Der BND soll reformiert werden

Den Rechtsstaat auf die Füße stellen

Wie geht es weiter mit dem Bundesnachrichtendienst (BND)? Auch auf europäischer Ebene wird die Überwachung durch den deutschen Auslandsgeheimdienst kritisiert. In Berlin verhandelt man derweil über halbherzige Reformen.

Vor zwei Wochen wurde bekannt, dass der Bundesnachrichtendienst (BND) weit mehr Selektoren, also Suchbegriffe, zur Durchsuchung erhobener Daten verwendete, als in seinem Auftragsprofil vorgesehen ist. Zusätzlich zur deutschen Debatte über die Rolle des BND in der NSA-Affäre und die zukünftige Ausrichtung des Dienstes wird nun auch auf europäischer Ebene die Kritik immer lauter.

Mitte Oktober wandte sich der Innenausschuss des Europaparlamentes in ungewohnt deutlicher Form an die Europäische Kommission und forderte größere Anstrengungen, die massenhafte Erfassung von Telekommunikationsdaten auf dem Gebiet der EU zu stoppen. Dabei bezogen sich die Abgeordneten unter anderem auf den regen Datentransfer zwischen der NSA und dem BND. Dass derartige Praktiken unvereinbar mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sind, stellte das EU-Parlament schon Anfang 2014 in seinem Bericht zu den Snowden-Enthüllungen fest. In diesem Bericht wurde auch Deutschland aufgefordert, »Rechtsrahmen und Kontrollmechanismen im Bereich geheimdienstlicher Tätigkeiten mit der EMRK in Einklang zu bringen«. Doch anstatt dem Folge zu leisten, forcierte die Bundesregierung den Ausbau des Auslandsgeheimdienstes. Für den Fall, dass die Kommission nun bis Ende des Jahres keine konkreten Vorschläge zur Eindämmung der Massenüberwachung vorlegt, kündigte der Innenausschuss des EU-Parlaments Budgetrestriktionen an.
Anfang Oktober kritisierte auch der Menschenrechtskommissar des Europarates, Nils Muižnieks, die Aktivitäten des BND. In seiner Stellungnahme zur Menschenrechtssituation in Deutschland schrieb er, dass angesichts der »fehlenden Klärung des Anwendungsbereichs« des Artikels 10 des Grundgesetzes, also der Frage, wann Ausnahmen vom Fernmeldegeheimnis statthaft sind, eine Grauzone bestehe. Außerdem kritisierte Muižnieks »das Fehlen von Ressourcen und Fachwissen« bei der Kontrolle des BND. Sowohl die G-10-Kommission, die Einschränkungen des Fernmeldegeheimnisses durch den BND kontrolliert, als auch das parlamentarische Kontrollgremium (PKGr), das die operative Tätigkeit des Dienstes beaufsichtigt, sollten nach Muižnieks’ Wunsch größere Befugnisse bekommen. Denn die effektive Kontrolle von Geheimdiensten sei nur möglich, so Muižnieks, wenn alle zuständigen Instanzen Zugang zu den dafür notwendigen Informationen hätten. Das dürften die Mitglieder des NSA-Untersuchungsausschusses des Bundestages sofort unterschreiben.

Unterdessen verhandeln die Koalitionsparteien CDU, CSU und SPD über eine Reform des BND. Die Sozialdemokraten schlugen im Juni eine Gesetzesänderung vor, derzufolge der Auslandsgeheimdienst stärker an das Auftragsprofil der Bundesregierung gebunden wird, dessen Einhaltung die Kontrollgremien überwachen. Dafür will die SPD die G-10-Kommission erweitern und mit zusätzlichen Rechten ausstatten. Zukünftig soll diese neben der Prüfung von Überwachungsmaßnahmen auch verwendete Selektoren einsehen sowie die Weitergabe von Daten an ausländische Dienste kontrollieren können.
Kritikern geht das nicht weit genug. Der Betreiber des weltweit größten Internet-Knotens DE-CIX in Frankfurt am Main hat bereits im April 2015 angekündigt, beim Bundesverwaltungsgericht zu klagen, um sich gegen den massenhaften Zugriff des BND auf den internationalen Datenverkehr zu wehren. Der Vorsitzende des PKGr, André Hahn (Linkspartei), kritisiert den aktuellen Stand der Reformdiskussion als eine »Ansammlung von Selbstverständlichkeiten«. Hahns Partei fordert in ihrem Gesetzentwurf, das G-10-Gesetz und vergleichbare Bestimmungen zur Beschränkung des Fernmeldegeheimnisses aufzuheben, um den »Rechtsstaat wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen« und langfristig Nachrichtendienste abzuschaffen.