Liebe Angst

Was ist eigentlich Liebe? Gute Frage, mögen manche denken, andere mögen zusammenzucken. Reden wir zu viel über Liebe? Oder trauen wir uns vielleicht viel zu oft gar nicht, uns einzugestehen, dass wir einander lieben? Manchmal kommt sie ganz unvermittelt, manchmal ist sie ein schleichender Prozess und viel zu oft stellt sie alles auf den Kopf, öffnet neue Perspektiven, eröffnet ab und an sogar Orte, die lange vergessen schienen, die Angst machen. Liebe, so wollen wir es doch letztlich alle glauben, ist das Gute in der Welt, der Sinn, der Antrieb, sich mit dieser Welt überhaupt auseinanderzusetzen. Die Menschheit ist entsprechend besessen von der Liebe, vom Gestehen und Zelebrieren, vom Schmerz, der sich so gut anfühlen kann. Liebe finden alle gut. Zumindest, wenn sie als Kalenderspruch daherkommt, wenn in sozialen Medien Hochzeitsfotos gepostet werden, wenn Kinder dabei sind, die Blumenkränze und weiße Kleidchen tragen, wenn alte Menschen nach Jahrzehnten Ehe auf einer Parkbank sitzen. Die meisten Menschen mögen Liebe, wenn sie harmlos daherkommt, wenn sie nur nett lächelt und winkt. Und vor allem, wenn sie heterosexuell ist.
Unter anderem anhand der von der Rosa-Luxemburg-Stiftung geförderten »Leipziger Mitte-Studie 2016«, die auch schon in dieser Zeitung besprochen wurde, zeigt sich, welche Grenzen die Liebe in vielen deutschen Köpfen kennt – 40 Prozent der Befragten gaben an, sie fänden es ekelhaft, wenn sich Homosexuelle küssen. Überall auf der Welt werden Menschen ermordet, gejagt, gefoltert, weil sie angeblich die Falschen lieben. Und diese Liebe empfinden viele als Gefahr. Wofür, bleibt selbstredend offen, aber die Vehemenz, mit der Liebe abseits der heteronormativen Zweierbeziehung bekämpft wird, kann nur ein Ausdruck von Angst sein. Der Begriff »homophob« ist daher ganz passend, auch wenn er natürlich eine Relativierung ist und Menschen, die andere für ihre Liebe hassen, streng genommen nur Arschlöcher sind.
»Ich sage Ihnen ganz ehrlich, dass ich mich schwertue mit der kompletten Gleichstellung«, sagte Merkel 2013. »Ich bin unsicher, was das Kindeswohl anbelangt.« Angesichts der deutschen Zustände vermuten viele hinter einer solchen Bezugnahme auf homophobe Ressentiments bloß Taktik – die klassische Hetero-Ehe will sie den Konservativen nicht wegnehmen. Aber ist dem wirklich so? Die Öffnung in der CDU für die gleichgeschlechtliche Ehe hat Merkel höchstpersönlich verhindert, auch wenn sie in Interviews sagt, dass sie gegen Diskriminierung sei. Ein wohlfeiles Argument, stellt die Ehe als heteronormative Institution doch per se eine Diskriminierung gegenüber Homosexuellen dar. Merkel lehnt die rechtliche Gleichstellung homosexueller Partnerschaften ab und zwar, weil sie diese Liebe nicht verstehen will, weil sie sie komisch findet. Hier passt der Begriff homophob – denn auch Merkel hat Angst vor Liebe, die anders ist als Kalendersprüche.