Das Problem liegt in der Antiaufklärung. Über die Grenzen des Postfeminismus

Queerfront der Partikularitäten

Fight back? Der gehypte Postfeminismus verfällt in Schockstarre, wenn bestimmte Konstellationen nicht in sein Weltbild passen. Sein Scheitern liegt im eigenen antiaufklärerischen Potential begründet.

Gerade weil es bei Sexismus und sexualisierter Gewalt um alte Themen des Feminismus geht, ist die Kritik am gehypten »neuen« oder »jungen« Netz-Queer-Lifestyle-Interventionsfeminismus à la #ausnahmslos so schonungslos. Die antiuniversalistische, kommunitaristisch aufgeladene Relativierung, die ihm eigen ist, bedingt den fundamentalen, selbstverschuldeten Bruch mit allem, was progressiv oder eman­zipatorisch noch bedeuten könnte. Dem »alten«, liberal-bürgerlichen Feminismus ist immerhin zugute zu halten, auf pragmatische Weise universalistisch zu agieren, weil er weibliche Emanzipation einfordert, ohne auf partikulare kulturelle oder religiöse Befindlichkeiten reflexartig mit ideologischem Artenschutz zu reagieren.
Vorzuwerfen ist dem »alten« Feminismus, dass er diesen Universalismus dort verliest, wo er sich ins nationalistisch aufgeladene Klima des »hier bei uns in Deutschland!« einfügt oder die hart erkämpften feministischen Errungenschaften territorial eingehegt konservieren möchte. Und doch bedarf es »zugunsten des Universalismus der Aufklärung« in der Sexualitäts- und Geschlechterfrage gerade keines weiteren, wie auch immer gearteten »spezifischen« Antifeminismus (Paulette Gensler, Jungle World 5/2016). Es braucht gerade mehr an geschichtsbewusstem und gesellschaftskritischem Feminismus, wenn die Reaktionäre auf dem Vormarsch sind: Da die Islamisierer, die Frauen in Heilige und Huren einteilen, dort die Volksdeutschen, die nun »unsere blonden deutschen Frauen« (Tatjana Festerling) vor der Barbarei des »kulturfremden« Anderen schützen wollen.
Der ideologiekritischen Skepsis gegenüber dem Feminismus ist mit Blick auf die Geschichte des Westens ent­gegenzuhalten, dass das »Frauenbild« hier tatsächlich einen enormen Wandel durchlaufen hat. Von der Aufklärung und der Erklärung der Menschenrechte bis zur »sexuellen Revolution« bedurfte nämlich noch jede Revolution des Denkens und der Verhältnisse des Korrektivs durch Frauenbewegung und Feminismus, um die von männlichen Vordenkern großzügig als universal ausgegebenen Errungenschaften auch für die andere Hälfte der Menschheit zugänglich und fruchtbar zu machen. Vor diesem Hintergrund steht die postfeministische Kontinuität, die sich heute als einzigartig und notwendig in Szene setzt, symptomatisch für eine selbstverschuldete neue Unmündigkeit, die auf kritisches Denken verzichtet, um einen eklektischen Partikula­ritäten-Feminismus zur Mode zu machen. Der Analyse des ideologisch begründeten Scheiterns an der Realität bei Hannah Wettig (Jungle World 6/2016) schließt sich eine weitere Deutung an, die den bigotten neuen Über­feministinnen in ihrem Dauerabgrenzungskrampf von der symbolischen Übermutter so gar nicht schmecken dürfte: Alice Schwarzer ist Punk! Immerhin bricht die geschmähte Altfeministin wenigstens mit dem Kon­formismus der Youngster und wendet sich trotz der insgesamt aufgedrehten Stimmung noch den Hintergründen von Täter und Taten sogar recht differenziert zu. Und ist es nicht irgendwie beruhigend zu wissen, dass wenigstens Schwarzers Feminismus, einem kampferprobten honorigen Schlachtschiff gleich, irgendwo da draußen immer noch unbeirrt, allen sprachpolitischen und sonstigen Trends zum Trotz, gegen die Wogen patriarchal-sexistischer Kackscheiße kreuzt? Und das seit Iran ’79 zuverlässig, wann immer der politische Islam mit seinen akuten wie tiefenstrukturellen Auswirkungen auf den Plan tritt. Beruhigend, weil das, was der gehypte Feminismus postmoderner Prägung mit Blick auf den Silvester-Terror zu bieten hatte, mit handzahm und wirkungslos noch wohlwollend umschrieben ist.
