Beim UN-Klimagipfel sind unverbindliche Ergebnisse zu erwarten

Klima ist ein Wunschkonzert

Zwei Wochen lang debattieren Delegierte aus 195 Staaten bei der Klimakonferenz COP 21 in Paris über die Folgen des Klimawandels und mögliche Gegenmaßnahmen. Bereits vor dem Gipfel hatten die einzelnen Staaten aus freien Stücken Vorgaben für ihre nationale Emissionsminderung formuliert. So steht einem gemeinsamen, unverbindlichen Abkommen nichts mehr im Wege.

Es wirkt so, als sei es die erste und nicht die 21. UN-Klimakonferenz. Länder im Süden wiederholen ungehört, dass der Klimawandel bereits jetzt Schäden etwa durch Überschwemmungen oder Dürren verursache, die nicht wieder gutzumachen seien. Die Industriestaaten nicken und erklären, dass sie nicht alleine die Kosten für eine vernünftige Klimapolitik tragen könnten. Und einige Schwellenländer und reiche Ölstaaten wie Saudi-Arabien beharren darauf, dass die Verursacher, also der Norden, finanziell wie moralisch in die Verantwortung zu nehmen seien.
Derweil belagern engagierte NGOs und Umweltverbände die Delegationen mit so gutgemeinten wie richtigen Ratschlägen und Studien, die darauf verweisen, was alles verändert werden müsse und dass es höchste Zeit dafür sei. Nur merken sie nicht, dass sich die Verhandler kaum und deren Vorgesetzte noch weniger dafür interessieren. Schon der Sprachgebrauch ist fragwürdig, da immer von Staaten die Rede ist, was voraussetzt, dass deren Regierungen auch wirklich die Interessen des Landes, die Bevölkerung eingeschlossen, vertreten. Das ist nicht nur bei den zahlreichen diktatorischen Regimes fragwürdig. Es ist nicht neu, dass auch in den Demokratien die wirtschaftlichen Interessen meist an erster Stelle stehen, denn ihre Beachtung schafft die Gewinne, die Steuern und das Wirtschaftswachstum, mit denen Politiker ihre Wiederwahl begründen.

Die während der Pariser Verhandlungen publik gewordenen Geheimpapiere zum Dienstleistungsabkommen TISA, denen zufolge der öffentlichen Hand ökologische Regulierungen beispielsweise im Energiebereich untersagt werden sollen, machen einmal mehr deutlich, was seit der Debatte über TTIP breit diskutiert wird: Die Regierungen haben ihre Gestaltungsmacht bereits selbst eingeschränkt. Mark Zuckerbergs kürzlich verkündete Großspende zeigt hingegen Gestaltungswillen: Geld privater Investoren fließt in Unternehmensstiftungen, deren Anteil an der Finanzierung von Aktivitäten der Zivilgesellschaft weltweit immer wächst. Kaum anzunehmen, dass dieses Geld ohne inhaltliche Vorgaben zur Verfügung gestellt wird.
Zu Beginn der zweiten Verhandlungswoche setzt sich bei Beobachtern in Paris langsam die Erkenntnis durch, dass sich auch beim Klima alles ums Geld dreht. 100 Milliarden US-Dollar sollen ab 2020 jährlich ausgegeben werden, um den Klimawandel zu bremsen. Einige Staaten des Südens fordern sogar das Doppelte. Strittig aber ist, woher das Geld kommen soll, ob nur aus öffentlichen oder auch aus privaten Quellen, welche Länder wie viel beisteuern sollen, und vor allem, wie konkret diese Finanzierung im kommenden globalen Klimaabkommen, das das in fünf Jahren auslaufende Kyoto-Protokoll ablösen soll, festgeschrieben werden wird. Mit dem Geld soll zum einen die Verminderung der Treibhausgasemissionen durch den Verzicht auf fossile Energieträger, durch Innovationen in Verkehr und Landwirtschaft und ein Ende der Abholzung der Wälder finanziert werden. Auch die Anpassung an Klimaveränderungen, die bereits stattfinden oder als unabänderlich betrachtet werden, soll gefördert werden. Dazu gehören Umsiedlungen von flachen Inselstaaten, veränderte Anbautechniken im Agrarbereich und technologische Neuerungen, die das Leben bei anderen Wetterbedingungen erleichtern sollen. Über die Notwendigkeit von Mitigation (Verringerung) und Adaptation (Anpassung) gibt es in Paris kaum Dissens, wohl aber über die Frage, wie eilig die entsprechenden Maßnahmen sind und welcher Art sie sein sollen. In Deutschland wird genauso wenig ein Ende der Kohlenutzung durchgesetzt wie in Brasilien ein Ende der Abholzung von Regenwald. Und neben einem Plädoyer für ökologische Landwirtschaft machen auf der COP 21 auch Vertreter der Gentechnik Werbung für ihr Anliegen, um die Menschheit vor klimabedingtem Hunger zu bewahren.

