Homestory

Aus Anlass der EM in Frankreich widmet sich das Dossier dieser Ausgabe dem französischen Fußball, dem genialen Zinédine Zidane und dem WM-Sieg von Les Bleus im Jahr 1998. In seiner Chronik unter dem Titel »Zidane schweigt« zeigt Frédéric Valin auf, was der Titelgewinn der Franzosen für die Politik und die Gesellschaft bedeuteten. Den ganzen Text kann man als E-Book beim Verbrecher-Verlag herunterladen, wir bringen einen Auszug. Damit ist das Thema Ballsport für heute auch schon so gut wie erledigt.
Von der Fußballeuphorie vergangener Jahre ist in der Jungle World wenig zu spüren. Nichts los hier. Es gibt kein Heimkino, kein Tipp-Spiel, keinen die Spielzeiten angepassten Produktionsplan, kein lustiges Indoor-Grillen mit Bierausschank und Beflaggung. Alles, was während vergangener Fußball-Events für gute Stimmung sorgte, kommt diesmal nicht in Gang. Läuft die EM überhaupt noch oder ist sie schon vorbei? Auch die aufgedrehten intellektualisierten Fußball-Politik-Analogie-Diskussionen sind passé. Was wurde sich hier über Flaggen, Frisuren und Hymnen gestritten!
Die vielleicht erregteste Fußballdebatte in der Geschichte der Jungle World fand auf einer Konferenz 1998 irgendwann kurz vor dem Beginn der Weltmeisterschaft statt und drehte sich um die Équipe tricolore, ihre Bedeutung für das nationale Selbstverständnis, den Multikulturalismus und die Integration der Banlieues. Jemand schlug vor, mit dem französischen Fußball ganz groß aufzumachen. Das multikulturelle französische Team sei Symbol, Beweis und Motor der Integration, der Fußball mache die Migration sichtbar, der Kader sei völlig großartig, Frankreich erweise sich im Umgang mit Einwanderung als grande nation mit einem modernen Staatsbürgerrecht, das eben nicht nach Blut und Herkunft frage. Das traurige Gegenstück zu den black, blanc, beur, also den Schwarzen, Weißen und Arabern, sei der deutsche Fußball mit einer Mannschaft ohne Stil und Klasse.
Es gibt von der damaligen Sitzung keinen Tonbandmitschnitt, aber grob erinnerlich ist noch, dass der frankophile Redakteur in diesem Zusammenhang namentlich auf Oliver Kahn und Lothar Matthäus verwies und außerdem die Abschaffung des deutschen »Blutsrechts« forderte.
Dann der Konter eines Frankreich kennenden- und auch sonst sehr erfahrenen Kollegen: Die Ausführungen zum französischen ­Integrationsmodell und der Vorbildwirkung der Nationalmannschaft équipe de France seien fernab jeder Realität. Frankreich schmücke sich bei der WM mit einer multikulturellen Mannschaft und migrantischen Stars, verbanne diese Leute ansonsten aber in die Trabantenstädten und Jahr um Jahr erstarke der Front National.
Grob erinnerlich ist ferner, dass in dieser Gegenrede des erfahrenen Redakteurs auch auf die Olympischen Spiele 1936 und all­gemein auf die Propagandawirkung sportlicher Großereignisse verwiesen wurde. Der Rest der Redaktion hörte einfach nur zu und war hin- und hergerissen. So ging die Debatte zwischen beiden endlos hin- und her. Es war kein Delling-Netzer-Geplänkel, sondern das große Duellieren, Cruyff /Beckenbauer, Maradona/Platini und Ronaldo/Zidane, und ging irgendwann in die Verlängerung, ohne dass es für das umsitzende Publikum langweilig geworden wäre. Welchen Niederschlag die Debatte im Blatt gefunden hat, müsste man im Archiv der Jungle World nachlesen. Ob das aber lohnt? Manchmal kommt es vor, dass die Diskussionen am Redaktionstisch spannender sind als die Texte, die sich daraus ergeben. Wie die Geschichte für das französische Team weiterging, ist allgemein bekannt: Die black, blanc, beur spielten das Turnier ihres Lebens, siegten im Finale sensationell über Brasililen und wurden der umjubelte Weltmeister. Genaueres dazu im Dossier. Und damit genug für heute zum Thema Fußball. Nur eines vielleicht noch. Der frankophile Redakteur war Jürgen Elsässer.