Die Diskussion um die Gefahren des Zika-Virus

Viraler Alarm

Die Weltgesundheitsorganisation hat die Ausbreitung des Zika-Virus als globalen Gesundheitsnotstand eingestuft. Zu Recht?

Seit Monaten wird in Brasilien über die Gründe für die offenbar sich häufenden Geburten von Kindern mit unterdurchschnittlich großen Köpfen spekuliert. Der Mikrozephalus genannte re­lativ kleine Kopfumfang geht einher mit einem eingeschränkten Wachstum des Gehirns. Im November erklärte die brasilianische Regierung deswegen den nationalen Gesundheitsnotstand und brachte die Fehlbildung mit einer Infektion durch das Zika-Virus in Zusammenhang. Das vorher als harmlos geltende Virus wird von der Stechmücke Aedes aegypti übertragen.
Ein halbes Jahr vor Beginn der Oympischen Spiele werden in einer militärischen Großoffensive 220 000 Soldaten zur Beseitigung von Wasserpfützen eingesetzt, in denen sich die Larven vermehren können, Insektenvertilgungsmittel wird eifrig versprüht und Informationsbroschüren werden verteilt. Andere Länder und Institu­tionen haben nachgezogen. In Honduras hat das Präsidialamt den Notstand ausgerufen, Kolumbien rief einen Gesundheitsalarm aus. Die Gesundheitsminister des südamerikanischen Wirtschaftsbunds Mercosur einigten sich auf einen Aktionsplan zur Bekämpfung des Virus. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat Anfang Februar die Ausbreitung des Zika-Virus als globalen Gesundheitsnotstand eingestuft. Dies ist die höchste Warnstufe, durch die auch Staaten außerhalb der betroffenen Gebiete aufgefordert werden, Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Erregers zu unterstützen. Vor allem wird es dabei um die Entwicklung eines Impfstoffs sowie eines verlässlichen und unkomplizierten Tests gehen. Zuletzt hatte die WHO im Jahr 2014 wegen der Ebola-Epidemie in Westafrika einen Gesundheitsnotstand ausgerufen.

Das Auswärtige Amt warnte, Schwangere sollten nicht in Gebiete mit vielen Zika-Infektionen reisen. Bei unvermeidbaren Reisen sollen sie individuelle Mückenschutzmaßnahmen beachten: helle, viel Haut bedeckende Kleidung tragen, ­regelmäßig Mückenschutzmittel auftragen und sich möglichst in geschlossenen Räumen aufhalten. Da dies einzuhalten auf Dauer schwierig sein dürfte, haben Kolumbien, Ecuador und Jamaika ihrer Bevölkerung empfohlen, Schwangerschaften aufzuschieben, bis der Virus besiegt sei, El Salvador empfahl dies sogar für ganze zwei Jahre.
Das Zika-Virus ist 1947 erstmals bei einem ­Affen aus dem ugandischen Zika-Wald festgestellt worden. Es tauchte danach vereinzelt in Asien auf und seit Anfang 2015 verstärkt in Brasilien. Eine Ansteckung mit Zika führt nur bei etwa 20 Prozent der erwachsenen Infizierten zu Symptomen, die einer leichten Grippe ähneln und normalerweise nach wenigen Tagen vollständig abklingen.
Aufgrund der räumlichen und zeitlichen Nähe zwischen dem vermehrten Auftreten des Virus und Fällen von Schädelveränderungen bei Neugeborenen hält die WHO einen kausalen Zusammenhang für sehr wahrscheinlich, ein wissenschaftlicher Beweis liegt allerdings noch nicht vor. Eine Häufung der Mikrozephalie in anderen Regionen, in denen Zika-Virus-Erkrankungen auftreten, ist bisher nicht aufgefallen. Auch gibt es etliche gemeldete Fälle von mit Zika infizierten Schwangeren, die gesunde Babys auf die Welt brachten.
Das brasilianische Gesundheitsministerium teilte am 2. Februar mit, es gebe bisher 4 783 gemeldete Verdachtsfälle von Microzephalus, davon hätten mehr als 70 Prozent noch nicht geprüft werden können. Bei 404 Fällen sei Mikrozephalie oder eine andere Behinderung des zentralen Nervensystems bestätigt worden, davon lediglich in 17 Fällen auch ein Zusammenhang mit einer Zika-Infektion. In 709 Fällen sei der Verdacht hingegen verworfen worden. Wie eine Studie der Lateinamerikanischen Arbeitsgruppe für erblich bedingte Fehlbildungen (ECLAMC) Ende Dezember feststellte, spielt bei solchen Meldungen eine große Rolle, dass mit einer erhöhten Aufmerksamkeit für eine bestimmte Behinderung die Zahl der Meldungen stark zunimmt, ohne dass es tatsächlich mehr Fälle gibt. Den Experten zufolge spielen auch geänderte Kriterien für den als normal geltenden Kopfumfang eine Rolle bei der »exzessiven Überdiagnostik«. Zur Klärung der Frage, ob es überhaupt eine Mikrozephalie-Epidemie in Brasilien gibt und ob diese mit dem Zika-Virus zusammenhängt, empfehlen sie eine Studie mit Schwangeren, bei denen regelmäßige Blutproben den viralen Status und Ultraschalluntersuchungen das Kopfwachstum des Fötus kontrollieren.

