Polen will kein »Pufferstaat« mehr sein

Mehr Nato für Polen

Vor dem Nato-Gipfel beschwören polnische Parteien die nationale Einheit gegen Russland.

Was muss bei der Errichtung eines Nato-Stützpunktes in der näheren Umgebung beachtet werden? Mit diesen und ähnlichen Fragen beschäftigten sich polnische Gymnasiasten seit Mitte Mai mehrmals wöchentlich im Rahmen ­einer vom Außen- und Bildungsministerium organisierten Kampagne an Schulen. Speziell dafür vorbereitete Arbeitsmaterialen begleiten die Unterrichtseinheiten, die immer auf die Frage hinauslaufen, wie der Nato-Gipfel zur Sicherheit Polens beitragen kann.
Anders als bei innenpolitischen Streitfragen, wie dem neuen Mediengesetz und der Reform des Verfassungsgerichtes, gibt es bei der derzeitigen Außen- und Sicherheitspolitik einen weitgehenden Konsens zwischen der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und der Opposition. Polnische Politiker erwarteten vom Nato-Gipfel parteiübergreifend, dass Polen vom »Pufferstaat« an der östlichen Grenze zum gleichberechtigten Mitglied des Bündnisses wird. Der symbolische Ausdruck dieser Veränderung ist die Einrichtung dauerhafter Nato-Basen in Polen selbst. Bisher hat das Bündnis mit diesem Schritt gezögert, da er im Widerspruch zu der 1997 verabschiedeten Nato-Russland-Grundakte stünde, welche die permanente Stationierung von Nato-Truppen in Osteuropa ausschließt.
Der Wunsch nach einer stärkeren Einbindung Polens in die Nato besteht seit längerem. Die diesbezüglichen Weichen stellte bereits die von 2007 bis 2015 regierende liberal-konservative Bürgerplattform (PO), die jetzt die größte Oppositionspartei ist. 2013 forderte Bronisław Komorowski, damals Präsident Polens und im Parteivorstand der PO, eine strategische Neuausrichtung der Sicherheitspolitik des Landes. Nach Jahren intensiver polnischer Beteiligung an Auslandseinsätzen der Nato machte Komorowski die Landesverteidigung zum zentralen Thema. Im Zuge der Ukraine-Krise sprach sich der damalige Premierminister Donald Tusk, ebenfalls von der PO und derzeit Präsident des europäischen Rates, für eine Aufkündigung der Nato-Russland-Akte aus. Der derzeitige Außenminister der PiS-Regierung, Witold Waszcykowski, griff diese Forderung nach seinem Amtsantritt Ende 2015 auf. Im März dieses Jahres demonstrierten die PO und die PiS ihren sicherheitspolitischen Konsens erneut, als sie im Parlament gemeinsam eine Gesetzesnovelle auf den Weg brachten, die rechtliche Hürden für die dauerhafte Stationierung ausländischer Truppen in Polen be­seitigt.
Diese Entwicklungen verweisen ­darauf, dass sich Polens Selbstver­ständnis als »wehrhafte Nation« derzeit verändert. Dem Motiv der Selbst­behauptung gegen Nazideutschland sowie Russland kam seit jeher eine wichtige identitätsstiftende Rolle zu. Im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise und dem Erstarken nationalistischer Bewegungen im Inland tritt nun auch die antirussische Komponente wieder verstärkt hervor. Die Nato-Manöver in der Region und der verbale Schlagabtausch mit Wladimir Putin begünstigen diese Entwicklung in Polen noch. Der Chefredakteur des konservativen Nachrichtenmagazins Wprost, ­Tomasz Wróblewski, findet, der Gipfel sei »der richtige Ort und Augenblick, um schnell die Verteidigungsdoktrin zu ändern, in der Polen nur ein Vorposten für die Verteidigung von Deutschland ist«.
Während deutsche Waffenhersteller an der Aufrüstung der polnischen ­Armee und der Freiwilligenmilizen verdienen, unterstützt die Bundesregierung die bisherige Nato-Doppelstrategie aus Abschreckung und Dialog. Seit dem Nato-Gipfel in Wales 2014 verschieben sich die Gewichte – Russland wird auch von deutscher Seite zunehmend als Rivale definiert, was sich in dem aktuellen Weißbuch der Bundeswehr als militärstrategisches Leitbild niederschlägt. Russland habe sich von der Partnerschaft mit dem Westen abgewandt, heißt es darin. Bei den deutsch-polnischen Regierungsgesprächen Ende Juni sprach sich Bundeskanzlerin Angela Merkel deutlich für die Stärkung des östlichen Nato-Raums aus. Deshalb werde Deutschland auch die Verantwortung für eines von vier neuen Nato-Bataillonen im Baltikum übernehmen, heißt es in einer Erklärung der Bundesregierung.
Die Ankündigung des Verteidigungsministeriums, der Bundeswehr im ­Rahmen einer Truppenaufstockung der Nato die Führung des Kontingents in Litauen zu übertragen, steht für die Annäherung der deutschen und polnischen Militärpolitik.