Ein weiteres Thema, das Länder wie die USA, Australien oder Katar eher als Ärgernis empfinden ist die Schadensbezifferung. Loss and damage meint klimabedingte Schäden und Verluste, die bereits eingetreten sind oder sehr bald kommen werden. Oft sind solche Ereignisse nicht unmittelbar dem Klimawandel zuzuordnen, ihre Häufung und der Umgang damit wird aber insbesondere von ärmeren Staaten, die am meisten darunter leiden, auf die Tagesordnung gesetzt. Das deutlichste Beispiel sind Inselstaaten im Südpazifik, die buchstäblich im Meer versinken. Vertreter mehrerer Länder des Südens machten bereits unmissverständlich deutlich, dass es in Paris ohne die Erwähnung von loss and damage im Text kein Abkommen geben werde. Doch gilt es als ausgeschlossen, dass dieser Aspekt ein eigenes Kapitel bekommen wird. Irgendeine Art Verpflichtung für die Mitgliedstaaten der UN-Klimakonvention, die 1992 auf dem Erdgipfel in Rio de Janeiro verabschiedet wurde, wird sich wohl nicht durchsetzen lassen.
Trotz aller Schwierigkeiten sind die Erwartungen hoch. Dass zum Auftakt der Konferenz eine so große Gruppe von Staats- und Regierungschefs zugegen war, macht deutlich, dass es nicht an der Überzeugung mangelt, dass etwas getan werden muss. Dies ist durchaus ein Verdienst der weltweiten Klimabewegung, die so beharrlich Druck ausübt, dass heute kaum noch jemand die Brisanz des Themas leugnet. Nach dem Scheitern der Konferenz in Kopenhagen 2009 ist zu erwarten, dass es dem französischen Gastgeber gelingen wird, ein Abkommen zu zimmern. Nicht zuletzt wegen der pfiffigen Idee, schon im Vorhinein von allen Staaten freiwillige Ziele zur Emissionsminderung einzufordern. Jeder Staat verspricht, seinen CO2-Ausstoß in dem Maße zu senken, wie er es ohne allzu großen Aufwand und ohne Imageverlust realisieren kann. Ob diese Zusagen verbindlich sein werden, wird heftig diskutiert, ebenso ob es eine transparente Überprüfung dieser Klimaziele geben soll. Doch auch hierbei ist die von NGOs geforderte Klimagerechtigkeit – also der Schutz derjenigen, deren Lebenswandel kaum zum Klimawandel beigetragen hat, die aber am meisten von ihm betroffen sind – kaum gegeben. Autos, die Renault in Korea baut, und Eisenerz, das Thyssen-Krupp in Westafrika einkauft, verschmutzen nicht in Europa die Umwelt, sondern fernab der angeblichen Klimavorreiter. Anstatt also zu fragen, wer wo was konsumiert, verstecken sich die Vorgaben zur Klimapolitik hinter der geographische Lage der Produktionsstätten, die aus anderen Gründen schon längst ins Ausland verlegt wurden.

