Felix Ekardt im Gespräch über Kapitalismus, Degrowth und Klimagerechtigkeit

»Emissionshandel ist ein Desaster«

Felix Ekardt ist Leiter der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig und Berlin sowie Professor für Umweltrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Rostock. Die Jungle World sprach mit ihm über neueste Prognosen zum Klimawandel, mögliche Gegenmaßnamen und die Rolle der Staaten bei deren Umsetzung.

Zu Beginn des Klimagipfels in Paris forderten Angela Merkel und Barack Obama ein Bekenntnis zum Klimaschutz von der sogenannten Staatengemeinschaft. Das klingt fast schon religiös. Ist es eine moralische Forderung?

Moral kann ja auch ohne religiöse Grundlage formuliert werden. Ein wirksamer Klimaschutz ist ethisch und juristisch eine klare Vorgabe des Menschenrechts auf Leben, Gesundheit und Existenzminimum. Natürlich können sich auch Konsumenten oder emissionsintensive Unternehmen auf Freiheitsrechte berufen. Das gibt der Politik einen Abwägungsspielraum zwischen diesen verschiedenen Freiheiten und Freiheits­voraussetzungen. Doch trotz aller Spielräume darf die Politik keine Entwicklungen hinnehmen, die das freiheitlich-demokratische System als solches zum Einsturz bringen. Deshalb besteht eine Pflicht, den Klimawandel entschlossen zu bekämpfen.

NGOs schlagen in diesem Jahr besonders ­dramatische Töne an. Steht das Ende der Welt nun unmittelbar bevor?

Die Prognosen zum Klimawandel im fünften Sachstandsbericht des Weltklimarates von 2014 sind alarmierend. Der Zusammenschluss der weltweiten klimanaturwissenschaftlichen Forschung war in der Vergangenheit eher noch zu optimistisch mit seinen Prognosen zu Gletscherschmelze, Meeresspiegelanstieg, drohenden Hitzewellen und sich daran möglicherweise anschließenden Hungersnöten und Bürgerkriegen. Wir Deutschen sind entgegen einer verbreiteten Selbstwahrnehmung auch nicht der große Klimavorreiter. In Deutschland haben wir bislang etwa fünfmal mehr Klimagasemissionen pro Kopf, als verträglich wären, wenn alle Menschen weltweit und auf Dauer so leben würden wie wir.

Ist der UN-Gipfel eigentlich der richtige Ort, um verbindliche Maßnahmen zum Klimaschutz zu vereinbaren?

Die Welt müsste bis 2050 aus den fossilen Brennstoffen aussteigen. Stattdessen müssen erneuerbare Energien, aber auch mehr Energieeffizienz und ein sparsameres Verhalten bei Unternehmen und Verbrauchern deutlich vorangebracht werden. Primär nationale Maßnahmen reichen dafür nicht aus. Denn wenn nur einzelne Staaten sich für eine strengere Klimapolitik entscheiden, werden Emissionen wohl schlicht in andere Länder verlagert. Bleiben Öl und Gas in anderen Ländern schön billig, importieren wir unsere Autos, Handys und Nahrungsmittel einfach noch konsequenter aus dem Ausland als bisher. Die EU sollte deshalb mit einem Ansatz vorangehen, der eine Perspektive zur Einbeziehung der übrigen Welt enthält.

In der Debatte um die Verursacher des Klimawandels werden häufig große Konzerne und vor allem die USA in den Mittelpunkt gerückt. Sollte man den Kapitalismus abschaffen, um das Klima zu retten?

