Das Fußballfilmfestival 11mm beschäftigt sich auch mit den Fans

Mit Fan-Schal und Wegbier

Beim diesjährigen 11mm-Filmfestival lag der Fokus auf Fankultur und der gesellschaftlichen Bedeutung des Fußballs.

Fußball und Film haben es nie leicht miteinander gehabt. Eine lebendige Beziehung, ja, ist es immer schon gewesen, aber lange Zeit gewöhnungsbedürftig. Bizarre Mischungen aus Heimatfilm und Klamaukstreifen, hölzern nuschelnde Fußballprofis in drittklassigen Spielfilmen und US-amerikanische Blockbuster mit sehr eigenen Interpretationen eines Fußballspiels prägten ziemlich lange das Angebot an Fußballfilmen. Es war leicht, das Genre zu verspotten. Und dann, als die Intellektuellen den Fußball entdeckten und anspruchsvolle Regisseure begannen, sich dem Fußballfilm zu widmen, war das Image des Genres so gründlich versaut, dass manch ein Kritiker bis heute beim Fußballfilm reflexartig dieselben Fragen stellt: Kann man wirklich gute Filme über Fußball machen? Sind das nicht nur Nischenprodukte? Und bekommt man jenseits von Schinken wie »Kick it like Beckham« oder der »Wilde Kerle«-Endlosreihe überhaupt Menschen dazu, sich Fußball im Kino anzugucken? Zumindest die letzte Frage ist mittlerweile beantwortet: Das 11mm-Festival, das einst erste Fußballfilm-Festival überhaupt, zeigte in diesem Jahr vom 17. bis zum 21. März an vier Tagen über 70 Fußballfilme. Nein, nicht vor leeren Sälen.
Es war ein sehr gemischtes Publikum, das am Wochenende in die drei gastgebenden Berliner Kinos strömte. Fußball-Hipster und interessierte Indie-Kinogänger teilten sich die Kino-Säle mit Fußball-Urgesteinen im Fan-Schal und mit Wegbier oder gleich kompletten Fanclubs. Die Gunst des Publikums verteilte sich allerdings sehr unterschiedlich: In einige Vorführungen insbesondere ausländischer Produktionen verliefen sich nur eine Handvoll Zuschauer, während etwa die Premiere von »Ferne Liebe«, einer Doku über Exilfans in Berlin, von gefühlt jedem Fanclub besucht wurde, der in der Doku auch nur in einem Satz auftauchte. Ergebnis: Stadion-Flair, Fan-Gesänge verschiedener Lager und gegrölte Lob- oder Schmährufe während des Films, wenn Freund oder Feind auftauchte. Manchmal war man sich sogar einig: »RB Leipzig und Bayern, das ist beides asoziale Scheiße«, befindet ein Fan in der Doku »Ferne Liebe«. Zustimmendes Johlen im ganzen Kinosaal: Da waren sie alle dabei.
Es ist der Fokus auf Fankultur und gesellschaftlicher Bedeutung des Fußballs, der auch in diesem Jahr den Reiz des Festivals ausmachte. Besonders überzeugen konnte dabei die englische Doku »Underhill« aus dem Jahr 2013, die den damaligen Viertligisten Barnet FC beim Abschied von seinem alten Stadion begleitet. Die Fans, die den Club häufig ihr ganzes Leben lang begleitet haben, können es nicht fassen, dass sie ihr altehrwürdiges Stadion, in dem der Verein über 100 Jahre gespielt hat, nun verlassen sollen. Mit viel Respekt und Gefühl, aber auch mit Humor nähert sich der Film den schrulligen Protagonisten, denen ihr Barnet FC alles bedeutet: Dem alten Mann, der seit 1968 nur ein einziges Spiel verpasst hat und sich bis heute darüber ärgert, dass ihm das passieren musste; dem Witwer, der dank des Vereins über den Tod seiner Frau hinwegkommt; dem Mann an der Imbissbude, der sagt, er sei froh, dass er beim letzten Spiel Hamburger braten muss, damit er keine Zeit hat zu heulen. Und dem skurrilen Clubbesitzer, der allen Ernstes verkündet: »Wir bauen zwar viel Scheiß in der Vereinsführung, aber die Leute sind nicht sauer, denn sie wissen ja, dass wir das nicht mit Absicht machen.« Größtes Highlight: Die Vereinslegende erzählt, wie man Elfmeter reinmacht. Frage des Regisseurs: »Hast du auch mal daneben getroffen?« Antwort: »Nein.« »Nie?« »Guck dir an, wie groß das Tor ist. Wie soll man da daneben treffen?«
