Diedrich Diederichsen im Gespräch über politische Korrektheit in öffentlichen Debatten

»Heute sind viel mehr Leute als ›Rechte‹ out«

Vor 20 Jahren erschien Diedrich Diederichsens Buch »Politische Korrekturen«. Damals ging es ihm um eine Analyse des Begriffs »political correctness«, der in Deutschland in die Debatten über Politik, Kultur und Wissenschaft Einzug hielt. Besonders im konservativen Feuilleton wurde Diederichsens Buch stark kritisiert. Zwei Jahrzehnte später wird die Absicht hinter der konservativen Kritik noch offensichtlicher, als sie damals schon war: Do not disturb! Ein Gespräch mit Diedrich Diederichsen.

Der Vordenker der Rechten, Carl Schmitt, schreibt, der Kampf um die Repräsentation sei immer auch »ein Kampf um die politische Macht«. Dazu gehört auch kulturelle Hegemonie. Ohne die Neue Rechte jetzt wichtiger zu nehmen, als sie wirklich ist – in den etablierten Medien von »Zeit« bis »Welt«, in den Talkshows im wissenschaftlichen Diskurs, in den Parlamenten und auf den Straßen kommt man nicht mehr an ihr vorbei. Was hat sich seit Erscheinen Ihres Buchs »Politische Korrekturen« vor zwei Jahrzehnten verändert?

Das Phänomen ist heute wesentlich weiter verbreitet als damals, aber man adelt es auch, wenn man ihm das Kompliment macht, dass es in einem ähnlichen Sinne Geistesgeschichte generiert wie zuvor die Neue Linke. Schon der Begriff des »Vordenkers« ist zu viel der Ehre. Carl Schmitt ist ja trotz seiner Hitler-Unterstützung als politischer Philosoph nur deswegen zu Ehren gekommen, weil ihn die Linke so interessiert gelesen hat: von den 68er-Maoisten über Laclau und Mouffe bis zu Figuren wie Agamben, deswegen hat dann auch eine zahlenmäßig kleine intellektuelle Rechte seine Texte zu ihrem Gral erklärt, weil die andere Seite sie so schätzt. Aber gut: Die Anzahl der Akteure ist sehr viel größer geworden, gleichzeitig sind aber auch mehr Leute als »Rechte« out, die früher eher implizit rechts waren. In der ideologiekritischen Szene wurden sie zwar als Rechte wahrgenommen, aber sie haben es gut verborgen. Heute tun sie das nicht mehr. Generell arrangieren sich die Leute überall mit dem Erstarken der Rechten und denken, wahrscheinlich am unteren Rand der Bewusstseinsschwelle, dass man da irgendeine pragmatische Position finden muss. Typen wie Thomas Glavinic geben dann dem Spiegel am Vorabend der Beinahemachtergreifung der FPÖ Interviews, in denen sie allen Ernstes die Platte mit den moralfixierten Linken abspielen. Aber auch in solchen Intellektuellenkreisen, wo man früher oft schon rechts empfand, aber auf keinem Fall als rechts gelten wollte, fühlen sich manche durch die AfD-Erfolge gestärkt. Ulrich Greiner von der Zeit hat Anfang des Jahres das Manifest »Vom Recht, rechts zu sein« geschrieben. Einerseits haben solche Leute immer noch Bedenken, andererseits überwindet Greiner sich und gibt sich einen Ruck: Jetzt ist es nicht mehr so schlimm, man kann es sagen. Peter Sloterdijk, Rüdiger Safranski, Botho Strauß und Martin Mosebach seien ehrenwerte Menschen, zu denen er jetzt auch gehören möchte. Offen rechts wollte außer Botho Strauß in den Neunzigern niemand sein, außer eben den echten Fringe-Typen wie Günther Maschke, die aber damals überraschend als Nachwortverfasser in poststrukturalistischen Büchern bei Matthes & Seitz auftauchten. Aber diese Fraktion ist heute bedeutungslos beziehungsweise gibt es größere Probleme.

Das mit dem Out-Sein bezieht sich dann aber doch auch auf eine Aufspaltung der Gesellschaft – auch bei den Intellektuellen. Damals spielte sich die Auseinandersetzung in Deutschland weitgehend im bürgerlichen Feuilleton ab: Leute wie Konrad Adam, der ja mittlerweile bei der AfD gelandet ist, Matthias Matussek, Johann Georg Reißmüller, Cora Stephan, oder Dieter E. Zimmer konnten sich dort austoben, sich über den »Tugendterror der Gutmenschen« echauffieren, ohne dass die Positionen mehrheitsfähig wurden.