Die mächtigen Unternehmensinteressen der fossilen Industrie bedrohen in der Tat den Klimaschutz. Doch wir alle sind über Arbeitsplätze, Konsumwünsche oder Pensionsfonds, die über Aktienpakete Eigentümer der Unternehmen sind, aufs Engste mit der kapitalistischen Welt verflochten. Ohne uns alle und ohne entsprechende Po­litiker, die ebenso eigennützig agieren wie etwa die von Naomi Klein inkriminierten Reichen, gäbe es die Konzerne nicht. Außerdem wird menschliches Verhalten nicht allein durch kalte Eigennutzenkalküle geprägt. Bürger, Manager und Unternehmer lassen sich auch durch Gefühle beeinflussen und durch un- oder halbbewusste Vorstellungen davon, was normal sei. Die Wirkungen des Klimawandels scheinen uns räumlich oder zeitlich noch weit entfernt, das erschwert uns die emotionale Anteilnahme. Und sie sind komplex, also schwer zu greifen. All das führt dazu, dass die Erderwärmung uns als weniger dringlich erscheint – aber mit dem Kapitalismus hat es nur teilweise zu tun. Gleiches gilt für allgegenwärtige menschliche Neigungen wie die zu Bequemlichkeit, Gewohnheit, das Streben nach sozialer Geltung und Anerkennung oder die Fähigkeit, Ausreden zu erfinden. Und das Eigennutzen- oder auch Konkurrenzdenken dürfte trotz aller kultureller Beigaben auch daher rühren, dass der Mensch dem Tierreich entstammt. Die Konkurrenz um die überlebenstauglichsten Eigenschaften hat uns geprägt. Auch Kooperation war in der Steinzeit vermutlich überlebensfördernd, aber eben in kleinen Verbänden. Die Steinzeit mag lange vorbei sein. Dennoch ist Kooperation in der Familie für uns immer noch bei weitem einfacher, als es eine globale, gemeinsame Anstrengung zur Klimarettung wäre.

Welche Rolle spielen technische Innovationen beim Klimaschutz?

Technische Optionen wie erneuerbare Energien und Energieeffizienz spielen eine große Rolle. Macht man den Klimaschutz rein technisch, bringt er kurzfristig sogar Wirtschaftswachstum. Auch Windräder kann man verkaufen und damit Wachstum erzeugen, und sie schützen zugleich das Klima. Die vielgelobte deutsche Energiewende vergisst leider die Effizienz und schaut auch bei den erneuerbaren Energien nur auf den Stromsektor. Sie vernachlässigt völlig, dass in der Summe viel mehr fossile Energie für andere Zwecke eingesetzt wird als zur Stromerzeugung: zum Heizen etwa, im Verkehr, zur Herstellung von Kunststoffen oder Mineraldünger. In all diesen Bereichen geschieht politisch nahezu nichts.

Es wird von Degrowth als Lösung gesprochen. Geht es dabei um grünen Keynesianismus?

Degrowth oder Postwachstum hat mit Keynes wenig zu tun, denn es geht dabei ja nicht um Wachstum etwa durch grüne staatliche Investitionen, sondern um eine Abkehr vom Wachstumsgedanken. Vermutlich reicht der technische Fortschritt allein nicht aus, um den Klimawandel auf ein noch beherrschbares Maß zu begrenzen. Es wird auch Verhaltensänderungen geben müssen, also mehr Genügsamkeit. Nicht nur technisch bessere Autos fahren, sondern weniger Auto fahren. Das könnte dann das Ende der Wachstumsgesellschaft sein. Denn es fallen damit Produkte und Dienstleistungen weg. Schon rein wirtschaftlich wäre eine solche Wende dennoch der bessere Weg als ein »Weiter so« – denn der Klimawandel wäre langfristig wirtschaftlich absolut verheerend. Leider hängen vom Wachstum momentan viele gesellschaftliche Teilsysteme ab, etwa der Arbeitsmarkt, das Rentensystem, das Bankensystem. Da müssen wir Alternativen entwickeln, die es bisher nur bruchstückhaft gibt, wie etwa die Arbeitszeitverkürzung. Ferner brauchen wir Konzepte für den Übergang, damit es keine katas­trophalen wirtschaftlichen Zusammenbrüche gibt. Da stehen wir noch ziemlich am Anfang.

