Die Grenze ist eine Tür. Zum Beispiel im Berghain

Bohnen-Dip statt in da Club

Ist es peinlich, vom Türsteher abgewiesen zu werden? Nein, meint unsere Autorin. Jacinta Nandi erzählt von Leuten, die es nicht ins Berghain ­geschafft haben, und schildert ihr unangenehmstes Ausgeherlebnis.

Neukölln, Abendessen, alles Ausländer, aber Expats, also nicht die aus den armen Ländern. Wegen uns geht Pegida nicht marschieren. Obwohl, wenn sie wüssten, wie schlecht unsere Deutschkenntnisse sind, würden sie wegen uns schon ein paar Transparente malen.
»Iss mehr Guacamole«, sage ich zu meiner Freundin Martha. »Ich habe Limette reingemacht statt Zitrone.«
»Hast du auch in den Hummus Limette getan?« fragt Joe.
»Ja«, sage ich. »Auch im Hummus ist Limette und«, füge ich hinzu, »auch Erdnussbutter.«
Es ist wahrscheinlich die gelungenste Abendessenparty, die ich je organisiert habe, denke ich mir. Ich gucke meine Freunde an und lächele zufrieden.
Alle reden stolz drüber, wie oft sie nicht ins Berghain reingekommen sind. Es ist echt ein Ehrenzeichen, da nicht reinzukommen, merke ich.
»Ich bin einmal ins Berghain nicht reingekommen, weil ich ein Kleid anhatte«, sagt Zara. »Es war meine eigene Schuld, mein Kleid war richtig sexy und alles, das war eigentlich ein Ballkleid.«
»Ich bin einmal ins Berghain nicht reingekommen, weil ich so sportschuhmäßige Sandalen anhatte«, sagt Carla.
»Ich bin einmal nicht reingekommen und weiß nicht, warum genau. Aber ich denke, dass es mit meiner Handtasche zu tun hatte. Meine Handtasche hatte so einen goldenen Reißverschuss«, sagt Sandy.
»Ich bin einmal nicht reingekommen, weil ich zu viel Schminke auf meinem Gesicht hatte«, sagt Louise. »Ich war schon voll high, als ich mich geschminkt habe. Ich sah aus wie eine nuttige Clown, und ich versuchte, so sexy Augenbrauen zu haben, aber ich habe es vermasselt.«
»Ich bin nie nicht reingekommen ins Berghain«, verkündet meine Freundin Martha.
»Was?« fragt Zara, eine Amerikanerin, irritiert.
»Ich bin nie nicht reingekommen ins Berghain!« sagt Martha nochmal. »Ich bin nie weggeschickt worden von dem Typen da. Der aus der DDR mit den Tätowierungen überall auf dem Gesicht.«
»Warum bist du nie nicht reingekommen?« frage ich sie.
»Eigentlich ist es total leicht ins Berghain zu kommen!« sagt Martha. »Ich komme da immer rein! Immer! Ich glaube nicht, dass dieser Typ mich wegschicken würde. In vier Jahren ist es nie passiert.«
»Es ist ziemlich uncool, immer ins Berghain zu kommen«, sagt Zara. »Nur sehr uncoole Leute kommen immer rein. Die coolen Leute kommen nur fast immer da rein.«
»Ich bin auch nie nicht reingekommen«, sage ich.
Jetzt gucken mich alle sehr schockiert an.
»Was?« fragt Martha. »Niemals?«
Ich zucke mit den Schultern. »Niemals«, sage ich. »Weil ich nie dort hingehe, können sie mich schlecht wegschicken.«
Die Wahrheit ist: Ich bin viel zu alt, um tanzen zu gehen, eine alte Omi bin ich. Warum sollte ich tanzen gehen? Ich finde es schlimm genug, überhaupt in Bars zu sitzen und zu trinken. Du musst laut schreien wegen der Musik; du musst in einer Schlange stehen, wenn du pissen willst; du bist müde und willst eigentlich nur nach Hause, aber du musst mindestens zwei Stunden warten, sonst ist es unhöflich.
Eigentlich verstehe ich nicht, warum die Leute ins Berghain gehen. All diese Leute erzählen, dass der Sound so gut ist, oder? Aber der Sound auf meinem Laptop ist auch gut, und die Musik, die ich spiele, kann ich mir aussuchen, also zum Beispiel Taylor Swift oder Miley Cyrus oder Beyoncé oder Rihanna und so. Ich kann das in Ruhe hören, beim Putzen oder in der Badewanne, und alles ist super, und ich muss vorher nicht eine Stunde in der Kälte anstehen.