Der Fehler der Alarmiertheit von damals, meiner eigenen und meiner Freunde in Gruppen wie dem Wohlfahrtsausschuss, war sicher die Fixierung auf die Ideologiekritik. Zum einen dachten wir an Gramsci, denn es hätte ja sein können, dass der Kampf um kulturelle Hegemonie der entscheidende Schauplatz ist. Und da wären wir doch als Kulturarbeiterinnen und -arbeiter zuständig? Die FAZ der frühen Neunziger, Matussek beim Spiegel, da schien sich im Mainstream ein rechter Konsens anzubahnen; zum anderen gefiel es einem aber auch, dass es plötzlich sehr effektive Mittel zu geben schien, bestimmte unmarkierte Machtposition wie »weiß«, »männlich« etc. anzugreifen – hier gab es politisch wirksame Mittel, nachdem andere um 1989 verlorengegangen sind: Man entdeckte die Diskurspolitik. Denn wer in einer nicht markierten Machtposition lebt, möchte, dass sie unmarkiert, »natürlich« bleibt, sonst beginnt ja ein irrsinniger Ärger, nämlich die Verpflichtung, sich zu rechtfertigen, zu legitimieren, zur Diskussion zu stellen: Deswegen war Anti-PC immer zunächst mal eine Kritik am »Unnatürlichen«, »Verkrampften« der PC-Position; deswegen vermischte sich das mit so Dingen wie der Kritik an der Rechtschreibreform, die auch meistens damit begründet wurde, dass die Leute so reden beziehungsweise ­schreiben wollen, »wie ihnen der Schnabel gewachsen ist«. In unserem Popkritik-Milieu war die Kritik an Authentizitäts- und Natürlichkeitsideen das tägliche Brot in den neunziger Jahren, entsprechend gefiel uns, dass PC Sprache regeln und aus der Natürlichkeitszone herausmanövrieren wollte. Leute, die sich in einer Machtposition befinden, sehen aber ihre Position unterwandert, wenn die Normalität der Sprache, die ihre Machtposition stützt, überhaupt nur Thema wird. Die Macht ist dabei noch nicht einmal angegriffen worden, sie wird lediglich Thema. Das gilt für Politiker und Vorstandsvorsitzende genauso wie für Wissenschaftler und Intellektuelle. Dass sie sich dann als Opfer empfinden oder inszenieren, ist das Neue, das sich in den neunziger Jahren entwickelt hat. Man konstruiert einen hegemonialen Feminismus, Gutmenschentum, PC etc. und erklärt sich für verfolgt. Das Interessante dabei ist, dass PC eigentlich das Ernstnehmen der parlamentarischen Demokratie und ihrer Idee von Öffentlichkeit durch die Linke darstellte, einer feministisch, antirassistisch, sexualpolitisch, bürgerrechtlich geöffneten Linken. Vorher hatte man seine eigenen Blöcke organisiert, mehr oder weniger radikal, aber in Abstimmung mit den eigenen Leuten als Vertretung oder Kampforganisation – nun wollte man, wollte auch ich das sagenhafte Angebot der Meinungsfreiheit einmal annehmen. Und das fand die andere Seite dann komplett irre, dass da welche das allgemeine Alltagsleben politisch diskutieren wollten.

Diese »autoritäre Rebellion« (Erich Fromm) wird seit einigen Jahren von Menschen übernommen, die sich ausdrücklich nicht in diesen Machtpositionen befinden. Teile der Durchschnittsbevölkerung haben sich die Thesen zu eigen gemacht. Reicht es aus, dass mit einer manifesten Untertanen-Mentalität zu erklären?

Was bei den intellektuellen Neuen Rechten seit den Neunzigern läuft, funktioniert anders als beim neueren rechten Mainstream. Wir diskutieren hier zwei oder mehrere Stränge. Da gibt es die Anti-PC-Opfer-von-Gutmenschen-Positionen, männlich-rebellisch, gerne auch als anarchoid und alter Jeans-Boy daherkommend, dann die verschiedenen Versuche, rechte intellektuelle Positionen zu rekonstruieren, meist durch Anschluss an »vergessene« und »unterdrückte« Positionen, die aber dadurch noch satisfaktionsfähig sind, dass auch Linke sie interessant finden. Vor 20 Jahren waren das Schmitt und Jünger, dann sind andere Vorfahren wie Klages, Donoso Cortés und viele mehr dazugekommen, heute wimmelt das querfrontige intellektuelle Milieu in Blättern wie Tumult vor Wiederentdeckungen. Schließlich gibt es den neuen rechten AfD/Pegida-Mainstream, dessen psychologische Infrastruktur sich über Internetkommentare langsam konstituiert hat und mittlerweile dynamisch einer fast schon nationalsozialistischen Situation zuarbeitet; insofern als in Österreich oder Frankreich das komplette klassische Arbeiterspektrum rechtsradikal wählt – das ist dann erkennbar mehr als ein Ergebnis von Diskurspolitik, das ist auch immer noch eine Folge des Endes des Industriezeitalters und des Fordismus: Den fordistischen Kompromiss gibt es nicht mehr. Darauf reagieren die Leute weltweit mit Neotraditionalismen, also Berufung auf vermeintliche, gern vormoderne Traditionen, von der ethnisch homogenen milchproduzierenden Alpenrepublik bis zum gottgefälligen Kalifat. Islamisten und ihre Gegner sind sich da ganz nahe. Aber Punkt eins und zwei gab es schon vor 20 Jahren, Punkt drei und vier haben natürlich mit dem Genre des Internetkommentars und seinen Infrastruktureffekten viel zu tun. Dass sich der Untertan mit seinem Chef oder anderen Autoritäten identifiziert, ist nicht neu und hat schon früher zu den großen Katastrophen geführt. Dass der Anti-PC-Diskurs große Mengen von Leuten, um nicht zu sagen Massen erreicht hat, ist ein Phänomen, das sich erst durch die Internetkultur entwickelt hat. Das Empfinden, man sei Opfer, wird von Nichtmächtigen in der autoritären Identifikation mit der Macht im Internet wiederholt – von kleinen, einst isolierten Trotteln, die nun zur kritischen rechtsradikalen Masse geworden sind. Nur interessanterweise sind ihre Chefs oft gar nicht mehr die Autoritäten alten Schlags, mit denen sie sich identifizieren wollen; diese heimatlosen autoritären Charaktere haben niemanden mehr, dem sie folgen können, deswegen müssen sie sich ihren abendländischen Neotraditionalismus zu Hause mit der Laubsäge basteln und unkontrolliert im Internet ausprobieren. Die hören nicht auf Vordenker, die sind auf ganz grauenhafte Weise emanzipiert in ihren selbsterfundenen autoritären, rassistischen Identiäten.

