Die Verschlechterung der deutsch-türkischen Beziehungen

Türken mit Aktionsplan

Die Verstimmungen zwischen Deutschland und der Türkei halten nach der sogenannten Armenien-Resolution des Bundestags an – im Großen wie im Kleinen.

100 Jahre nach dem historischen Ereignis war es so weit: Am 2. Juni verabschiedete der deutsche Bundestag die sogenannte Armenien-Resolution mit großer Mehrheit. In der Resolution wird der Völkermord an den Armeniern in den Jahren 1915 und 1916 durch das sogenannte jungtürkische Regime verurteilt. Auch die deutsche Mitschuld wird hervorgehoben. Als engste Verbündete des Osmanischen Reichs wussten das Deutsche Reich und seine Diplomaten vom Völkermord, blieben aber untätig. In Zukunft möchte der Bundestag sich für die Aufarbeitung der Verbrechen und die Aussöhnung zwischen Türken und Armeniern einsetzen.
Das dürfte allerdings schwer werden. In ganz Deutschland protestierten Anfang Juni verschiedene türkische Verbände gegen den Beschluss des Bundestags. Die Ereignisse der Jahre 1915 und 1916 seien kein Thema für das deutsche Parlament, sondern für Historiker, war auf Transparenten zu lesen. Deutschland solle sich nicht in Angelegenheiten der Türkei einmischen.
Auch die Türkei selbst antwortete auf die Resolution. Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan forderte Bluttests für türkischstämmige deutsche Abgeordnete, um zu prüfen, ob diese überhaupt »echte Türken« seien. Ohnehin sei der Bundestag eine Versammlung von Unterstützern der PKK. Zudem kündigte Erdoğan einen »Aktionsplan« gegen die Bundesrepublik Deutschland an.
Dieser Plan scheint in die Tat umgesetzt zu werden. Ralf Brauksiepe (CDU), Staatssekretär im Verteidigungsministerium, durfte vor einigen Tagen mit einer Delegation des Bundestags nicht den Nato-Stützpunkt im türkischen İncirlik besuchen. Mit Verweis auf die Armenien-Resolution verweigerten türkische Behörden der Delegation die Einreise. In İncirlik sind deutsche Aufklärungs- und Tankflugzeuge stationiert. Sie unterstützen den internationalen Militäreinsatz gegen den »Islamischen Staat«. Als Antwort auf die türkische Zutrittsverweigerung kündigte die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) an, den Stützpunkt selbst zu besuchen. Am Montag gaben die türkischen Behörden ihr Einverständnis für den Besuch der Ministerin.
Die Konflikte zwischen der türkischen und der deutschen Regierung sind allerdings nicht die einzige Folge der Armenien-Resolution. Wenige Tage nach dem Beschluss tagte beispielsweise der Integrationsrat der Stadt Duisburg, in dem nationalistische und religiös-konservative türkische Gruppen einen großen Einfluss haben. Das Gremium beschloss einstimmig eine eigene Resolution mit dem Titel »Eine Lüge ist eine Lüge und bleibt eine Lüge. Gegen die Verleumdung der Türkei«. In dem Schrei­ben heißt es, man sei »von ›unseren‹ Bundestagsabgeordneten enttäuscht, die nicht den Mut aufbrachten, sich gegen die Verurteilung unseres gemeinsamen Herkunftslandes zu wehren, oder sogar noch aktiv an der Verurteilung der Türkei mitwirkten«. Anschließend werden einzelne Politiker aufgezählt und beschimpft. Über Cem Özdemir (Grüne) heißt es beispielsweise, dass »sein Hass auf die türkische Regierung und seine Nähe zur terroristischen PKK offensichtlich sein ganzes Handeln bestimmen«. Die Resolution endete mit der Ankündigung, diesen »Verrat« nicht zu vergessen, und der Drohung, dass er Folgen haben werde.
