In der Slowakei äußert sich Antisemitismus immer offensiver

Die Kotlebovci sind nicht koscher

In den vergangenen Monaten ging ein Rechtsruck durch die Slowakei. Auch der tiefverwurzelte Antisemitismus macht sich wieder öffentlich bemerkbar. Eine Initiative im Nationalrat und die jüdische Gemeinde kämpfen dagegen an.

Im Jahr 863 zogen die beiden Priester Kyrill und Method durch die Hügel des Mährerreichs. Im Auftrag des byzantinischen Kaisers bekehrten die beiden Missionare die heidnischen Slawen zwischen der Donau und den polnischen Grenzgebirgen zum Christentum und übersetzten die »Heilige Schrift« in slawische Sprachen.
Über ein Jahrtausend später mussten die beiden Glaubensbrüder aus Thessaloniki als Kronzeugen für die derzeitige Politik der Flüchtlingsabwehr des slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico herhalten. In einem Interview kurz nach Beginn seiner dritten Amtszeit am 23. März begründete der Sozialdemokrat die vielzitierte Aussage, dass der Islam keinen Platz in seinem Land habe, mit den Traditionen der Slowakei. Diese dürften nicht verändern werden. »Die Slowakei ist auf kyrillo-methodischen Traditionen aufgebaut. Auf etwas, was hier ganze Jahrhunderte besteht«, sagte er. Die Aussage ist deutlich: Nation und Tradition fußen auf dem Christentum. Äußere Einflüsse sind nicht willkommen.
Auch wenn die Äußerungen im Zusammenhang mit den Flüchtlingsbewegungen auf der sogenannten Balkan-Route im vergangenen Jahr und dem EU-Schlüssel zur Verteilung von Migranten verstanden werden müssen, haben sie einen weiteren Empfänger: die slowakischen Juden. Seit Mitte des 13. Jahrhunderts siedeln Juden an der Donau. Vor der Besetzung durch Nazideutschland lebten fast 90 000 Juden in der Slowakei. Über 70 000 von ihnen wurden in die deutschen Vernichtungslager deportiert, Tausende in der Slowakei ermordet.
Heutzutage hat die jüdische Gemeinde ungefähr 2 300 Mitglieder. Ficos Bekenntnis zum Christentum schließt nicht nur die Juden aus der slowakischen Nation aus. Es zeugt auch von einer gesellschaftlichen Entwicklung, die sich gegenwärtig in vielen postkommunistischen Staaten Osteuropas vollzieht. Der Antisemitismus ist wieder salonfähig und äußert sich offensiv.
Diesen Antisemitismus bekam Marek Krajči zu spüren, ein neugewählter Abgeordneter der konservativen Partei Olano. Kurz nachdem er Ende Mai die Gründung eines Israel-Ausschusses im slowakischen Nationalrat angeregt hatte, entlud sich ein veritabler shitstorm gegen ihn. Nun scrollt Krajči durch seine timeline auf Facebook und liest nur die harmloseren Kommen­tare vor: Er solle sich »beschneiden lassen und nach Israel auswandern«. Die Juden seien »eine Schande und schon seit 2 000 Jahren nicht das auserwählte Volk«. Er sitzt in seinem dunklen Abgeordnetenbüro auf der Westseite der Pressburg. Bratislavas namensgebendes Schloss thront auf einem Felsen über der Donau. Österreich ist nah. Am Horizont erahnt man die ungarische Puszta.
Der Mittvierziger lächelt ungläubig, während er die neuesten antisemitischen Ausfälle begutachtet. »Es war höchste Zeit, einen parlamentarischen Ausschuss für die Zusammenarbeit mit Israel zu gründen«, sagt er. »Wir müssen dem wachsenden Antisemi­tismus in der Slowakei entschieden entgegentreten.« Der neue Ausschuss soll helfen, die slowakischen Beziehungen mit der Knesset zu vertiefen. Die Mitglieder aus fast allen Parteien verpflichten sich dazu, in politischen Themen eine proisraelische Haltung einzunehmen. Ziel ist es, Freundschaften zwischen Parlamentariern und ­deren Wahlkreisen aufzubauen, vor allem um Vorurteilen und Israelfeindlichkeit zu begegnen.
Entstanden ist die Idee in Jerusalem. Die »Internationale Christliche Botschaft« Jerusalem trat gemeinsam mit dem Knesset-Ausschuss für christliche Verbündete an osteuropäische Staaten heran. Ziel war es, internationale Unterstützung für Israel zu gewinnen. Glaubensgestützte Diplomatie nennt sich das.