An Stammtischen haben die Leute früher auch die Sau rausgelassen. Und bei AfD und Pegida gibt es auch viele im Alter von 60 Jahren aufwärts. Sind die auch online unterwegs oder haben die sich die Wut, von der oft die Rede ist, über andere Kanäle geholt?

Empirisch kann ich dazu wenig sagen. Aber ich denke, dass die Textform des Ausbruchs, wie der Netzkommentar ihn bietet, für die Rechtsradikalisierung sehr hilfreich ist. Man ist zu Hause, allein, ganz bei sich und seinem Computer, der auch die Spiel- und Freizeitmaschine ist, man ist in einer scheinbar geschützten und emotional sicheren Zone und nun ballert man von dort aus – und wird auch noch gehört und bestätigt, und zwar je mehr, desto mehr man die Sau rauslässt. Am Stammtisch gibt es zwar auch Radikalisierung, dort entstehen Mobs, aber es gibt auch eine soziale Kontrolle und einen Wirt, der keinen Ärger will – das gibt es im Netz alles nicht.

In »Politische Korrekturen« haben Sie geschrieben, dass das Denken von ’68 für ungültig erklärt werden solle. Eine angeblich hegemoniale Linke wurde und wird für alles verantwortlich gemacht, was in der Gesellschaft schiefläuft. Der Historikerstreit, die Goldhagen-Debatte, der Streit um die Wehrmachtsausstellung oder die Sarrazin-Debatte waren Versuche von rechts, die deutsche Geschichte zu enttabuisieren und zu entsorgen. Was ist jetzt, 20 Jahre später, von dem kulturellen Aufbruch nach ’68 überhaupt noch übrig?

Ich denke schon, dass nach wie vor viele Ansätze von ’68 in der Gesellschaft verankert sind: sagen wir, der liberale und liberalisierende Teil von ’68, den man auch nicht verachten sollte, auch wenn dabei der antikapitalistische Teil weggekürzt wurde. Diese Themen tauchen nur nicht mehr als Gegenstand von linken Forderungen auf wie in den Neunzigern. Eher als Mindeststandards und als solche sind Frauenrechte, Rechte von sexuellen Minderheiten und Ähnliches längst auch bei der CDU angekommen. Das gibt den Rechten Ansatzpunkte für Kulturkämpfe, über die sich immer besser Aufmerksamkeitspunkte machen lassen – und zwar auf unterschiedliche Art, indem man entweder neo­tradi­tio­nell im Namen von Heimat gegen Moschee antritt, aber eben auch als aufgeklärte gealterte Jeans-Type, die im Namen von Jeans und Miniröcken gegen die Sharia kämpft. Ich finde beide Fronten ermüdend und kann mich des Verdachts nicht erwehren, dass es die emotionalisierte und sexualisierte Lebensform-Debatte ist, mit der man Pegida am Leben erhalten hat. Pegida ist doch erst großgeschrieben worden, weil ihre kulturkämpferische Peinlichkeit so ein dankbar simples Interface abgibt: für entsetzte Gegnerschaft oder vertrottelte Identifikation. Denn ob die Junge Freiheit 30 000 Hefte verkauft oder die Online-Portale wie Sezession zigtausend Klicks haben, das war eigentlich immer ein Randphänomen. Erst als die Kulturkämpfe qua Internetskandalisierungen popularisiert wurden, änderte sich das. Und nun rücken alle anderen lange schlafenden oder schlummernden Rechten nach. In den neunziger Jahren haben wir entdeckt, dass es so etwas wie rechte Debatten gibt und das auch ein bisschen exotistisch interessant gefunden: Die blasen jetzt zum Kampf um die kulturelle Hegemonie. Aber einen Erfolg der intellektuellen Rechten würde ich nicht daran festmachen, dass die ihre eigenen intellektuellen Debatten haben, sondern daran, dass etwa Sloterdijk seine Manifeste wie »Primitive Reflexe« in der Zeit veröffentlichen darf.

Aber die Tatsache, dass es dort ankommt, hat doch auch mit einer diskursiven Verschiebung in Kultur und Politik zu tun.