Schon kurz nach der Verabschiedung setzte der Duisburger Oberbürgermeister Sören Link (SPD) die Resolution wieder außer Kraft. Er verwies darauf, dass der Integrationsrat kein allgemeinpolitisches Mandat habe, und rügte die martialische Wortwahl des Schreibens. In einer weiteren Sitzung des Integrationsrats wurde die Resolution zwar mit knapper Mehrheit zurückgenommen. Dabei gab es allerdings Proteste von türkischen Gruppen, die von der »Völkermordlüge« sprachen und dem Rat vorwarfen, nicht für die Mehrheit der Duisburger Türken zu sprechen. Auch zwei türkischstämmige SPD-Mitglieder schlossen sich dieser Auffassung an.
In Gütersloh bedrängen mehrere türkische Organisationen die Stadtverwaltung mit besonderen Wünschen. Der Türkisch-Deutsche Hilfs- und Kulturverein Gütersloh und Umgebung und der Verein zur Förderung der Ideen Atatürks möchten »im Gedenken an die Opfer des Völkermords an den Aserbaidschanern im Jahre 1992« ein Mahnmal errichten. Im Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Region Bergkarabach habe sich 1992 ein Völkermord ereignet, man wolle einen Beitrag zur Aufarbeitung leisten. Mit ihrer Auffassung stehen die beiden Vereine allerdings alleine da.
Die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib) und der Verein zur Förderung der Integration und Bildung in Gütersloh fordern wiederum ein Mahnmal für die Zyperntürken, die in den Jahren von 1963 bis 1974 von Griechen »massakriert« worden seien. Daneben wünschen sich zwei Initiativen sogenannte Stolpersteine für die Opfer des »Nationalsozialistischen Untergrunds«. Die Mahnmale in Gütersloh sollen insgesamt zu einer »differenzierten Meinung« in der Stadt beitragen und auf die »Völkermorde an Türken und Muslimen« hinweisen. Bis Ende Juli wollen die Vereine Flächen von der Stadt zugewiesen bekommen, die Mahnmale wollen sie dann in Eigenregie errichten. Die Entscheidung des Gütersloher Stadtrats steht noch aus.
Eine ganz eigene Strategie verfolgen der türkischstämmige Unternehmer Remzi Aru und zwei weitere Mitstreiter. Sie haben eine eigene Partei gegründet. Bisher fiel Aru vor allem in Talkshows als Verteidiger der türkischen Politik auf. Seiner Ansicht nach ist es gut um die Pressefreiheit in der Türkei bestellt. Im Osten des Landes führe das Militär keinen Krieg gegen Kurden, sondern operiere gezielt gegen Terroristen, so der Unternehmer. Zudem gilt Aru als Unterstützer der AKP-nahen »Union Europäisch-Türkischer Demokraten« (UETD). Auf die Idee, eine Partei zu gründen, will der Unternehmer wegen der Armenien-Resolution des Bundestags gekommen sein. Der Vorgang habe ihm gezeigt, dass es keine Partei in Deutschland gebe, die er als Türke ohne Sorgen wählen könne.
Die neue Partei heißt »Allianz Deutscher Demokraten«. Sie soll, so verkündeten die Gründer am Sonntag im Berliner Hotel Titanic, für alle Menschen offen sein. Inhaltlich bietet das Programm eine krude Mischung aus wirtschaftsliberalen und islamischen Versatzstücken. Neben Familienpolitik, Handel, Renten und anderen Fragen werden im Programm die Rolle der Türkei und des Islam in eigenen Punkten hervorgehoben.
Der Zeitpunkt, an dem das Grundsatzprogramm der Partei öffentlich vorgestellt wurde, war auf den vergangenen Sonntag um 14.53 Uhr angesetzt. Im Jahr 1453 hatten die Osmanen Konstantinopel erobert. Aru sagte am Sonntag, die Uhrzeit sei »völliger Zufall, genau wie das Sterben von Zeugen beim NSU«, und lachte dabei.