»Ich bin einmal fast nicht reingekommen in so eine Sexdisko«, sage ich. Alle gucken mich an, als ob sie nicht glauben könnten, dass ich überhaupt in einer Disko gewesen bin. Ich bin die Älteste in der Runde – Jahrgang 1980 – und ich bin auch die, die am längsten in Berlin wohnt.
»Eine Sexdisko?« Joe guckt mich freundlich an, so wie du deine Oma angucken würdest, wenn sie über Fisting spräche. »Meinst du einen Club?«
»Ich bin mit einem palästinensischen Kumpel hingegangen. Ich sage Kumpel, aber ich glaube, dass er mein Liebhaber war. Aber ich bin mir nicht sicher, wie oft und für wie lange wir gefickt haben. Das ist alles so lange her! Ich war 21 Jahre alt. Es war der Sommer 2001, bevor der 11. September geschah. In der Schlange haben wir Englisch gesprochen und dann hat der Türsteher gesagt, dass Engländer nicht rein dürften, weil wir zu prüde seien. Ich sagte zu ihm: ›Oh, aber ich bin keine typische Engländerin!‹ Dann hat mein Kumpel ihn überredet, dann kamen wir rein. Und dann überall nackte Menschen am Ficken. Ich merkte sofort, dass ich eine ziemlich typische Engländerin bin. Nie wollte ich lieber eine Tasse Tee mit Milch drin, ohne Zitrone, danke, trinken als in jenem Moment. Mein Kumpel sprang weg und rein in den Käfig, wo eine Matratze auf dem Boden lag, und ließ sich von einem ziemlich dicken Mann blasen und ich stand da und guckte alles an und sagte nichts. Ich habe Angst gehabt! sage ich euch. Nee, nicht Angst. Etwas anderes. Heimweh oder so was. Nicht nur, dass die Leute in Deutschland in der Öffentlichkeit ficken; es macht denen Spaß und sie wissen nicht, dass Ficken schmutzig ist. Das ist abartig. Ich wollte eigentlich nach Hause, aber es war mir zu peinlich, vor dem Türsteher zuzugeben, dass ich doch eine ziemlich typische prüde Engländerin bin, also entschied ich mich, mich in den Toiletten zu verstecken, aber dann haben die ganzen Leute Gruppensex angeboten. Also wartete ich eine Stunde an der Bar und dann ging ich nach Hause.«
Zara sagt: »Das Coolste, was mir je passiert ist, war, als ich mit drei Australiern aus war. Wir standen vor diesem Club in der Schlange schon anderthalb Stunden und dann sagte der aus der DDR, dass wir weggehen sollen. Und wir waren alle schon high. Und meine australische Freundin hatte so einen Hoodie an und war so high, dass sie diesem Hoodie vorne zuzog und ihr Gesicht verschwand, so dass sie wie der Bösewicht aus dem letzten Doctor Who aussah. Kennt ihr, wen ich meine? Und er schickte uns weg. Und ich war so fucked von den Drogen, ich ging zu dem Typen, so ohne jeden Respekt für seine Position als Ich-meine-mehr-oder-weniger-der-Gott-von-Berlin. Von seinem Status her. Und ich schrie ihn an, und ich war so high, dass mein Deutsch richtig gut geworden ist: ›Du hast so ein Fehler gemacht, du schickst uns weg wie Touristen, aber eigentlich sind wir Berliner, wir gehören hier rein, du sollst das überlegen, wir gehören hier rein, wir sind Teil dieser Kultur!‹ So einen Quatsch habe ich erzählt, eigentlich waren wir voll die Touristen. Und dann wisst ihr, was passiert ist? Er hat sich umentschieden und hat uns mit der Hand gezeigt, dass wir reinkönnten. Ich konnte es nicht glauben. Ich starrte ihn an und dann bewegte ich mich in die richtige Richtung. Die Leute in der Schlange waren so beeindruckt, sie haben alle geklatscht aus Respekt vor meiner Leistung.«
Zara seufzt zufrieden. »Das war der erfolgreichste Moment meiner Zeit in diesem Land«, sagt sie.
Ich reiche Zara einen Bohnen-Dip. »Iss mal meinen Bohnen-Dip. Da ist auch Limette drin«, sage ich ihr.
»Das ist voll lecker«, sagt sie.
»Ja«, sage ich. »Ich weiß.«