Ja, aber es gibt noch eine weitere Front: der durch den Tod Helmut Schmidts verwaiste Typ des praktisch-kulturlosen Durchgreifers, aber mit sozialdemokratischem Augenmaß und protestantischem Klartext. Das mag so eine alte No-Bullshit-Fraktion der Mittelklasse, die mit Kulturkämpfen eigentlich nichts am Hut hat, sondern eher mal über Verschwendung von Steuergeldern lamentiert. Diese technische Intelligenz ist auch Teil des Bürgertums. Das sind gutausgebildete Leute, die sich aber nicht über eine bestimmte Kultur definieren und nicht mit linken oder liberalen Werten in Verbindung stehen, sondern die sich eher für pragmatisch halten. Das sind auch keine eifernden Rechten, aber da werden über die Statistik/Pragmatismus-Pose à la Sarrazin bestimmte rechte Positionen entwickelt. Obwohl Sarrazin auch den Kulturkämpfern Argumente liefert, geriert er sich und seine Argumente auch als eher pragmatisch und sachlich, ganz anders als Pirinçci und die Millionen Hater in den Foren. Bei dem Einfluss dieser Leute geht es gar nicht in erster Linie um inhaltliche Auseinandersetzungen über Gender-Politik oder Migration, sondern um die schlichte Entscheidung: AfD statt SPD oder CDU wählen oder nicht. Das sind Leute, die auch genauso schnell wieder abspringen können, da sie eben nicht kulturkämpferisch denken, aber im Moment werden die gewonnen.

Wie wichtig ist dabei die Auseinandersetzung um Begriffe?

Begriffe im philosophischen Sinne spielen sicher eine geringere Rolle, als wir in den Neunzigern dachten. Aber um bestimmte Keywords und deren Funktion und Semantik geht es schon. Das Phänomen, dass sich Leute verbitten, in Diskussionen über Sprachregelungen oder überhaupt über Sprache hineinziehen zu lassen, ist in Europa und vor allem im deutschsprachigen Raum ein Phänomen der frühen neunziger Jahre. Damals ist es zum ersten Mal aufgetaucht, und zwar immer in Bezug zu den USA. Es wurde zunächst als Kuriosum auf dem amerikanischen Campus beschrieben.

Dieses Unbehagen in konservativen Kreisen, sich gegen Neuerungen, nicht nur in der Sprache, zu wehren, war auch damals nicht neu. Dass es aber ins Aggressiv-Politische umschlug, schon. Welche Ängste standen dahinter?

Es war neu, dass emanzipative Bewegungen auf bestimmte Sprachregelungen insistierten. Daran hatte niemand gedacht, man wollte eine Generation vorher viel grundsätzlicher die Welt ändern. Es gab im deutschsprachigen Raum keinen Diskurs darüber, dass Sprachregelungen auch machtpolitisch bedeutsam sind. Mit dem Sieg über die Linke und dem Ende des Realsozialismus glaubte der deutsche Mainstream aber auch, in einem postpolitischen Paradies angekommen zu sein, in dem der politische Status quo nicht mehr angezweifelt werden würde. Mit der sogenannten PC kam der Ärger auf einer ungewohnten Ebene zurück, als Debatte um Sprache. Letztlich war der dann folgende Aufschrei in der konservativen bis reaktionären Mitte vor allem ein Symptom der Enttäuschung. Man hatte gehofft, ganz demarkiert Politik und Geschäfte machen zu können, und wollte mit inhaltlichen Auseinandersetzungen, die dann auch noch auf politischen oder ethischen Grundüberzeugungen – Bezeichnungen wie Rassismus waren ja wichtig, wir wollten Rassismus Rassismus nennen, die anderen Fremdenfeindlichkeit – nichts mehr zu tun haben.

Der Begriff »Gutmensch«, der als Synonym für eine vermeintlich »politisch korrekte« Linke benutzt wurde, taucht aber erst später auf. Er diente damals auch dazu, eine angeblich kulturelle Hegemonie von links zu entlarven und zu bekämpfen. Wie konnte es geschehen, dass die Begriffe sich so schnell im Mainstream etablierten und sich bis heute halten, ja eher noch verstärkt gebraucht werden.

Wenn jemand ständig herausstreicht, dass er ein guter Mensch ist und politisch frömmelt, ist das ja in der Tat unerträglich. Schlimmer sind allerdings Leute, die diesem leider verbreiteten Phänomen so eine retardierte männliche Renitenz entgegensetzen, Anti-Gutmenschen-Trotzköpfchen, oft mit linker Vergangenheit. Mitte der Neunziger wurde »Gutmensch« zum Kampfbegriff. Ursprünglich wurde er ja von Linken wie Wiglaf Droste und Gerhard Henschel oder damals noch als links geltenden Leuten wie Eckhard Henscheid eingeführt und richtete sich mit einem guten Jahrzehnt Verspätung gegen die Betroffenheitskultur einer linksalternativen, friedensbewegten Szene um 1980, die sich von der politischen Analyse und der Gesellschaftskritik verabschiedet hatte und nur noch mit Gefühlen argumentierte. Das Gutmenschen-Bashing wurde dann richtig groß in der Österreich-Wahl 1999. Als ÖVP und FPÖ 1999 die Regierung stellten, wurde es quasi zur Staatsprosa. FPÖ-Chef Haider sprach damals von »feindlichen Gedankenpolizisten«, »Glaubenskriegern«, »Kreuzrittern« oder »fanatischen Gutmenschen«. Das waren die Leute, die damals auf den sogenannten Donnerstagsdemos gegen den Rechtsruck in der Republik demonstrierten. Bei dem ähnlich gelagerten Thema »political correctness« wurde im Übrigen auch ein Übersetzungsfehler instrumentalisiert. »Correct« heißt übersetzt schließlich nicht »korrekt« sondern »richtig«, also meint ganz basales Im-Recht-sein, nicht bürokratische Regelkonformität. Insofern habe ich das Buch damals auch ›Politische Korrekturen‹ genannt, um auch dieses Wort ein wenig zu öffnen. Es gehörte zur Selbstinszenierung der PC-Gegner als verfolgte Rebellen, dass sie dem Gegenüber so ein Pedanten- und Oberlehrer-Image zuschusterten.