Es war insbesondere die wachsende Sparte der Fußball-Dokumenta­tionen, die auf dem 11mm-Festival überzeugte. Unter den deutschen Filmen war vor allem »Zweikämpfer« bemerkenswert, eine Dokumentation über arbeitslose Fußballprofis, die den Spielern so nahe kam wie selten ein Film zuvor. Gefeierte Bundesligaprofis wirkten plötzlich zutiefst menschlich – einer der berührendsten Beiträge des Festivals. Auch der deutsche Film »90 Minuten Deutschland-Israel« über die politische Ebene deutsch-isralischer Fußballbeziehungen näherte sich dem Fußball auf gesellschaftlicher Basis. Das brachte viele Erkenntnisse; die Produktion der Deutschen Welle litt allerdings unter der Qualität der ausgewählten Protagonisten: Mehr Fans und weniger phrasendreschende Spieler wären hier besser gewesen. Schöne Szenen gab es dennoch genug, insbesondere über den inneren Zwiespalt eines israelischen Fanclubs für die deutsche Nationalmannschaft. Inwieweit sollten Fußball und Geschichte vermischt werden? Ist es verwerflich, als Jude für die deutsche Nationalmannschaft zu sein? Die Fans finden ihre eigenen kreativen Lösungen. Einer von ihnen etwa hat sich die deutsche Flagge als Kapitänsbinde tätowieren lassen. »Für euch ist das eure Staatsflagge«, sagt seine Freundin, »aber für ihn ist es einfach das Logo seiner Lieblingsmannschaft.«
Während die Dokus eher für die schwere Kost zuständig waren, sorgten zwischenzeitlich Spielfilme wie die unvermeidlichen »Wilden Kerle« für entspannte Unterhaltung. Einer der besten Beiträge unter den Spielfilmen kam aus Dänemark: »Sommeren 92« erzählt den ebenso märchenhaften wie skurrilen Sieg der dänischen Nationalelf bei der EM 1992. »In einer Welt, in der zwei plus zwei vier ist, wird Dänemark niemals die EM gewinnen«, konstatiert Trainer Richard Möller Nielsen (Ulrich Thomsen) zu Anfang. Wie er es doch schafft, erzählt »Sommeren 92« mit viel trockenem Humor als sympathische Underdog-Geschichte. Nicht fehlen darf dabei die alte Anekdote vom gemeinsamen McDonald’s-Besuch der Mannschaft, die die Jahre überlebt hat – aber bei Weitem nicht die einzige interessante Geschichte ist, die der Film erzählen kann.
Das 11mm-Festival überlebt und gedeiht also, entgegen den Erwartungen selbst seiner eigenen Gründer. Im Jahr 2004 als einmalige Veranstaltung mit elf britischen Filmen initiiert, wuchs das Fußball-Filmfestival zwar stetig, doch die Organisatoren um Andreas Leimbach-Niaz und Birger Schmidt zweifelten mehr als einmal daran, dass sie genug Material finden würden, um langfristig weiterzumachen. »Alle dachten, uns geht irgendwann das Futter aus und 2007 geht es nicht weiter«, so Leimbach-Niaz. Die Sorge hat sich mittlerweile gelegt; nicht nur dank des aktuellen Booms von Fußballdokumentationen, sondern auch dank der vielen älteren Filme, die für das Festival regelmäßig wieder ausgegraben werden. Ein besonderes Highlight war diesmal der Stummfilm »Die elf Teufel« von 1927, einer der ersten deutschen Fußballfilme überhaupt, der im Kino Babylon um Mitternacht mit Orgelbegleitung gezeigt wurde. Wirklich enttäuschend war nur ein Beitrag: die vorher gehypte Doku »Ferne Liebe« über die Berliner Exilfans. Zu eintönig war die Struktur des Films und zu beliebig sprang die Handlung von einem Fanclub zum anderen. So blieb den Besuchern nur, sich an den wie immer schönen Zitaten der Fan-Protagonisten zu freuen. »Mein Chef gibt mir nicht frei, wenn wir gewonnen haben«, sagt einer. »Er gibt mir auch nicht frei, wenn wir verloren haben.« Um dann halb traurig, halb beruhigend zu bilanzieren: »Es ist nur Fußball.«