Kann die Lösung des Klimaproblems nicht auch in der globalen Ausweitung des Handels mit Emissionsrechten bestehen – also Markt statt Staat?

Klimaschutz heißt im Kern, die fossilen Brennstoffe zügig aus dem Markt zu nehmen. Genau das kann der Emissionshandel an sich, wenn er anspruchsvolle Klimagasreduktionsziele setzt und sämtliche Lebensbereiche und Länder abdeckt. Der bisherige EU-Emissionshandel ist dagegen ein Desaster, weil er absolut gesehen zu viele Emissionen erlaubt und wichtige Bereiche – etwa Gebäudewärme, Verkehr und Ernährung – komplett aus dem Emissionshandel ausklammert. Damit verlagern wir potenziell Emissionen in andere Bereiche und in andere Länder. Der Emissionshandel müsste deshalb alle fossilen Brennstoffe abdecken und strenge Reduktionsziele haben, idealerweise weltweit. Fossile Brennstoffe bei Strom, Wärme, Treibstoff und den vielen stofflichen Nutzungen würden so durch erneuerbare Energien und Energieeffizienz ersetzt – und durch Verhaltensänderungen, wenn allein die technischen Neuerungen nicht ausreichen. Ein wirksamer Emissionshandel führt damit potentiell zu Postwachstum. Das wird oft übersehen.

Steht eine Entschleunigung des Wachstums nicht den Wirtschaftsstrategien der Schwellenländer entgegen?

Mein Vorschlag kann gerade Klimaschutz und Armutsbekämpfung verbinden, auch wenn die realen Verhandlungen in Paris davon weit entfernt sind. Ideal wäre der genannte Ansatz weltweit. Die Versteigerungseinnahmen der Emissionszertifikate könnten komplett in den globalen Süden gehen, um dort Armutsbekämpfung durch eine von vornherein grüne wirtschaftliche Entwicklung zu ermöglichen. Alternativ kann die EU allein beginnen. Wenn Entwicklungsländer dem System beitreten, erhalten sie die Einnahmen des Systems. Gegenüber unbeteiligten Ländern wie den USA oder China könnte man Ökozölle auf Im- und Exporte einführen. Dann gäbe es keine Emissionsverlagerungen hin zu ­jenen unbeteiligten Ländern – und kein Wettbewerbsfähigkeitsproblem für die europäischen Unternehmen. Zugleich hätten weitere Staaten so einen Anreiz, bei dem System mitzumachen.

Der Staat ist also doch der bessere Klimaschützer?

Der Markt allein löst kein Problem. Der Emissionshandel ist ein rechtliches Instrument. Eine solche Politik wird jedoch nur zustande kommen, wenn wir alle sie durch unser Kaufverhalten und unser politisches Engagement konsequent einfordern. Umgekehrt wird unser alltägliches Verhalten durch den politischen Rahmen seinerseits beeinflusst. Sind Brennstoffe billig, fliegt man eben mal. Insofern stecken wir in einem Teufelskreis. Auch Unternehmen und Konsumenten hängen wechselseitig voneinander ab und stecken in einem Teufelskreis. Deshalb sind Debatten, wer denn der Hauptschuldige ist, auch wenig ergiebig.

Ist Klimaschutz eigentlich umweltschädlich?

Bioenergie aus extra angebauten Energiepflanzen ist weder von der Klimabilanz noch von den Wirkungen auf Gewässer, Böden und Natur her eine Option im großen Stil. Verteuert man die fossilen Energien und damit Strom, Wärme, Treibstoff, Kunststoffe und Mineraldünger ­weltweit, löst man das Problem teilweise, weil davon eher Wind- und Sonnenenergie profitieren. Noch stärker wäre dieser Effekt, wenn man parallel die konventionelle Landwirtschaft stärker besteuert. Neben dem Klimawandel würde man damit zugleich viele weitere Umweltprob­leme angehen.