In den USA war der Begriff aber wesentlich älter und hatte ursprünglich eine andere Bedeutung.

Ja, so anders auch nicht. Früher hätte man ihn am besten mit »linientreu« übersetzt. Er unterschied die alten von den neuen Linken. Als in den achtziger und neunziger Jahren feministische und antirassistische Gruppen grundsätzliche Sprachregelungen und Zugangsberechtigungen an Hochschulen auch auf der Ebene der Sitten und Gebräuche in Frage zu stellen begannen, warf man ihnen gewissermaßen vor, eine neue Partei installieren zu wollen, deren Linie man treu sein könnte oder nicht. Das verselbständigte sich dann, kam vor allem in Deutschland ungefähr zeitgleich mit dem Feminismus der Butler’schen Prägung an und wurde von einer damals noch sehr viel homogeneren FAZ zum Beispiel skandalisiert. Für den rechten Rand der FAZ war Judith Butler das röteste Tuch. Aber in beiden Fällen lief das parallel mit anderen Uni-Kämpfen, den Debatten um den Kanon der Geisteswissenschaften, der Förderung von Minderheiten durch affirmative action und so weiter.

Die »Trigger Warning« ist auch eine Folge dieser Auseinandersetzungen. Dabei geht es um Begriffe, die noch nicht einmal genannt werden dürfen, das Böse soll nicht mehr ausgesprochen werden. Ist die Rezeption von Kunst, Musik, Film noch möglich, abgesehen davon, dass politische Debatten fast nicht mehr stattfinden? Christliche Fundamentalisten mögen das unterstützen, aber ist das nicht eher Wasser auf die Mühlen einer Rechten, die überall Denkverbote wittert?

Das ist eine schlimme Entwicklung, die die strategisch berechtigte Idee, Orte zu schaffen, in denen man zum Beispiel vor trans- und homophober Verfolgung sicher ist, in eine völlig bescheuerte Richtung verschoben haben. Safe Spaces sind jetzt Seminare, die als so eine Art erweitertes Kinderzimmer mit Kuschelkultur nur über Dinge sprechen, die die behüteten Mittelschichtskinder nicht erschrecken. »Trigger Warnings« sollen helfen, dass man das Böse gar nicht erst zur Kenntnis nimmt. Von Vergewaltigung und Rassismus darf man dann gar nicht mehr sprechen.

Vor 20 Jahren gab es auf dem Campus bereits den Trend zur Selbstethnisierung schwarzer Studentengruppen, ähnlich wie in den Vorstädten oder Ghettos der Großstädte, was von konservativer Seite häufig mit dem Vorwurf der Separation und Segregation gekontert wurde.

Identitätspolitik ist nur ein sehr begrenzt empfehlenswertes Elixier, Position ist wichtiger als Identität. Aber gerade in der afroamerikanischen Geschichte hat man auch sehr gute Erfahrungen damit gemacht, zu sagen man sei stolz und schwarz – es war dann etwas anderes, wenn man die politische Konfrontation auf Sitte und Brauchtumspflege umlenkt. Auf lange Sicht ist Identitätspolitik perspektivlos, das hatten die Black Panther auch schon längst verstanden, als sie sich auf größere antikoloniale Programme besannen. Pervers ist nur, wenn der Segregationsvorwurf von den großen Segregationisten kommt, als Vorwand, dann weiter eine andere Form von Segregationismus zu betreiben – dann doch lieber von unten als von oben. Das ist natürlich strukturanalog mit den Antifeministen, die dem Islam Antifeminismus vorwerfen.

Man kann den Bogen weiterspannen und kommt auf irre Konstellationen und Bezüge, wie etwa bei jihadistischen Rappern wie Deso Dogg, der sich auf Malcom X bezog, später den »IS« unterstützte und in dessen Texten es von antisemitischen und sexistischen Aussagen nur so wimmelt. Auch er hatte die Pose des Rebellen verinnerlicht, sah sich als Teil einer Jugend, die gegen das Establishment kämpfte – mit einer autoritären und antiemanzipatorischen Haltung.

Es gibt eine lange Geschichte der beleidgten Rekonstruktion traditioneller Männlichkeit in HipHop und auch schon im Rock, die politisch nach allem greift, was die Demütigung lindert. Diese Demütigung hat auch mit realen Dingen zu tun, der Abwertung körperlicher Arbeit und damit verbundener Skills zum Beispiel. Doch, wenn man sich die Opposition AfD versus Islamismus ansieht, dann hat man es mit zwei rechten Bewegungen zu tun. Und der Begriff autoritär ist mir da zu wenig. Islamismus ist rechtsradikal, genauso wie die AfD. Religiös geführte wie auch territoriale Auseinandersetzungen bringen immer zwei rechtsradikale Gruppierungen hervor, weil beide sich über patriarchale und neo­traditionelle Inhalte definieren. Beide haben einen ähnlichen Bezug zu ihren Kampfgründen, auf der Ebene ihrer identitären Begriffe sind sie sich einig. Neotraditionell, weil sie sich auf ältere, zum großen Teil auch erfundene Erzählungen und Überlieferungen berufen, die abgebrochen oder unterbrochen sind.

