Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Journalisten, die über illegale Waffenverkäufe berichteten

Agil gegen Whistleblower

Journalisten veröffentlichten Berichte über illegale Waffenexporte nach Mexiko. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen die Reporter. Ihnen droht ein Jahr Gefängnis.

Der Stuttgarter Staatsanwalt Peter Vobiller hat sich reichlich Zeit gelassen. Im April 2010 hatte der Freiburger Antimilitarist Jürgen Grässlin Anzeige gegen das Rüstungsunternehmen Heckler & Koch erstattet. Erst fünfeinhalb Jahre später, im November 2015, erhob der Strafverfolger Anklage gegen sechs ehemalige Mitarbeiter des Unternehmens, weil dessen G36-Sturmgewehre in mexikanische Bundesstaaten geliefert worden waren, für die es keine Ausfuhrgenehmigung gab.
Hätten nicht einige Journalisten Beweis für Beweis zusammengetragen, wäre die Firma wohl nie für diese illegalen Exporte strafrechtlich belangt worden. Denn die Reporter waren es, die die entscheidenden Hinweise lieferten: Filmaufnahmen von Polizisten, die das G36 in den fraglichen Regionen trugen, Schreiben des mexikanischen Verteidigungsministeriums, Gerichtsakten. Vobillers Behörde war indes nicht einmal auf die Idee gekommen, beim Kunden in Mexiko-Stadt nachzufragen, wohin die Gewehre denn gegangen seien. Dort hätte man die deutschen Ermittler freimütig darüber informiert, dass etwa die Hälfte von insgesamt 10 000 gelieferten Waffen genau dort gelandet sind, wo sie nie hätte landen dürfen: in den Bundesstaaten Guerrero, Chiapas, Chihuahua und Jalisco.
Wesentlich agiler wurden die Strafverfolger in den vergangenen Monaten. Kaum waren interne Dokumente veröffentlicht worden, die eine Verstrickung des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi) und des Bundesausfuhramtes (Bafa) in den Deal nahelegen, leitete Vobiller Ermittlungen ein – gegen einige der Journalisten, die den Fall recherchierten. »Wir prüfen, ob die Veröffentlichung interner Dokumente strafbar ist«, sagte Behördensprecher Jan Holzner.
Die Vorwürfe richten sich gegen die Autoren der Dokumentation »Tödliche Exporte – Wie das G36 nach Mexiko kam«, die im vergangenen September im Rahmen eines Themenabends in der ARD ausgestrahlt wurde. Betroffen sind auch eine Webdokumentation sowie Beiträge in politischen Magazinen. Für das Gesamtprojekt wurde das Team des Münchner Filmemachers Daniel Harrich mit dem diesjährigen Grimme-Preis für besondere journalistische Leistungen ausgezeichnet. Darüber hinaus ermitteln die Behörden wegen des Buchs »Netzwerk des Todes«, das im Heyne-Verlag erschienen ist. Mittlerweile liegt das Verfahren bei der Münchner Staatsanwaltschaft, weil Harrichs Filmproduktionsfirma in der bayerischen Hauptstadt angesiedelt ist.
Bei den insgesamt 71 Dokumenten handelt es sich um Ermittlungsakten im Verfahren gegen Heckler & Koch. Auf einigen Papieren sind handschriftliche Anmerkungen zu lesen, andere beschäftigen sich damit, wie ein Export trotz Bedenken des Auswärtigen Amtes möglich sein könnte. Die Ermittlungen richten sich gegen Whistleblower, also mögliche Informanten, die das Material weitergegeben haben. Für den Fall einer Verurteilung droht eine Geld- oder eine Gefängnisstrafe von einem Jahr.
»Anstatt sich mit der Botschaft auseinanderzusetzen, geht man gegen die Botschafter vor«, reagierte Harrich auf die Ermittlungen gegen ihn und mindestens vier weitere Personen. Er vermutet, dass sich die Staatsanwaltschaft nicht damit beschäftigen will, ob Beamte des BMWi und der Bafa strafbar gehandelt haben: »Wenn es um die Rolle der Behörden geht, wollen die nicht zuhören.« Harrich verweist auf Schreiben, die zeigen, welche Mühe sich hochrangige Mitarbeiter der beiden Institutionen gegeben haben, um das umstrittene Geschäft zu ermöglichen. So zum Beispiel der Ministerialrat Claus W. Der Beamte zweifelte zwar daran, dass die Unterteilung des Exports in belieferbare und nicht belieferbare Bundesstaaten legal sei und räumte »völkerrechtliche Probleme« ein. Aber man habe, so W., eine »politische Lösung angestrebt«.
Trotz solcher Hinweise haben die Strafverfolger wegen der illegalen Exporte nur Beschäftigte von Heckler & Koch angeklagt. Die Beschuldigten agierten, so heißt es in der Anklageschrift, »gewerbsmäßig und als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Straftaten verbunden hat«. Die Vorwürfe richten sich auch gegen zwei ehemalige Geschäftsführer, unter ihnen Peter Beyerle, der vor seiner Tätigkeit für den Waffenhersteller als Landgerichtspräsident in der Region tätig war.
Dass die hochrangigen Angestellten von Heckler & Koch strafrechtlich verfolgt werden, freut Holger Rothbauer, den Anwalt Grässlins. Zugleich kritisiert er, dass die mutmaßlichen Mittäter in den Exportbehörden außen vor bleiben. Der Tübinger Jurist hatte die Anzeige bereits 2012 auf Beamte des BMWi und des Bafa ausgeweitet. Doch die Staatsanwaltschaft habe die Klage damals ignoriert, ist er überzeugt. Behördensprecher Holzner widerspricht: Man habe den Anfangsverdacht geprüft, doch »dabei ergaben sich keine konkreten Anhaltspunkte für ein strafbewehrtes Verhalten«.
Angesichts der zahlreichen Hinweise auf eine Mitschuld der Exportbehörden will Rothbauer das nicht glauben. »Die Staatsanwaltschaft trickst mit allen Mitteln, um eine Erweiterung des Verfahrens zu verhindern«, sagt er. Auch mit den Vorwürfen gegen die Journalisten wollten die Strafverfolger von ihren eigenen Fehlern ablenken. Staatsanwalt Holzner weist das von sich: »Wir müssen ermitteln, wenn der Verdacht auf einen Straftatbestand vorliegt.«