Anstand war gestern

Das Porträt von Wladimir Putin erschien Bill Arning, dem Direktor des Contemporary Arts Museum Houston, befremdlich: »Er sieht ein wenig wie Freddy Krueger aus – ich bin mir nicht sicher, ob das beabsichtigt war.« Aber nicht schlecht für einen Amateur, so sein zusammenfassendes Urteil über den Maler, den ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush. Zumindest im Vergleich zu einem anderen Hobbymaler, mit dem er in seiner Amtszeit oft verglichen wurde, ist Bush ein talentierter Künstler. Auch viele, die ihm wohlwollender gegenüberstanden, waren zunächst froh, dass er sich einer harmlosen Beschäftigung widmete. Nun aber kommt Nostalgie auf, vor allem unter gemäßigten Republikanern, die entsetzt über den Zustand ihrer Partei sind. In deren Reihen fehlte es nie an Rechtspopulisten, aber wer erfolgreich sein wollte, musste seit dem Ende der Ära Richard Nixons eine Anstandsregel beachten: Hetze nicht gegen ethnische oder religiöse Minderheiten!
»Das Gesicht des Terrors ist nicht das Gesicht des Islam«, sagte Bush wenige Tage nach 9/11 bei einer Pressekonferenz im Islamic Center of Washington. »Islam ist Frieden.« Unermüdlich wiederholte er diese Botschaft. Sie ist inhaltlich nicht ganz zutreffend, da sich die Jihadisten auf relevante Traditionen der Theologie berufen können, aber konsequent im Rahmen seines multikonfessionellen Konservatismus. Gefragt ist schließlich nicht religionskritische Analyse, vielmehr geht es um die Gemeinsamkeiten im Glauben als einer Grundlage des Zusammenlebens gemäß der heiligen Dreieinigkeit von Arbeit, Familie und Vaterland. Für Konservative ist das an sich ein erfolgversprechendes Konzept. Derzeit aber gibt der Hassprediger Donald Trump den Ton an, er will vorerst keinen Muslim mehr in die USA einreisen lassen. Weil jede Hetzrede ihn populärer macht, ziehen die anderen republikanischen Bewerber um die Präsidentschaftskandidatur mit. Wenn Ben Carson in erhabener Ignoranz gegenüber sämtlichen wissenschaftlichen Forschungsergebnissen darauf besteht, Josef habe die Pyramiden als Kornspeicher errichten lassen, mag das als Kuriosität erscheinen. Weniger harmlos ist Trumps Behauptung, »Abertausende« Muslime hätten in Jersey City über den Einsturz der Twin Towers gejubelt. Vergleichbar den Pegida-Rassisten richten sich die rechten Republikaner in einer selbstgebastelten Welt ein und werten es als linke Verschwörung, wenn man ihnen die Fakten vorhält. Dass eine der beiden bedeutendsten Parteien der Welt sich derzeit so unseriös präsentiert wie die AfD, gibt Anlass zur Sorge. Auch für US-amerikanische Konservative, die noch bei Verstand sind. Bush zieht es vor, weiter zu schweigen. Wenigstens aber sollte er Donald Trump malen, vielleicht würden Kunstsachverständige dann eine gewisse Ähnlichkeit des Porträtierten mit Jabba the Hut an einem bad hair day erkennen.