Ist es in den Kämpfen und Strukturen nicht bereits verankert, dass sie in eine autoritäre oder eben rechte Sache umkippen?

Im Fall der afrikanischen Regimes ist es ja nicht als Bewegung umgeschlagen. Es war en eher realpolitische Entwicklungen des Kalten Krieges. Dass ein patriarchaler Herrscher sich eben nicht mehr mit der Befreiung seiner Bewegung rechtfertigen muss oder damit, dass er jetzt die Freiheit, Demokratie oder den Sozialismus bringen muss, sondern dass er eine patriarchale Legitimierung hat, denn seine Macht garantieren die inhaltlich weitgehend uninteressierten Amerikaner oder Russen. Zwei patriotische, patriarchale, rechte Positionen können ja endlos streiten und sich begrifflich völlig einig sein. Doch besteht ein endloser Konflikt auf der Basis ihrer Konkretheit. Jeder Herrscher kann sich mit dem nächsten anderen Herrscher endlos bekämpfen. Dabei sind beide für dieselbe Sache, sind beide Nationalisten – nur der Vaterlandsverräter irritiert sie. Für das Patriarchat, für die Unterdrückung, gegen Emanzipation, der Streit geht ja nur ums konkrete Territorium, nicht um Werte, da könnten sich Putin, Erdogan, Trump, Hofer und die AfD den ganzen Tag die Hand schütteln. Der Kampf AfD, Pegida, Rechte gegen den Islam ist genauso. Strukturell unterscheiden die sich kaum. Der Streit zwischen links und rechts ist dagegen ein grundsätzlicher. Der linke Kampf gegen Rechte geht nicht um Territorien. Es geht dabei um Inhalte und Ideale. Das versucht die Rechte auszublenden, ihr ewiger Punkt ist, dass auch die Linke und der Vaterlandsverräter in Wirklichkeit irgendein Territorium beanspruchen. Dabei ist der Konflikt asymmetrisch.

Viele Neurechte geben sich als Verteidiger von Frauen- und sogar queeren Rechten.

Eigentlich sind dies völlig konträre Positionen, die von der nationalistischen, chauvinstischen Klammer gehalten werden. Die sexistischen und misogynen Ausschreitungen der Silvesternacht von Köln und die Reaktionen darauf zeigen auch diesen widersprüchlichen Charakter. Wenn sich ein 55jähriger AfD-Politiker plötzlich in Hamburg hinstellt und öffentlich in Rap-Form die Gräueltaten von Muslimen gegenüber Frauen anprangert, gibt er sich als Feminist, dabei ist er Mitglied einer Partei, deren Frauenbild sich neotraditionell an der wilhelminischen Zeit orientiert. Die Klammer ist natürlich: »Die Moslems« tun es »unseren deutschen Frauen« an. Sie gehören erstens uns und sind zweitens deutsch. Die Widersprüche zwischen dem Nationalismus und dem vermeintlichen Antisexismus werden verschleiert. Es gibt aber Grenzen der Querfront. Der »Wutbürger«, wie Sie ihn nennen, ist eben nur bedingt bereit, sich mit Gender- oder Queer-Positionen oder LGBT-Rechten zu identifizieren. Jemand wie Pim Fortuyn in den Niederlanden war dann doch eine Ausnahme. Eine Weile waren Querfronten bekanntlich der Motor der rechten Erfolge, das ist mit dem neuen AfD-Programm vorbei: Das ist nirgendwo mehr querfrontig, sondern in allen Bereichen deutlich und schlicht rechts.

Auf der inhaltlichen Ebene gibt es auch unterschiedliche Entwicklungen. Einerseits Alain de Benoist und die Nouvelle Droite, wo es um »Ethnopluralismus« und »kulturelle Identitäten« geht, andererseits den biologistischen Rassismus von Sarrazin, Pegida und NPD. Was »deutsch« ist, wird von den Vertretern der Volksgemeinschaft wie Höcke, Bachmann und von deren Anhängern vor allem negativ definiert: Es ist der Kampf gegen alles »Undeutsche«, oder, um mit Adorno zu reden, gegen alles »Nicht-Identische«, also gegen Gender, Homosexuelle, Muslime und emanzipierte Frauen. Positive Bezüge wirken meist konstruiert und schräg.

Die rechten Intellektuellen versuchen, diese Lücke zu füllen. Aber sie haben das Problem, dass sie den Kontakt zu ihren Bewegungen verlieren, denn die wollen eigentlich nur Deutschland verteidigen. Eventuell auch das sogenannte Abendland mit Deutschland an der Spitze. Wenn Götz Kubitschek in Dresden vom Ethnopluralismus redet, wissen 80 Prozent der Zuhörer nicht, wovon er spricht. Denen geht es nicht um das gleiche nationalistische Recht für Polen, Ungarn oder Franzosen, die sind nur »stolze Deutsche«. Putin und Erdo­ğan sind ganz ähnlich gstrickte Autokraten, die mit Patriotismus, Religion und Mythen ihre Herrschaft festigen, die aber weltpolitisch Feinde sind. Die Frage für rechte Intellektuelle bleibt dann, für wen entscheiden sie sich und wie bringen sie das auf eine theoretische Ebene: Eigentlich müssten sie als Intellektuelle beide gut finden, sie müssen sich dann mit irgendwas identifizieren, um den einen autokratischen Patriarchen zum Feind des Abendlandes zu stilisieren, den anderen zu einem klugen Bekämpfer homosexueller Dekadenz. Im Prinzip ist das aber austauschbar.