Dass Krajči als ein solcher Verbündeter fungiert, ist kein Zufall. »Ich bin evangelischer Christ. Dass wir uns gut mit der jüdischen Gemeinschaft verstehen, ist selbstverständlich«, sagt er. Für viele seiner mehrheitlich katholischen Landsleute ist es das nicht. Der Staat Israel hat ein schlechtes Image, die Mehrheit hegt Sympathien für die Palästinenser. Doch der Antisemitismus in der Slowakei beschränkt sich nicht auf Fragen der Nahost-Politik. In der bislang letzten landesweiten Um­frage Ende der neunziger Jahre zeigten sich 51 Prozent der Befragten überzeugt davon, dass »Juden die Welt beherrschen«. Immerhin 26 Prozent behaupteten, dass »Juden in der Slowakei zu viel Einfluss« hätten – bei einem jüdischen Bevölkerungsanteil von 0,04 Prozent. 15 Prozent gaben zu Papier, dass »die Deportation der Juden aus dem Land positive Aspekte« gehabt habe. Diese Zahlen sind gerade deshalb eindrucksvoll, weil antisemitische Ressentiments vor 15 Jahren noch weitaus seltener öffentlich geäußert wurden als heute.
Bei der Parlamentswahl im März 2016 erreichte die rechtsextreme »Volkspartei Unsere Slowakei« mit ihrem Vorsitzenden Marian Kotleba auf Anhieb acht Prozent der Stimmen und zog mit 14 Abgeordneten in den Nationalrat ein. Die Partei bestritt ihren Wahlkampf hauptsächlich mit der Hetze gegen Roma und Flüchtlinge. Aus ihrer Gesinnung machten ihre Mitglieder zu keinem Zeitpunkt einen Hehl: Kotleba kleidet sich gern in Uniformen, die denen der Hlinka-Garden gleichen, jenen paramilitärischen Einheiten, die sich 1942 maßgeblich an der Deportation und Ermordung der slowakischen Juden beteiligten. In der Rubrik »Über Uns« auf der Website der Partei stellen sich die Kotlebovci, so die Selbstbezeichnung der Neofaschisten, in eine Reihe mit Jozef Tiso. Der katholische Priester war zwischen 1939 und 1945 Präsident der Ersten Slowakischen Republik, eines Vasallenstaats der Nazis.
Dass eine Partei sich heutzutage derart unverblümt auf den Nationalsozialismus beziehen kann, überrascht, zumal in dem Land bereits etliche nationalistische Parteien bestehen. Doch die gesellschaftliche Grundstimmung ist weit rechts der konservativen Mitte zu verorten und unter Slowakinnen und Slowaken besteht offenbar seit kurzem das Bedürfnis, sich mit einer Zeit zu identifizieren, die von konservativen Historikern und katho­lischen Klerikern zur goldenen Ära des Landes verklärt wird. Manche erklären die Popularität solcher Reminiszenzen mit der Unsicherheit in der Bevölkerung, was die EU-Einbindung und die gesellschaftliche Liberalisierung betrifft, oder mit der jüngsten Flüchtlingszuwanderung. Doch in erster Linie hat es das Land versäumt, sich überhaupt mit seiner faschistischen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Mit diesem Mandat wurde eigentlich die »Ústav pamäti Národa« ausgestattet, ein Institut, das mit der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes in Deutschland vergleichbar ist. Hier werden die Akten aus den »beiden slowakischen Diktaturen« – der faschistischen und der kommunistischen, so die eigene Lesart des Instituts – archiviert und ausgewertet. Lassen sich Verbindungen von Personen zu Verbrechen anhand der Dokumente nachweisen, werden die Fälle an die Strafverfolgungsbehörden übergeben. Eine moderne und unparteiische Institution zur Dokumentation von Verbrechen und zur Aufarbeitung einer gewalttätigen Vergangenheit – so zumindest erscheint es auf dem Papier.
Doch offenbar hat der Eindruck des tschechoslowakischen Sozialismus – unter Neurechten auch tschechischer Kolonialismus genannt – die Urteilsfähigkeit in der Behörde getrübt. Das Erinnerungsinstitut sowie die Kulturstiftung Matica Slovenská werden vornehmlich genutzt, um ehemalige Funktionäre des sozialistischen Regimes an den Pranger zu stellen. Im Gegenzug werden Amts- und Würdenträger aus Kirche und Politik rehabilitiert, die in der Zeit des Nationalsozialismus besonderen antidemokratischen Eifer zeigten. Während solche Funktionäre in den Entnazifizierungswellen der Nachkriegszeit bestraft wurden – Jozef Tiso wurde 1947 hingerichtet –, werden sie heutzutage als Dissidenten und Opfer der »roten Diktatur« dargestellt. Führende Repräsentanten von Hitlers Vasallenstaat werden so zu antikommunistische Helden gemacht. Prominente Beispiele sind der Bischof Ján Vojtaššák, der jüdisches Eigentum aus einem Arisierungsprogramm in den Besitz seiner Diözese brachte, und Tisos Innen- und Außenminister Ferdinand Ďurčanský, der die antijüdischen Gesetze des Regimes vorbereitete und ausführte. Beiden wurde eine Rehabilitierung als Nationalhelden zuteil, die katholische Kirche wollte Vojtaššák sogar selig sprechen.
