Der Prozess wegen Messerattacke auf Henriette Reker

Immun gegen »Gehirnwäsche«

Der Prozess wegen des Messerattentats auf die damalige Kölner Oberbürgermeisterkandidatin Henriette Reker steht vor dem Abschluss. Der mutmaßliche Täter Frank S. wollte ein Zeichen gegen die Flüchtlingspolitik setzen, sah Vorbilder bei der Hamas und hält sich für das Opfer einer Verschwörung.

War es ein Mordversuch? Oder war der Täter wegen psychischer Störungen unzurechnungsfähig? Diese Fragen wird am Freitag das Oberlandesgericht Düsseldorf beantworten müssen. Dann steht die Urteilsverkündung im Prozess gegen Frank S. an, der im Oktober 2015 auf die parteilose Kölner Oberbürgermeisterkandidatin Henriette Reker ein Messerattentat verübte. Reker überlebte den Angriff nur knapp. Nach einer Notoperation noch im Koma liegend, gewann sie die OB-Wahl in der Rheinmetropole.
S., der neben Reker vier weitere Personen verletzte, legte ein Teilgeständnis ab. Von Anfang an machte der 44jährige in dem Prozess keinen Hehl aus seiner rechtsextremen Gesinnung. Sein Weltbild ist von Ressentiments geprägt, er hängt Verschwörungstheorien an und hasst Muslime sowie Migrantinnen und Migranten, Linke, aber auch »die Eliten«. Reker hatte er gleich zu Beginn des Prozesses als »U-Boot und Marionette der Grünen« und »linksradikale Schickeria-Ideologin« bezeichnet. Mit dem Attentat wollte er sie angeblich nur schwer verletzen, aber nicht töten. Er habe damit ein Zeichen gegen die Flüchtlingspolitik setzen wollen, so der Angeklagte.
Die Polizisten hingegen, die ihn vom Tatort ins Polizeipräsidium fuhren, sagten aus, dass S. ihnen unmittelbar nach dem Einsteigen von seiner Tötungsabsicht erzählt habe. »Ich wollte die Reker umbringen!« soll er ihnen gesagt haben. Ihre Aussagen wirkten schlüssig. Als ein Beamter von einer Äußerung berichtete, wonach S. eigentlich lieber Bundeskanzlerin Angela Merkel habe umbringen wollen, bezeichnet S. den Polizisten als »verlogenen Schweinehund«.
Alle Verfahrensbeteiligten, die in den polizeilichen Ermittlungen mit S. zu tun hatten, waren sich einig, dass er nach der Tat gefasst wirkte – und waren gleichermaßen überrascht von dieser Reaktion. Dass die Benutzung eines Messers als Waffe S. nicht fremd sein könnte, lässt bereits sein Spitzname aus den neunziger Jahren vermuten: »Der Messerstecher« soll er damals genannt worden sein.
Am zweiten Prozesstag sprach S. davon, dass er wegen seines Wissens über die terroristischen Messerangriffe auf Jüdinnen und Juden in Israel erwartet habe, nach dem Attentat erschossen zu werden. Auf die Frage des Nebenklagevertreters Christoph Meertens, was S. denn über die Messerattacken in Israel wisse, entgegnete er: »Dass Palästinenser Israelis angreifen als Widerstand.« Auch die Anleitungen der Hamas, in denen erklärt wird, wohin die Terroristen am besten stechen sollen, um erfolgreich zu morden, habe er gekannt. Er habe Parallelen gezogen und sich deshalb über die Messerattacken in Israel informiert.
In den neunziger Jahren soll S. Informationen des WDR zufolge im Umfeld der militanten neonazistischen »Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei« (FAP) in Bonn aktiv gewesen sein, später war er Mitglied der »Berserker Bonn«, die als eine »autonome« Nachfolgeorganisation der 1995 verbotenenen FAP gegründet wurden. Dem WDR zufolge prangt auf seinem Bauch eine riesige »Berserker Bonn«-Tätowierung in Frakturschrift.
Im Prozess lamentierte S.: »Wenn einer pünktlich zur Arbeit geht, ist er direkt ein Nazi.« Er bezeichnete sich selbst als »wertkonservativen Rebellen«. Als solcher habe er aber mit der Messerattacke einen »großen Fehler« begangen. »Ich habe Schlimmes getan, um Schlimmeres zu verhindern.« S. bat seine Opfer um Entschuldigung.
Die Bundesanwaltschaft forderte in ihrem Plädoyer eine lebenslange Freiheitsstrafe. Sie sieht es als erwiesen an, dass S. heimtückisch und aus niederen Beweggründen in Tötungsabsicht zugestochen habe, unabhängig von einer paranoid-narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Eine solche hatte der forensische Psychiater Norbert Leygraf in einem vor zwei Wochen vorgetragenen Gutachten diagnostiziert. Trotzdem sei, so Leygraf, S. voll schuldfähig – er habe keine psychischen Erkrankungen, die das ausschlössen.
Das Plädoyer des Pflichtverteidigers Jasper Marten war bereits nach fünf Minuten beendet. Nachdem Martens Kollege Christof Miseré von der Pflichtverteidigung auf eigenen und S.’ Antrag entbunden worden war, blieb Marten der einzige Anwalt von S. Was diesen nicht daran hinderte, wochenlang auch die Entbindung Martens von der Pflichtverteidigung zu beantragen und stattdessen öffentlich nach einem »mutigen rechten« Anwalt zu suchen. Einen neuen Verteidiger bekam S. nicht, das Gericht sah keine Belege für einen Vertrauensbruch wie zuvor zwischen S. und Miseré. Marten ging auf Wunsch seines Mandanten nicht selbst auf die Beweislage ein, sondern beschränkte sich auf den Verweis auf dessen Persönlichkeitsstörung. »Man muss seine schwere psychische Erkrankung strafmildernd berücksichtigen«, so der Anwalt. Er sei noch nie so von einem Mandanten beleidigt worden, deswegen sei es »fast unmöglich« gewesen, S. »vernünftig zu verteidigen«. Er halte statt einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe eine 15jährige Haft für angemessen.
Am vermutlich vorletzten Verhandlungstag, kurz nachdem er den Saal betreten hatte, zeigte der Angeklagte Bilder von seiner Meinung nach manipulierten Beweisen in die Kamera des WDR. Blut von Reker sei nachträglich auf das 30 Zentimeter lange Bowie-Messer aufgetragen worden. Dieser Auftritt ist typisch für das Verhalten von S. im gesamten Prozess. Stets stellte er sich als Opfer einer großen Verschwörung dar, benannte jedoch klar seine Motive. So nutzte er auch sein Schlusswort für ein eigenes Plädoyer. Mit dem seines Pflichtverteidigers, den er als »Totalausfall« bezeichnete, war er nicht zufrieden. Er verglich seine Tat mit dem Mord an der britischen Labour-Abgeordneten Jo Cox: »Dieser Mann wollte töten und sichergehen, dass diese Frau stirbt. Wenn jemand nur einmal zusticht, dann will er nicht töten. Ich wollte Reker nur verletzen!« S. redete sich erneut in Rage und wies die diagnostizierten Persönlichkeitsstörungen zurück: »Ich bin kein paranoider Narzisst und bin völlig gesund. Die Gehirnwäsche der Lügenpresse funktioniert bei mir nicht!«