ein Besuch in Cleveland während des Parteitags der Republikaner

Cleveland Rocks

Auch ohne offizielle Akkreditierung kann ein Parteitag spannend sein. Unser Reporter war vergangene Woche in Cleveland, wo er neben einer Pro- und einer Anti-Trump-Veranstaltung auch das Rock-and-Roll-Museum besuchte und überall sehr freundliche Polizisten traf.

Okay, ich gebe es zu, ich bin einer dieser Typen, die ein Problem damit haben, jemanden anzuhalten und nach dem Weg zu fragen. Obwohl ich, ehrlich gesagt, glaube, dass das Problem unter anderem darin liegt, dass Bewegung sich gut anfühlt, auch wenn man später merkt, dass die Richtung falsch war.

Samstag, 16. Juli

8 PM EST. Es ist Abend in America, oder in einem Großteil davon, und ich bin froh, auf dem Weg nach Cleveland zu sein, zum Parteitag der Republikaner. Noch besser: Ich sitze in einem Flugzeug, bewege mich schnell.
11 PM. Komme bei Anne und Don an, die ich über eine Website gefunden habe, wo man Unterkunft findet. Sie leben in einem der bestimmt nettesten Orte in Cleveland, in der Nähe eines Parks, eine Hollywoodschaukel auf einer Klippe mit Aussicht auf den See. Anne wollte mich abholen, aber sie und Don hatten bei einer Ticketverlosung im Radio gewonnen und die beiden sind jetzt auf einem Konzert, also sind es der Hund und die Katze, die mich willkommen heißen, und weil es schon nach meiner Schlafzeit ist, mache ich für heute Feierabend.

