Industrial Dance

Was soll schon dabei rumkommen, denkt man, wenn zwei sich anschicken, in die Geschichte der russischen Avantgarde hinabzusteigen, um sich neben Inspiration auch die entsprechenden Klänge abzuholen? Beschäftigungen mit Arseni Awraamow gibt es viele. Mit Wladimir Popow wenige, der Mann ist heute so gut wie dem Vergessen anheimgefallen. Popov zählte zu denen, die nach der Revolution zu allen nur erdenklichen Mate­rialien griffen, um mit ihnen Musik zu machen – und er war erstaunlich erfinderisch und produktiv.
Seine Instrumente sind der Ausgangspunkt des Albums »Transmissions From Revarsavr« von Lumisokea, zwei in Berlin lebenden Künstlern, die dem Russen auf ihrem jüngsten Album die Ehre erweisen. Anfang 2014, als etwa 200 der Krachinstrumente Popows, die er zwischen 1920 und 1950 erfunden hatte, für kurze Zeit in Berlin ausgestellt wurden, da nahmen sie das bizarre Instrumentarium auf. Wie andere Amateure auch arbeitete Popow damals mit dem, was er zur Hand hatte. Kunst und Leben gingen gut zusammen, Musikinstrumente und die Werkzeuge aus dem Betrieb waren beinahe ein und dasselbe, der Kunst haftete das Proletarische an. Dass die Instrumente zu Gehör brachten, wie das Zeitalter klang – das Rattern der Maschinen, das Quietschen und Ächzen von Metall auf Metall –, war demnach kaum verwunderlich.
Dass ganze Musikgenres sich in der Zwischenzeit diesen Sounds gewidmet haben, ändert nichts daran, dass Lumisokea etwas Aufsehenerregendes gelungen ist. Denn ihre elek­troakustischen Experimente haben sie mit traditioneller Rhythmik, genauer gesagt, mit sehr viel Polyrhythmik, verschnitten. Entstanden ist so eine seltene Mischung, ein groovender Industrial-Sound, der weniger scheppert als dass er zum Mitswingen animiert. Das Ganze gemastert von Rashad Becker. Weil dieser Mann zurzeit das beste Verständnis für diese Art von Musik hat. Ein phantastisches Album.
Lumisokea: Transmissions From Revarsavr (Opal Tapes)