Querfront gegen den Euro

Querfront gegen Euro und EU

Der als links geltende französische Wirtschaftswissenschaftler Jacques Sapir setzt sich für eine »nationale Befreiungsfront« gegen den Euro ein – unter Einschluss des angeblich demokratisch geläuterten Front National.

Hat die Parteiführung nun endlich ihre Ruhe oder wird der bockige »Alte« doch wieder den Betriebsfrieden stören? Am kommenden Wochenende wird es sich erweisen. Dann findet in Marseille die diesjährige »Sommeruniversität« des rechtsextremen Front National (FN) statt.
Ihren Mitgründer und langjährigen Vorsitzenden Jean-Marie Le Pen hat die französische Partei am 20. August nach langen und zähen Auseinandersetzungen und Prozeduren (Jungle World 32/2015) aus ihren Reihen ausgeschlossen. Doch der mittlerweile 87jährige will nicht klein beigeben. Und er könnte tatsächlich die Veranstaltung in der Mittelmeermetropole mit einem unerbetenen Auftreten beglücken. Am Samstagmittag, vor Eröffnung der »Sommeruniversität«, wird Jean-Marie Le Pen jedenfalls an einem anderen Ort in derselben Stadt bei einem politischen Festessen auftreten. Ob er danach seine bisherigen Parteifreunde mit einem unerwünschten Besuch beehren wird, ist derzeit noch offen. Doch für den Fall der Fälle hat der rüstige Altpolitiker bereits »Enthüllungen« angedroht.
Jean-Marie Le Pen attackiert derzeit vor allem auf den 33jährigen Vizevorsitzenden der Partei, Florian Philippot, unter anderem wegen dessen öffentlich bekannter Homosexualität. Philippot, der eine etatistische und mit sozialdemagogischen Slogans unterfütterte Wirtschaftspolitik vertritt, die zuletzt innerparteilich kritisiert wurde und seit einigen Monaten wirtschaftsliberalen Korrekturen unterliegt, steht derzeit vergleichsweise isoliert da. Dabei konnte er jüngst, aus seiner Sicht jedenfalls, eine gewisse Bestätigung seiner Linie verbuchen: Der bisher eher als links geltende, meist keynesianisch argumentierende und zugleich als EU-Gegner auftretende Wirtschaftswissenschaftler Jacques Sapir befürwortete in der letzten Augustwoche ein Bündnis mit dem FN.
Sapir kann darüber hinaus als beinahe hauptberuflicher Putin-Unterstützer gelten, seine Website heißt bezeichnenderweise »RussEurope«. Vor kurzem griff er einen ursprünglich von dem italienischen Mitte-links-Politiker und früheren Vizefinanzminister Stefano Fassina am 11. August publizierten Appell auf. Fassina hatte sich dafür ausgesprochen, angesichts der Behandlung Griechenlands durch die EU-Institutionen und durch Deutschland müssten in anderen EU-Staaten überall parteiübergreifende »nationale Befreiungsfronten« entstehen.

Jacques Sapir ließ sich dies nicht zweimal sagen. In mehreren Interviews sprach er sich für eine faktische Querfront aus, um eine angeblich der griechischen Partei Syriza vergleichbare Kraft in Frankreich zu bilden – allerdings mit dem bewussten Ziel, der europäischen Währungsgemeinschaft ein Ende zu bereiten, was Syriza ablehnt. Die Sapir zufolge zu bildende »nationale Befreiungsfront« solle EU-gegnerische Kräfte der Linken, aber auch konservative Rechte wie den »gaullistischen« Isolationisten und Nationalneutralisten Nicolas Dupont-Aignan umfassen – sowie den Front National, der angeblich demokratisch geläutert sei, seit Marine Le Pen im Jahr 2011 den Parteivorsitz übernommen hat. Manche Linke reagierten mit Empörung auf dieses Ansinnen, das Sapir mittlerweile mehrfach ausdrücklich bekräftigt hat.
So führte Sapir etwa gegenüber Libération aus, sein Vorbild sei der »Nationale Widerstandsrat« CNR, in dem während des Zweiten Weltkriegs im Widerstand gegen die Besetzung durch Nazideutschland unter anderem die Französische Kommunistische Partei und gaullistische Kräfte zusammengeschlossen waren. Dass der FN allerdings weit eher in der Tradition der Nazi-Kollaborateure denn jener der Résistance steht – auch wenn Marine Le Pen dies im Gegensatz zu ihrem Vater nicht ausdrücklich sagt –, schien Sapir dabei nicht zu stören. Die Partei habe sich gewandelt, fügte er hinzu, und ferner sei es ihm »lieber, wenn die FN-Funktionäre jetzt Jacques Sapir und Emmanuel Todd lesen, als wenn sie antisemitische Klassiker des 19. Jahrhunderts studieren«.
Zuletzt lieferte Sapir in den letzten Augusttagen auf den Websites des nationalistischen Querfrontprojekts Comité Valmy, das unter anderem aus national gewendeten französischen Stalinisten besteht, eine neue Begründung für sein Vorhaben. Auch der Linken habe sich, erläuterte Sapir dort, immer die Frage nach Bündnissen gegen den strategischen Hauptfeind gestellt. Leo Trotzki beispielsweise habe den damals aufsteigenden Faschismus als einen solchen definiert und ihm eine von ihm propagierte »Einheitsfront der Arbeiterparteien« entgegengesetzt. Dies sei jedoch, so Sapir, politisch viel zu eng gefasst; eine solche ihm zufolge »soziologisch« – ursprünglich klassenpolitisch – untermauerte Bündniskonzeption ergebe keinen Sinn, »es sei denn, man setzt sich für eine soziale Revolution ein«, was Sapir offenbar nicht will.
Als besseres Vorbild erscheine ihm das Bündnis der chinesischen KP unter Mao Zedong mit den autoritären Nationalisten und Antikommunisten der Kuomintang-Bewegung gegen die japanische Besatzung im Zweiten Weltkrieg. Auch hier schweigt er davon, dass die Wurzeln des FN eher im Lager der damaligen Achsenmächte liegen.

Allerdings präzisiert Sapir an dieser Stelle wenigstens, er lehne programmatisch die vom FN so genannte préférence nationale oder »Inländerbevorzugung« ab – also eine systematische Diskriminierung nach Nationalität auf dem Arbeitsmarkt, bei Sozialleistungen und Wohnungen. Ohne die préférence nationale wird der FN jedoch nicht zu haben sein. Der Erfinder des propagan­disitischen Ausdrucks, der Rechtsintellektuelle Jean-Yves Le Gallou, bezeichnete ihn wiederholt als den »Atomkern« der Programmatik des FN.
Den FN hat Sapirs Vorstoß in Teilen der Öffentlichkeit aufgewertet. Und er wurde von Philippot eifrig begrüßt, der vor fünf Jahren auf einer genau dieser politischen Linie aus dem Lager bürgerlicher EU-Kritiker zum FN übergelaufen war.