»Das sind keine Helden, sondern Faschisten. Wir kämpfen dagegen, dass diesen Menschen ein antikommunistischer Heldenstatus zukommt«, sagt Martin Kornfeld. »Es ist nicht leicht. In der Slowakei wurde nie über den Faschismus gesprochen und jetzt sind wir die einzigen, die sagen: Der war ein Nazi und hat vom System profitiert.« Der Endzwanziger ist Generalsekretär der Vereinigung der Jüdischen Gemeinden in der Slowakei (ÚZŽNO) und Repräsentant der slowakischen Juden. Kornfeld spricht in kurzen, präzisen Sätzen. Er hat die Statur eines Gewichthebers und sieht nicht unbedingt wie jemand aus, den man zum Feind haben möchte. Dennoch ist die Gemeinde vorsichtig. Das Hauptquartier der ÚZŽNO ist in einem unscheinbaren Haus der Altstadt Bratislavas eingerichtet. Weder am Klingelschild noch an der Fassade gibt es einen Hinweis auf den Mieter. Erst wenn man einige Minuten ratlos auf der Türschwelle verweilt, surrt der Schließmechanismus der Tür. Am Ende eines vergitterten, videoüberwachten Gangs sitzt ein bewaffneter Sicherheitsmann.
Es ist Kornfelds Aufklärungsarbeit zu verdanken, dass Vojtaššáks Seligsprechung vorerst vertagt wurde, ein wichtiger Beitrag, um einer nachträg­lichen Rechtfertigung der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik entgegenzuwirken. Kaum eine andere Organisation in der Slowakei tritt der rechtsextremen »Volkspartei Unsere Slowakei« öffentlich so offensiv ent­gegen wie die ÚZŽNO. »Kotlebas Gruppe ist eine faschistische Partei. Aber wir wollen am Ende nicht die einzigen sein, die gegen sie ankämpfen«, sagt Kornfeld. Auch wenn bei Kotleba der offene Antisemitismus Parteiideologie ist und der Holocaust geleugnet oder den Juden selbst in die Schuhe geschoben wird, bereitet die Partei Kornfeld nicht die größten Kopfschmerzen. »Ich habe keine Angst vor denen. Viel mehr Sorge bereitet mir der Rest. In jeder Partei in der Slowakei findest du ein Pro und ein Anti. Am Ende ist die Frage entscheidend, welche Seite stärker ist«, sagt er über den Antisemitismus slowakischer Parteien.
Die jüdische Gemeinde in der Slowakei ist zwar vorsichtiger geworden. Doch so schlimm wie im Realsozialismus und in den ersten Jahren nach seinem Ende geht es nicht zu. Noch Anfang der neunziger Jahre gab es eine Jugendorganisation mit 300 Mitgliedern. Sie trainierten vornehmlich Kampfsport, um für die eigene Sicherheit sorgen zu können. »Das System damals war so antijüdisch, dass die Leute Angst hatten zu zeigen, dass sie Juden sind«, sagt Kornfeld. Er sei immer noch erstaunt darüber, wie offen andere jüdische Gemeinden in Europa mit ihrem Glauben umgehen können. »Aber wenn Osten und Westen wieder zusammenkommen, dann ist in der Regel der Osten das Problem. Weil: Kommunismus.« Doch von den Zuständen in anderen osteuropäischen Gesellschaften wie etwa in Ungarn sei man noch weit entfernt. Die Ideologie der rechtsextremen ungarischen Partei Jobbik erfahre aber vor allem unter den Angehörigen der ungarischen Minderheit im Land sehr viel Zustimmung, so Kornfeld.
Am 1. Juli übernimmt die Slowakei die EU-Ratspräsidentschaft und muss nach dem beschlossenen EU-Austritt der Briten zunächst wohl mit den Zentrifugalkräften in der Union kämpfen. Wirksame integrative Impulse sind von Ficos Regierung aber nicht zu erwarten. Selbst die erklärten Kämpfer gegen Rassismus und Antisemitismus in der Slowakei geben der EU eine Mitschuld am Erfolg rechtsextremer Parteien und verfolgen ihre eigene rechte Agenda. So sagt Marek Krajči etwa: »Wenn die EU uns weiterhin ihre liberale Agenda aufdrückt und LGBT- und Abtreibungsrechte durchsetzen will, stärkt das am Ende den extremen Nationalismus und Antisemitismus im Land. Das dürfen wir nicht zulassen.«
Auch die jüdische Gemeinde distanziert sich wenig von Ficos Propaganda gegen die EU und Flüchtlinge. Die Furcht vor antisemitischen Angriffen muslimischer Flüchtlinge besteht. Zudem will sich die Gemeinde mit einer Fundamentalopposition gegen Fico nicht vollends gesellschaftlich isolieren. So hofft auch Kornfeld, dass die Regierung einige Forderungen von Kotlebas Partei aufgreift: »Dann gibt es ja auch keinen Grund mehr, sie zu wählen.«