Design muss allen Menschen zugänglich gemacht werden

Unter der Oberfläche

Vielen Intellektuellen gilt die Beschäftigung mit Fragen des Designs als trivial. Zu Unrecht.

Na, um Gottes Willen, Design. Das ist dem politischen Denker ja kaum einen Nebenwiderspruch wert, oder um es mit Gerhard Polt zu sagen: muss man nicht einmal ignorieren.
Design ist bekanntlich das Hobby von sogenannten Yuppies, Leuten mit leeren Köpfen und vollen Konten, die allgemein eine Vorliebe für die Oberfläche pflegen. Wer sich um Essentielles sorgt, beschäftigt sich nicht mit Äußerlichkeiten.
Diese Grundannahme ist so verbreitet wie borniert. Eine der ältesten und somit elementarsten Formen menschlichen Ausdrucks ist die Gestaltung der Dinge des täglichen Gebrauchs – und nichts anderes ist Design: schlicht übersetzt mit »Gestaltung«, ­bedeutet es zunächst nur die Notwendigkeit der Formgebung für das alltägliche Umfeld. Das drückt sich prägnant im vermutlich berühmtesten Design-Grundsatz aus: form follows function. Die drei Wörter besagen, dass Dinge nach dem größtmöglichen Gebrauchswert gestaltet werden sollten; das gilt für einen Eierbecher ebenso wie für einen Pflug. Einem Verbot von Ornamentik oder Fantasie kommt dieses Prinzip übrigens nicht gleich. Gegen solches Missverstehen haben viele gute Gestalter angekämpft, so auch der Architekt und Designer Oscar Niemeyer, der mit Blick auf die Gestaltung von Gebäuden sagte: »Es ist nicht wahr, dass Architektur für Sozialwohnungen und öffentliche Zweckbauten möglichst einfach sein muss. Diese Einstellung ist demagogisch, paternalistisch und genau besehen inakzeptabel. Wo steht denn geschrieben, dass ›nützliche‹ Architektur hässlich sein muss? Wenn es etwas Hässliches in unseren heutigen Städten gibt, dann sind es nicht die Unterschiede von Architektur und Stil, sondern die soziale Diskriminierung, die von Klassenunterschieden geprägten gesellschaftlichen Beziehungen (…).«
Ähnlich verhält es sich mit der Rezeption von Design. Erstaunlicherweise wird in intellektuellen Kreisen die Auseinandersetzung mit etwa bildender Kunst ohne Weiteres akzeptiert. Das mag daran liegen, dass bildende Kunst zwar früher ein Privileg der Reichen war, nun aber sowohl hinsichtlich Produktion als auch Konsumption als allgemein zugänglich angesehen wird. Dem Design hingegen haftet noch immer der Ruch des Elitären, Abgehobenen an, was einerseits mit der falschen Annahme zu tun haben könnte, man brauche besondere Materialien, um Schönes herzustellen, und andererseits mit der Tatsache, dass es tatsächlich schwer scheint, die Vermarktung des Begriffs »Design« von den Eigenschaften »­exklusiv« und »unrealistisch teuer« zu trennen. Hier offenbart sich möglicherweise der Grund für das Unbehagen am Design. Auch die klassischen Stücke des Bauhauses, die eigentlich unter den reinsten Prämissen des Designs entstanden sind – Gebrauchswert und preiswerte Reproduzierbarkeit – sind heute kaum bezahlbar. Eben das aber konterkariert eine Grundannahme und zentrale Idee aller wichtigen Gestaltungstheoretiker, von den russischen Avantgardisten über das Bauhaus bis zu Niemeyer: Die Suche nach Schönheit ist eine allgemeinmenschliche Angelegenheit, sie entspricht einem elementaren Bedürfnis. Schönheit muss deshalb allen Menschen zugänglich gemacht werden. Oscar Niemeyer drückte die Konsequenz dieser Idee sehr einfach aus: »Der Architekt übt seine Funktion nur dann wirklich aus, wenn er seinen Beruf bewusst als politische Tat begreift.« Das gilt für Gestaltung im Allgemeinen. Design ist nicht einfach die Formgebung einer Oberfläche, es meint in seiner primären und emphatischen Bedeutung die Gestaltung von Lebensumständen. Es ist materialistisch im eigentlichen und ursprünglichen Sinne.