Her mit dem schönen Essen!
Es gab Zeiten, in denen Essen, Kochen und die Beschäftigung mit kulinarischen Themen etwas für Snobs waren. Gerade für junge Leute war Essen dagegen nie sonderlich aufregend, sondern zum Leben notwendig, musste also sein, irgendwie. Diese Zeiten sind vorbei. In sozialen Medien ist »Food Content« fast so viral wie Katzenbilder, gepostet wird er von »Foodies« – das sind die Leute, die ihr Essen fotografieren und sich auf Instagram und Facebook dafür feiern lassen. Auch die kurzen Clips mit Kochrezepten von Seiten wie Buzzfeed Food, Tasty, Eatsmarter oder Foodboom sind Bestandteil des Social-Media-Lebens geworden.
Militante Antiveganer, die den dogmatischen Veganismus ablehnen, gibt es heute noch. Sie sind bekanntlich die größten Dogmatiker, wenn es um die Wurst geht. Würden sie die Nase über den Rand ihrer Gulaschteller heben, könnten sie feststellen, dass es viel mehr zu verabscheuen gibt als die tierfreundlichen Veganerinnen und Veganer, die in ihrem politisch und konsumkritisch motivierten Veganismus immer einsamer werden.
Essen und Kochen werden zum Event, ein Trend, der in angesagten Vierteln der modernen Metropolen oder im Netz, wo Food- und Kochblogs immer erfolgreicher werden, zu beobachten ist. Nicht nur, weil das Essen dort kunstvoll in Szene gesetzt wird – auch dass Selbstkochen etwas wunderbar Einfaches sein kann, wird dabei suggeriert. Die professionell geschnittenen Videos sind keine Anleitungen zum Kochen mehr, es sind Geschichten von Geschmack, Genuss und gutem Leben. Kann man sich einen besseren Beitrag zur Entwicklung und Demokratisierung unserer Esskultur vorstellen? Eigentlich kaum. In den meisten dieser Blogs wird besonderer Wert auf die Qualität der verwendeten Produkte gelegt. Das hat einen einfachen Grund: Frische Zutaten sorgen dafür, dass die Gerichte nicht nur besser schmecken, sondern auch toll aussehen und gesund sind.
Genau hier hört für viele Leute aber der Spaß auf. Mit dem Wort Gesundheit assoziieren sie Begriffe wie »Terror« »Wahn« und »Diktatur«, oft reichen für die schlimmsten Projektionen nur drei Buchstaben: Bio.
Veganismus ist in, Antiveganismus ist out
Die Widerstandskämpfer gegen den »Gesundheitswahn« haben in den vergangenen Jahren viele Schlachten geschlagen, zuletzt gegen Veganerinnen und Veganer, und es ist nicht gut ausgegangen. Bevor der Veganismus in der Mitte der Gesellschaft ankam, wurde er von vielen mit dem Weltuntergang gleichgesetzt. Menschen, die keine tierischen Produkte essen, aus welchem Grund auch immer, wurden lange für komische Freaks gehalten, was nicht zuletzt zu ihrer Selbstabschottung beigetragen hat. Besonders wer die Massentierhaltung als Argument für eine solche Entscheidung anführte, wurde als naiver Gutmensch belächelt, als intoleranter Gesundheitsfanatiker und armseliger Genussfeind abgestempelt oder gleich in die Nähe von rechtsextremen Ideologien gestellt.
Militante Antiveganer, die den dogmatischen Veganismus ablehnen, gibt es heute noch. Sie sind bekanntlich die größten Dogmatiker, wenn es um die Wurst geht. Würden sie die Nase über den Rand ihrer Gulaschteller heben, könnten sie feststellen, dass es viel mehr zu verabscheuen gibt als die tierfreundlichen Veganerinnen und Veganer, die in ihrem politisch und konsumkritisch motivierten Veganismus immer einsamer werden. Ernährungs- oder auch Lifestyle-Veganismus nennt man die massenkompatible Version der veganen Lebensweise. Tierbefreiung und Gesellschaftskritik spielen darin kaum mehr eine Rolle, aus einer Ideologie ist ein Ideal geworden: das gesunde Leben.
Das mag man begrüßen oder verurteilen, es kann einem auch völlig egal sein, Fakt ist: Vegane Ernährung ist kein Trend mehr, sie ist heute so Mainstream geworden, dass »vegan« als Synonym für gesundheitsbewussten Ernährungsstil allein nicht mehr reicht.
Ein bisschen Mathe
Dafür stehen heute Paleo, Low Carb, High Fat, Basenfasten, Rawtill4, intuitives Essen, um nur einige Begriffe zu nennen. Alle diese Ernährungstrends haben ihren besonderen Schwerpunkt und ihre Do’s and Dont’s, aber alle kann man in der vegetarischen und veganen Variante haben. Bei den meisten wird zwar auf Fleisch verzichtet, Fleisch und Milchprodukte sind dennoch grundsätzlich kein Tabu mehr. Auch damit geht gesundheitsbewusste Ernährung, wenn bestimmte Standards eingehalten werden. Gemeinsam ist all diesen Trends eines: Es handelt sich nicht um Diäten, zumindest nicht im klassischen Sinne. Abnehmen ist nicht das Hauptziel.
Der moderne, gesundheits- und ernährungsbewusste Mensch glaubt nicht mehr an Mythen über »schlankmachende« Lebensmittel. Schlankmachen kann man sich selbst. Wer auch nur ansatzweise Selbstversuche unternommen hat, wird festgestellt haben, dass der Körper ein biochemisches System ist, das sich in vielen Bereichen programmieren lässt, um gewisse Ergebnisse zu erreichen. Mit den Kilos funktioniert das wunderbar: Das nennt sich Energiebilanz, bleibt sie dauerhaft negativ – wird also mehr Energie verbraucht als aufgenommen –, nimmt man ab. Wie man das anstellt, ist eigentlich egal. Natürlich wird immer wieder betont, wie wichtig es sei, sich ausgewogen zu ernähren, dabei Makro- und Mikronährstoffe zu beachten, aber das Prinzip ist so einfach wie eine Matheübung für Erstklässler. In der Theorie zumindest.
Will man bestimmte Ziele erreichen, wie etwa Körperfett reduzieren, Muskelmasse aufbauen oder Kraft und Ausdauer steigern, dann gibt es die zielorientierten Konzepte aus der Fitnessernährung. Auch hier gab es in den vergangenen Jahren Veränderungen: Der Bodybuilder, der früher asketisch nur Proteinshakes und trockenen Reis mit Pute in sich hineinstopfte, hat heute eine ganze Reihe von Optionen. Die entsprechenden Trends verbergen sich hinter sperrigen Abkürzungen wie IIFYM – was für »If It Fits Your Macros« steht – oder Wortzusammensetzungen wie Freeletics (free + athletis). Hier ist die Reglementierung etwas strenger, da bestimmte Ziele in einem vorgegebenen Zeitraum erreicht werden sollen. Ob man für einen Ironman trainiert oder einfach wieder in die ultraskinny Jeans vom vorletzten Sommer reinpassen will: Kalorien zählen ist out, flexible dieting ist in.