Erklärtes Ziel in Paris ist es, die Erderwärmung im Vergleich zur vorindustriellen Zeit auf zwei Grad Celsius zu begrenzen. Eine große Gruppe von Staaten aus dem Süden fordert eindringlich, 1,5 Grad als Zielmarke festzuschreiben, obwohl die meisten wissenschaftlichen Studien nachweisen, dass auch dies nicht ausreicht, um gravierende Klimaveränderungen zu verhindern. Offenbar finden sie in Paris Gehör, so dass ein »möglichst unter 1,5 Grad Celsius« im Vertragswerk stehen könnte, jedoch ohne jegliche Verbindlichkeit. Ohnehin reichen die bislang veröffentlichten freiwilligen Minderungswerte längst nicht aus, um dem Zwei-Grad-Ziel nahe zu kommen. Die realistische Zielvorstellung von Paris lautet also: Hauptsache irgendein Abkommen, ein ambitioniertes ist sowieso nicht machbar. Die einen hoffen, dass dies eine Basis für zukünftige Klimapolitik sein kann und es eventuell sogar Nachbesserungen geben wird. Andere sehen sich in der Skepsis bestätigt, dass UN-Klimakonferenzen nicht das Forum sind, um effektiv gegen Klimawandel und andere ökologische Verfehlungen vorzugehen.
Dass die Erderwärmung keine abstrakte Angelegenheit ist, zeigt die Debatte über Migration. Klimabedingte Katastrophen haben zwischen 2008 und 2013 Schätzungen des »Internal Displacement Monitoring Center« zufolge weit über 100 Millionen Menschen dazu gezwungen, ihr Zuhause zumindest zeitweise zu verlassen – das entspricht 85 Prozent aller forcierten Migration in diesem Zeitraum. Organisationen aus der Entwicklungspolitik fordern, auch mittels Klimapolitik die Lebensbedingungen in armen Ländern zu verbessern, damit die Menschen in wettergeschädigten Regionen nicht in der Migration die einzige Überlebenschance sehen.

Ein Grund für die widersprüchlichen Bewertungen von Klimakonferenzen ist die Debatte über einen Grundsatz, der 1992 in der UN-Klimakonvention festgeschrieben wurde: die »geteilte, aber differenzierte Verantwortung« für den Klimawandel. Damit ist gemeint, dass die Industriestaaten historisch für die meisten Treibhausgasemissionen verantwortlich sind und dementsprechend stärker in die Verantwortung zur Lösung des Problems genommen werden sollten als arme Länder. Die meisten Länder des Südens beharren bis heute auf diesem Prinzip und fordern auch in Paris entsprechende Vorleistungen des Nordens oder zumindest weitreichende Finanzzusagen. Die Industrieländer argumentieren, dass mittlerweile Schwellenländer wie China oder Indien für immer größere Emissionsmengen verantwortlich seien und dass Ölstaaten ebenfalls zur Kasse gebeten werden sollten.
Um Verträge zur Liberalisierung von Handel oder Dienstleistungen und deren negative Folgen zu verhindern, kann ein Scheitern großer Konferenzen durchaus als politischer Erfolg verbucht werden – daran ändern auch die oft noch folgenschwereren bilateralen Freihandelsverträge nichts. Beim Klima hingegen werden ohne ein Abkommen Emissionen zukünftig noch weniger gebremst, was weltweit immer mehr Schäden verursachen wird. Entsprechend teilt sich die Klimabewegung in Verhandler und radikale Ökologen: Die einen wollen das Leid mindern und spielen bei den Konferenzen mit. Die anderen wollen sich nicht erpressen lassen und ziehen Kritik und Opposition der Realpolitik vor.