Sonntag, 17. Juli
Morgen in Amerika, Leben im Luxus. Steige die Treppe runter zum privaten Strand. Der See ist ruhig und ich würde gerne versuchen, die Innenstadt in einem Kajak zu erreichen, aber es wäre etwas viel für heute, also lass ich es erstmal.
Es sind einige Demonstrationen geplant – Bikers for Trump, verschiedene Gruppen gegen ihn. Don ist ein Biker und so sieht er auch aus, mit Vollbart und Glatze, aber er sagt, dass er nicht für Trump demonstrieren wird und dass er eigentlich noch nie in seinem ­Leben auf einer Demonstration war, aber Trump macht ihm Angst und er hat vor, an einer Demonstration am Nachmittag teilzunehmen. Aber zuerst geht es ins Six Shooter Cafe. Vielleicht weil mich das Foto des Urgroßvaters des Besitzers so interessiert, (#1) oder wahrscheinlich eher, weil ich mit Anne bin, aber ich bekomme einen Kombucha-Tee geschenkt für den Weg. Dann holen wir Terray ab, der aus Berkeley angereist ist, ein kurzer Stopp bei Whole Foods und nach Hause, wo Terray sein Gepäck abstellt und seine Gasmaske (#2) sauber macht, bevor wir uns auf den Weg in die Innenstadt machen.
2 PM Annes Schwester Hope fährt uns in die Innenstadt. Sie ist eine Foto­journalistin – jedenfalls war sie es, als gedruckte Zeitungen noch mehr bedeuteten und der Journalistenberuf ebenfalls und ein fest bezahlter Job war. Wir stecken in einem heftigen Stau, also lässt sie uns raus und wir laufen das letzte Stück zum Public Square und suchen nach etwas, das interessant sein könnte. Es ist ruhig, die meisten Leute, die keine Journalisten sind, scheinen zu hoffen, dass irgendein Journalist sie interessant findet.
Da ist ein Mann, der irgendwie aussieht, als könnte er obdachlos sein, aber er ist mit seiner Tochter da und spricht gerade über Raketentechnologie. Ich glaube, dass er Investoren für sein Business sucht, und da es bei mir nicht so locker aussieht mit den Millionen, die man dafür bestimmt bräuchte, laufe ich weiter, fotografiere Ausstattung, die so aussieht, als würde morgen eventuell jemand Wichtiges darauf treten. (Habe leider keine Presseakkreditierung dieses Jahr, also werde ich das nicht zu sehen bekommen.) (#3)
Die Demonstration fällt viel kleiner aus als erwartet. Immerhin, denke ich, sind mehr Demonstranten als Polizisten und Journalisten anwesend, aber ge­rade so.
Eine Gruppe sagt, es sei an der Zeit, eine wirkliche Revolution zu organisieren (SO BALD WIE MÖGLICH, steht auf ihren Flyern), und nicht, wie sie sagen, eine Bernie-Sanders-Revolution (#4). Sie sind laut und marschieren im Gleichschritt. Eine kleine Gruppe von Code Pink ist auch dabei, und irgendwo da drin Black Lives Matters, Peace Team und Lawyers Guild Observers, die Rechtshilfe für Demonstranten leisten.
Eine Demonstrantin erzählt, dass die ursprüngliche Demonstrationsroute ­geändert wurde, und das könnte ein schlechtes Zeichen sein oder auch nicht, sie beschließt jedenfalls, kein Risiko einzugehen und nach Hause zu gehen, was, sagt sie, zufällig ganz in der Nähe sei.
Als Erinnerung daran, dass die ganze Sache hier ernster ist, als sie erscheinen mag, höre ich einen Polizisten einem Kollegen sagen: »Pass auf die ­offenen Fenstern auf!«
Treffe zufällig Jason, den ich seit Jahren nicht mehr gesehen habe, er ist zurück in den USA, macht eine Pause von Istanbul und ist dabei, alte Fotos zu verkaufen, um seine Rückreise zu finanzieren.
Nachdem sich die Demonstration aufgelöst hat, spreche ich mit einem Republikaner aus Washington State, der aus seinem Hotelzimmer raus musste, um seine Zigarre zu rauchen. (Er verrät nicht, welche Marke.) Er erzählt mir, dass er bei seiner Ankunft am Flughafen Don King gesehen hat, der eine spontane Rede hielt, der sogar die Gepäckträger applaudierten. Der Mann stellt sich vor, dass Don King vielleicht überraschend auf dem Parteitag sprechen wird, doch er ist nicht der einzige, der so etwas sagt. Und in der Zeitung wird daran erinnert, dass King früher jemand getötet hat und dass so etwas bei einem Parteitag nicht so gut ankommt.
Der Republikaner vergleicht Parteitage mit Motivationsveranstaltungen vor einer World Series, aber Trump ist kein »Business as usual«-Kandidat, dennoch scheint das Geschäft wie gewohnt zu funktionieren. Extrem sau­bere Menschen, die in ihrer extrem sauberen Kleidung herumlaufen, T-Shirts und Bobblehead-Figuren zum Verkauf, ewige Protestierer, und so weiter. (Bob aus Miami, den ich aus einem früheren Jahrzehnt kenne. Er sagt, dass er es leid ist, so etwas zu machen, und dass er wirklich an seinem Buch arbeiten sollte, aber er ist unermüdlich, wenn es darum geht, für Fotos zu posieren, und sieht aus, als würde er es doch noch mögen, Teil der ganzen Aktion zu sein. (#5)
Dass Bob erzählt, dass er für Trump ist, nachdem er jahrelang Hillary unterstützt hat, ist nicht so beunruhigend, aber Marc, der eine Schürze voller Kippas trägt – Hillary-Kippas, Bernie-Kippas, und so weiter –, erzählt, dass die Trump-Kippas sich am besten verkaufen, und Kippas lügen nicht, sagt er vergnügt.
Zurück im Park, die California-Highway-Patrol-Beamten scheinen aus irgendeinem Grund die meiste Aufmerksamkeit zu bekommen unter den Polizeibeamten aus anderen Bundesstaaten, die heute hier anwesend sind. (#6).
Sitze jedenfalls bei einem Brunnen, kümmere mich um meine eigenen ­Sachen, als jemand, den ich nicht kenne, direkt mich zuläuft. Ich schaue mich um: Nein, ja, er meint mich. Er habe mich gestern Abend im Bus ­gesehen, erzählt er und mir ist jetzt unangenehm, dass ich ihn nicht erkannt habe, aber, ehrlich gesagt, ich war der einzige weiße Mann in diesem Bus und so hatte er es einfacher als ich. Seine Tochter spielt im Brunnen, während wir uns uns über die unglaubliche Saison der Cavalliers und die Feierlichkeiten zum Saisonende unterhalten (da waren tausendmal mehr Leute als jetzt auf den Straßen).
Mache ein paar Fotos, dann halte an der Fourth Street, einer Fußgängerzone (#7), und zurück nach Hause. Ich habe Don auf der Demons­tration nicht gesehen und es stellt sich heraus, dass er zwar hingegangen ist, aber es sei nicht die Art von Veranstaltung gewesen, an der er teilnehmen wolle, also sei er wieder gegangen.

