and Answers«. Genau so ist es: Wer Sexarbeiterinnen helfen möchte, muss ihnen mehr Optionen verschaffen, nicht weniger.
Sehr gut an der Amnesty-Resolution ist auch, dass sie sich zwar für die Entkriminalisierung von Prostitution ausspricht, aber gegenüber der Legalisierung von Sexarbeit skeptisch bleibt. Die bedeutet nämlich, »dass der Staat spezifische Gesetze und Richtlinien zur Regelung von Sexarbeit erlässt«, so die Stellungnahme. »Dies könnte zu einem Zweiklassensystem führen, in dem viele Sexarbeiter_innen die Richtlinien nicht erfüllen und somit weiter kriminalisiert werden – was vor allem die Sexarbeiter_innen betreffen würde, die auf der Straße arbeiten und am schutzbedürftigsten sind.« Kriminalisierung und Reglementierung waren beim Umgang von Staaten mit Prostitution schon immer zwei Seiten derselben Medaille.

Der Vorwurf, Amnesty wolle nicht nur Prostitution, sondern auch Zuhälterei und Bordellindustrie erlauben, ist schlicht falsch. Wer Sexarbeiter­innen ausbeutet oder misshandelt, soll selbstverständlich bestraft werden. Allerdings werden die entsprechenden Gesetze in der Realität oft eingesetzt, um die Selbstorganisation von Prostituierten zu verhindern. Wenn zum Beispiel zwei oder drei Frauen in einer gemeinsamen Wohnung arbeiten, kann ihnen das als Betreiben eines Bordells ausgelegt werden. Wenn eine Sexarbeiterin für Kolleginnen die Buchhaltung oder die Steuer macht, kann sie als Zuhälterin angeklagt werden. Deshalb fordert Amnesty die Abkehr von »allumfassenden Straftatbeständen« und will stattdessen Gesetze, die gezielt »auf die Prävention und Bestrafung von Ausbeutung, Missbrauch und Menschenhandel abzielen.« Und das ist auch richtig so.