Allerdings müsste auch Hinweisen auf andere mögliche Ursachen nachgegangen werden. Vermutet wird ein Zusammenhang mit einer 2014 in Brasilien neu in die Grundversorgung von Schwangeren aufgenommenen Impfkombination, die nicht für diesen Zweck freigegeben worden sei. Ohne die entsprechenden Daten ist es unmöglich zu überprüfen, ob an dieser Spekulation etwas dran ist oder ob es sich um Tiraden noto­rischer Impfgegner handelt. Im Verdacht stehen auch genveränderte Mücken eben der Sorte Aedes aegypti, deren Vermehrungsfähigkeit manipuliert wurde, um die Ausbreitung des Dengue-Fiebers zu minimieren. Dengue kann in schweren Fällen tödlich verlaufen, in Brasilien sterben jährlich Hunderte Menschen daran. Diese von der britischen Firma Oxitec entwickelten Mücken wurden tatsächlich in den derzeit von Zika betroffenen Gebieten freigesetzt. Diskutiert wird nun, die Insekten auch zur Eindämmung des Zika-Virus einzusetzen. Doch zuvor sollte geklärt werden, ob sie nicht eher Verursacher des Problems sind.
Statt der Überprüfung der verschiedenen Hypothesen ist weltweiter Alarmismus angesagt. Auch in seriösen Tageszeitungen finden sich Überschriften wie »Zika-Virus: Wo Frauen nicht schwanger werden sollen«. Die jüngste Bestätigung einer sexuellen Übertragung des Virus aus den USA vergrößerte die mittlerweile weltweite Unsicherheit. Aus Brasilien häufen sich die Meldungen über Abtreibungen wegen einer befürchteten Zika-Infektion. Schwangere seien verzweifelt wegen der Aussicht, dass das Baby mit Fehlbildungen geboren werden könnte, und suchten nach Möglichkeiten für klandestine Abbrüche, hieß es unter Berufung auf Ärzte in der Zeitung Folha de São Paulo. Die Frauen würden die Prognose nicht abwarten, sondern eine »präventive« Abtreibung vornehmen lassen.

Lateinamerika zählt zu den Regionen mit den ­rigidesten Abtreibungsgesetzen weltweit. Die Empfehlung mehrerer lateinamerikanischer Regierungen, Schwangerschaften zu vermeiden, hat dementsprechend einen Aufschrei internationale Frauengrechtler ausgelöst. Die Unterschriftenkampagne des US-amerikanischen Center for Reproductive Rights bringt es in einem Facebook-Post auf den Punkt: »Der Zika-Virus ist zerstörerisch, aber es ist eine einmalige Gelegenheit für uns, zusammenzukommen und El Salvador dazu aufzurufen, sein kriminelles Totalverbot von Abtreibungen aufzuheben.« Und das Women’s Global Network for Reproductive Rights forderte die betroffenen Länder und internationale Orga­nisationen auf, bei der Bekämpfung des Virus einen ganzheitlichen Ansatz zu verfolgen, der auf Menschen-, Gesundheits- und reproduktiven Rechten beruhe. Dies soll eine Ausweitung pränataler Untersuchungen zur frühzeitigen Feststellung von Mikrozephalie und eine Entkriminalisierung von Abtreibung beinhalten. Die Frauen, die sich trotzdem für das Austragen der Kinder entschieden, sollen mit den therapeutischen und sozialen Mitteln unterstützt werden, die ihre Kinder benötigen. Es scheint keinen Gedanken wert, dass es eben auch nicht an dem Virus liegen könnte. Auch die Forderung, dass Frauen und Schwangere nicht durch völlig überdimensionierte Maßnahmen beunruhigt werden sollten, liest man dort nicht.