Wozu braucht es dann überhaupt diesen »neuen« Feminismus, wo er noch hinter den »alten« zurückfällt, wenn’s brennt? Wohl um seiner selbst willen. Als um sich selbst kreisender Lifestyle-Feminismus eignet er sich ausnahmslos bequem zur Distinktion und ergo Akkumulation kulturellen und sozialen Kapitals, die die eigene Position in den akademischen Herkunfts- und ­soziokulturellen Politmilieus mitsamt ihrer Posten und Netzwerkstrukturen garantieren. Der politische Anlass gerinnt zum bloßen Treuepunkt im in­dividuellen Aktivitäten-Portfolio – jeder Hashtag eine gute Tat! Als bloßer Interventionsfeminismus agiert er punktuell und strategielos. Irgendwie planlos »überall« zur Stelle, wo ein scheinbar vom Himmel gefallener Sexismus halt so zuschlägt, der schon ­begrifflich nicht fassbar wird und auf nicht mehr als den abstrakten -ismus verweist, wo kein Rekurs auf gesellschaftliche Verhältnisse und mithin kein Erklärungszusammenhang mit den patriarchalen Strukturen in Gesellschaft, Kopf und Körper mehr möglich ist. Wo es einst »Zusammenhänge denken« hieß, erfordert die selbstauferlegte queerfeministische Orthodoxie heute das Ausblenden derselben. Dabei war der feministische Theoriekomplex, den die Zweite Welle der Frauenbewegung in der Dialektik von Praxis und Theorie entwickelte, als ­radikale Kritik an patriarchalen Herrschaftsstrukturen auch schon mal weiter.
Exemplarisch sei nur auf den Beginn der US-amerikanischen Women’s Liberation verwiesen. Die Gemeinsamkeiten und Kontinuitäten reichten, bei allen Unterschieden, von Kate Milletts »Sexual Politics« (1970) bis in den säkularen arabischen Feminismus etwa einer Nawal el Saadawi hinein, wo eine dialektische Vermittlung von gesellschaftlichen Verhältnissen und Strukturen noch zum Ausgangspunkt der Kritik gemacht wurde. Millets po­litische Losung der sexuellen Revolution wird heute etwa von Seyran Ateş, Ayaan Hirsi Ali oder Hamed Abdel-Samad im Islam eingefordert. Eine aufklärerische, kritische Beschäftigung mit der eigenen Theoriegeschichte kommt den Apologetinnen des Kulturrelativismus eben recht ungelegen, wo retrospektiv so viele »Ismen« das eigenständige Denken knebeln. Überall bloß weiß-westlich-imperialistischer, klassistischer, cis-sexistischer oder besonders islamophober Feminismus – it’s so disgusting!
Nicht nur diskursmächtige feministische Strömungen lassen eine auf­geklärte, universalistische Agenda vermissen, welche die gesellschaftlichen Widersprüche zu denken und Emanzipation als dialektischen Prozess aus­zuhalten wüsste. In weiten Teilen des liberalen und linken politischen Spektrums dominiert jenes Denken, das im akademischen Rahmen mit dem cultural turn, also der Kulturalisierung des Sozialen, und insbesondere mit dem linguistic turn seinen Ausgang nahm. Wenn der Rekurs auf gesellschaftliche Verhältnisse und Strukturen durch die »diskursive Herstellung« von Kultur, Geschlecht und Identitäten ersetzt wurde, verschwinden die schlechten gesellschaftlichen Realitäten ausnahmslos bequem aus dem Blick. Dafür gelingt neoislamistischen Welt­anschauungen die Integration im Mainstream und in der antiimperialistisch aufgestellten Restlinken. Der ­Islam braucht nämlich neben der Kairoer Menschenrechtscharta auch noch einen eigenen, koran- und shariakompatiblen »islamischen« Feminismus. Als quasi natürlicher Verbündeter ist letzterer fest in liberale, linke und queerfeministische Diskurse integriert. Dort kann man bestaunen, wie die notorischen Neofeministinnen gemeinsam mit Hijab-Aktivistinnen das Partikulare überhöhen und das Uni­versale verwerfen. Hier feiern ausgerechnet die Dekonstruktionsfetischistinnen mit der neoislamischen Erneuerungswelle gemeinsam jenen Weiblichkeitswahn als Befreiung, dessen Entlarvung der Zweiten Welle noch zum Aufbruch gegen das Patriarchat bewegte. Die neue-alte weibliche Wesen- und Tugendhaftigkeit samt Zerstreuung mittels bunter Tücher bis zum selbstbestimmten Niqab-Tragen darf heute ja auch ganz selbstbestimmt ausgeschmückt werden. Im »islamophoben« Westen, immerhin. Der postmoderne Bruch mit dem Feminismus der Zweiten Welle verschränkt sich heute mit all jenen Bewegungen, die unter dem Banner der Hyperprogressiven alles integrieren, was an leidenschaftlich antiuniversalistischem, antiwestlichem und folgerichtig antizionistischem Potential vorhanden ist. Was Dora Streibl (Jungle World 4/2016) mit Blick auf die reaktionäre Kontinuität der Verflechtung von Antifeminismus und Antisemitismus anreißt, bedeutet in der Konsequenz – wenn man Universalismus noch denken und gesellschaftliche Verhältnisse noch zum Ausgangspunkt nehmen mag –, dass es des radikalen Bruchs mit jener sich progressiv und links gerierenden Queerfront der Partikularitäten aus Pseudofeminismus, Antiimperialismus, Islamismus und Antisemitis­mus bedarf, um innerlinke wie ­gesamtdeutsche Zustände aufzusprengen.