Die rechten Intellektuellen mischen sich aber immer häufiger in die Realpolitik ein: Der ehemalige Mitarbeiter des Focus und Aphorismenschreiber Michael Klonovsky arbeitet neuerdings als Berater von Frauke Petry, der Sloterdijk-Schüler Marc Jongen hat am Parteiprogramm der AfD mitgeschrieben und der Islamwissenschaftler Hans-Joachim Tillschneider ist Mitglied im Landesvorstand der AfD-Sachsen.

Ja, die wittern Morgenluft. Die hoffen, nicht zum ersten Mal, auf ihr rechtes ’68. Dabei vergessen sie, dass es ein ’68, also einen dynamischen Aufbruch, immer nur geben kann, wenn es sich auch inhaltlich verteidigen kann, auf der Ebene der Argumente: Wenn die Idee aber das eigene Volk, die eigene Rasse oder Nation ist, verharrt man immer in der elenden Konkretion dieser Idee durch das vermeintlich Vorhandene. Würde man das Prinzip des Nationalismus und des Völkischen auf einen Begriff bringen, der andere Völker zulässt, wie der Begriff des Ethnopluralismus das natürlich via Segregation und Deportation erreichen will, neuerdings unter großmütigen Verzicht auf Genozide, dann verliert man, strenggenommen, die so wichtige Grundlage im Konkreten des Wir; denn der Rassist will bekanntlich eigentlich nicht einem Volk unter vielen angehören. Aber genau dieses Konkrete will die antiintellektuelle Klientel, die die eigene Begrenztheit anbetet.

Leute wie Gauland stammen vom rechten Rand der CDU; er war damals Teil der sogenannten Stahlhelm-Fraktion der Hessen-CDU, zu der auch Dregger, Kanther oder Koch gehörten. Allerdings gibt es derzeit den »Berliner Kreis« in der Union um Steinbach und Bosbach, Leute, die die Union wieder auf konservative Werte verpflichten wollen, Seehofer macht in Bayern nichts anderes und der CDU in Sachsen-Anhalt kann man eine gewisse Nähe zur AfD nicht absprechen.

Vor 20 Jahren waren diejenigen, die ähnliche Ziele verfolgten, noch viel stärker in den etablierten Parteien, vor allem in CDU, FDP und zum Teil auch in der SPD. Der damalige Präsidentschaftskandidat der Union, Steffen Heitmann, wäre heute eine klassische AfD-Figur. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung hat er damals »dringend mehr nationale Identität« gefordert; die Nazizeit dürfe keine »Dauerhypothek« sein. Er sprach von einer »unkontrollierten Asylantenschwemme« und »Überfremdung« und meinte, Feminismus verderbe die Frauen. Erst auf öffentlichen Druck, auch aus Teilen der Union, hat er seine Kandidatur zurückgezogen. Seine Verteidiger meinten damals, dass man einem Menschen, der geradeheraus das sagt, was er denkt, nicht »politisch korrekt lesen« dürfe. Was damals so viel bedeutete, wie: man dürfe ihn politisch nicht ernst nehmen. Sie taten so, als sei es keine politische Agenda gewesen. Aber genau das war es. Es war auch ein Test auf Seiten der Konservativen, zu erkunden, wie weit man bereits gehen könne. Wenn man sich das AfD-Programm ansieht, knüpft es genau da an. Es richtet sich gegen einen vermeintlichen Linksruck der CDU. Es gibt lange Passagen zum Thema Kindererziehung. Der antiautoritäre Impuls, der sich zum Beispiel gegen die Prügelstrafe richtete, soll rückgängig gemacht werden. Auch andere kulturelle Errungenschaften von ’68 werden frontal angegriffen. Interessant auch, dass Heitmann im vergangenen Jahr wegen der Flüchtlingspolitik Angela Merkels aus der CDU ausgetreten ist.

»Die Welt« hat die AfD mit der amerikanischen Tea-Party verglichen.

Es gibt da grundsätzliche Unterschiede, was den kulturellen und gesellschaftlichen Background angeht. Die Tea-Party hat sich innerhalb der Republikaner gebildet. Und anders als etwa bei der modernisierten CDU hat dort keine Anpassung an gesellschaftliche Entwicklungen stattgefunden, die Republikaner sind immer rechte Full-Service-Politiker geblieben: antiliberal bei den Bürgerrechten und wirtschaftsfreundlich ohne Ende. Feminismus hat da zum Beispiel nie stattgefunden und religiöse Fundamentalisten gaben den Ton an. Dass die Tea-Party dann noch weiter nach rechts abweicht, findet also vor einem anderen Hintergrund statt, als wir es in Europa kennen. Die Symbole der Tea-Party entsprechen eher einer Haltung, die sich vor allem gegen das Establishment wendet. Das erinnert an Dinge wie Biker-Kultur, Survivalisten, irre Individualspinner auf entlegenen Farmen, in Milizen organisiert. Es ist eine formal radikale, beinahe anarchistische Szene – inhaltlich ist es natürlich das Gegenteil davon. Die ursprüngliche, namensgebende Tea-Party war ja auch eine Revolte gegen die britische Kolonialmacht. Der Ton ist ein anderer als bei der AfD, die sich eher der Zucht und Ordnung verschrieben hat und eine Welt möchte, in der man brav sein muss. Die wollen eher für Gott und Vaterland irgendwas anzünden, am Rande der AfD und bei den ganzen Kameradschaften gibt es das natürlich auch. Rechts gibt es natürlich auch Vielfalt und Widersprüche: Vielleicht kann man es gut am Beispiel Österreich festmachen. Dort gibt es zwei rechte Diskurse, die sich an einem wesentlichen Punkt widersprechen. Der austrofaschistische Strang hat eher eine klerikalfaschistische Orientierung, während der deutschnationale sich auf die NSDAP beruft. Die deutschnationale Position ist nahe an einer, die in Österreich per Gesetz verboten ist: die sogenannte Wiederbetätigung. In der FPÖ oder bei den Burschenschaften gibt es beides und steht durchaus in Konkurrenz zueinander. Gegenwärtig gibt es aber eine Art Stillhalteabkommen, da die Machtfrage im Land oberste Priorität hat. Trotzdem finde ich es gut, rechts zu verallgemeinern und nicht zu interessiert und verständnisvoll zu differenzieren: Das eine ist so schlimm wie das andere. Die rechte Vielfalt ist nicht der Spiegel der linken Vielfalt und ihrer Selbstzerfleischungsneigung.

Die Hälfte hat bei der Präsidentenwahl mit Norbert Hofer einen deutschnationalen Burschenschaftler vom rechten Rand der FPÖ gewählt, der auch schon mal das NS-Verbotsgesetz abschaffen wollte und an seinem Anzug gerne mal die Kornblume trägt, das Erkennungszeichen der Mitglieder der in Österreich zwischen 1933 bis 1938 illegalen NSDAP. Welches politische und kulturelle Klima hat den Erfolg der »Freiheitlichen« ermöglicht?

Kein Klima, sondern tatsächlich eine nationalsozialistische Situation. Im Laufe der Zeit haben die österreichischen Arbeiter und Bauern und was von ihnen übrig geblieben ist zu lernen geglaubt, dass es eigentlich egal ist, ob Sozialisten oder Nationalisten sie vertreten, bürgerliche Katholiken oder Klerikalfaschisten. Und zwar vor allem dann, wenn sie jung, männlich, provinziell sind und glauben, ohne Zukunft zu sein: genau die Leute, auf die das urbane Milieu so herabblickt.

Die »Identitären« in Österreich bezeichnen sich als eine Art Gegenkultur im Kampf gegen den Mainstream. Oder zumindest wollen sie so gesehen werden. Kann man tatsächlich von einer Jugendkultur oder Protestbewegung sprechen?

Die »Identitären« sind zahlenmäßig eher marginal – gerade in Deutschland –, trotzdem sind sie Thema. Das liegt vor allem an der für viele Medien reizvollen Legende, sie verkörperten eine Art Gegenkultur. Wieder dieses alte, fatale Motiv: die Rechten als facettenreiche interessante Kultur, die irgendwie News-Value hat. Ihre Aktionen sind allerdings eher weniger originell. Der Überfall auf die Aufführung des Jelinek-Stücks »Die Schutzbefohlenen«, Mitte April im Audimax der Universität Wien, erinnert eher an die Schlägertruppen der SA. Anschließend behaupten sie dann, es sei eine künstlerische Aktion gewesen und sichern sich dadurch tatsächlich Aufmerksamkeit. Ich halte daher auch wenig davon, diese Gruppierungen im Detail zu betrachten, weil das weder ihrer Bedeutung noch ihrem Auftreten angemessen ist und ihnen vor allem nutzt. Das Interessanteste wäre noch der Name: Da haben sie sich ja einen Begriff ausgesucht, der in der urbanen, queerfeministischen Linken entstanden ist, als negative Abgrenzung. Und haben dann gedacht, den Schuh ziehen wir uns an, um das notorische Problem zu beheben, dass es eben rechts keine Begriffe geben kann – aus den erwähnten Gründen.

Wo kann eine emanzipatorische Linke Antworten geben oder sich konstruktiv in die Debatten einschalten? Derzeit scheint es doch eher darum zu gehen, den größtmöglichen Schaden abzuwehren.

Es ist seit Jahrzehnten halt immer dasselbe. Die Antworten und Analysen sind über die Jahre nicht falsch geworden, aber es ist ermüdend, sie immer wieder aufs Neue zu wiederholen. Als ich das Buch geschrieben habe, gab es noch sehr viele Leute, die sich in die Debatten eingemischt haben, jetzt, wo die Situation deutlich bedrohlicher ist, sind es weniger geworden, auch weil man bereits alles gesagt hat, ohne dass sich grundlegend etwas geändert hat. Die groben Diskursmuster sind so bekannt, dass man nicht mehr darauf hinweisen muss. Es ist der Stumpfsinn der Debattenmechanik, der einen verzweifeln lässt. Das Einzige, was man machen kann, ist, sich nicht zu sehr von den einzelnen Erscheinungen faszinieren zu lassen, nach dem Motto: Die Rechten haben auch Theoretiker und geben sich den Anstrich einer Jugendkultur. Das führt nur zur Aufwertung. Man sollte eher selbst pragmatisch werden, nach dem Motto: Was tut ihnen weh, was schadet ihnen, was verhindert, dass sie sich weiter ausbreiten.