Montag, 18. Juli

Hatte eigentlich vorgehabt, früher aufzubrechen, aber immerhin. Nehme den Bus downtown, dann zu Fuß auf der Suche nach den Bikers for Trump, was nicht so einfach ist, weil ich ständig den Namen des Parks vergesse, wo die Kundgebung stattfinden soll. Aber es ist auch sonst so viel los: Das Peace Team und die Free-Hugs-Gruppe laufen sich über den Weg, es entsteht ein Gestöber von Umarmen und Fotografieren, was, also, wie kann man sich eines von beiden entgehen lassen? (#8) Hinzu kommen lauter Präsidentschaftskandidaten, Elefantenverkäufer und Jesus-Anhänger (#9).
Finde zwei Mitarbeiter von Le Monde, die wissen, wo es lang geht, also folge ich ihnen, aber dann läuft ein Typ vorbei, der etwas trägt, was jemand eine AK-47 nennt. Halte an, um Fotos zu machen, und frage ihn nebenbei, ob er immer eine Waffe mit sich herumträgt, wenn er ausgeht (#10). Er erzählt, dass er es gerne tun würde, aber leider mache das die Leute nervös. Nicht, dass ich nervös wäre. Aber ich lasse ihn vorbeiziehen.
Die beiden von Le Monde habe ich inzwischen aus den Augen verloren, aber ein freundlicher Polizist zeigt mir den Weg. Eigentlich heißt das hier offi­ziell »America First Unity Rally«. Am Anfang gibt es eine Diskussion darüber, ob man mit einem Gebet anfangen solle, dann der Treueschwur und die Nationalhymne, oder mit dem Treueschwur zuerst, aber irgendwie wird es geklärt und dann fängt die Veranstaltung an. (#11)
Eine Frau erzählt dem Publikum, dass sie immer vier Sachen mitnimmt, wenn sie ausgeht: eine Pistole, die Bibel, eine Kopie der Verfassung und ihren Vote registration card. Die Sonne scheint brutal, was mir wirklich helfen würde, wäre Sonnenschutzcreme und etwas, um meinen Sonnenbrand zu kühlen. Es gibt viel zu tun, also verlasse ich die sonnige Demonstration und suche mir Hautcreme und einen schattigen Arbeitsplatz für den Rest des Tages.
Ein Mann in einem handgenähten Eisbärenkostüm (#12) bekommt es ­erstaunlich gut hin, auf Kommando des Fotografen traurig zu gucken.
Gehe zurück zum Public Square. Straßentheater, Straßenmusik, Frau mit einem Trump-Hates-Kittens-Schild. Und zwei PETA-Aktivisten auf Stelzen (#13).

Dienstag, 19. Juli
Anne fährt uns zum Rock-and-Roll-Museum. Weil der Eintritt frei ist, eine Höflichkeit von irgendeiner Firma, die mit ihrem Namen in Verbindung mit dem Museum groß Werbung macht.
Gehe mit Ishmael aus Katalonien rein. Elvis, The Beatles, Taylor Swift etcetera im Untergeschoss (#14). Im Erd­geschoss des Gebäudes hängen drei Trabis an der Decke, gebraucht, offenbar stammen sie aus einem U2-Video. Drinnen ist es eiskalt, viel zu kalt für Ishmaels europäische Gewohnheiten, also gehen wir weiter. Wickele mir ein T-Shirt um den Kopf, damit mein Sonnenbrand nicht schlimmer wird.
»Stranger than Paradise« ist einer meiner Lieblingsfilme und eine Online-Recherche vergewissert mich, dass die Szene mit dem vom Wind aufgewühlten See im Winter hier in der Nähe gedreht wurde. Aber viel scheint sich verändert zu haben in den vergangenen 30 Jahren, den Ort erkennt man nicht wieder. An der Stelle, wo die Szene gedreht worden sein muss, angelt eine vietnamesische Frau unter einem rot-weißen Schirm.
Es ist schade, zu gehen, weil ich bestimmt viel verpasse, aber es geht nicht nur um meinen Sonnenbrand, sondern auch um meine Schuhe, die auseinanderfallen (#15). Anne war so nett und hat mich mit Gaffer-Tape ausgestattet, aber ich vergaß, heute morgen eine neue Schicht drüberzukleben.
Versuche, eine weitere Demonstration entlang der offiziellen Paraderoute zu finden. Laufe mit Terray an Besuchern vorbei (man soll keine Vorurteile haben, aber sie sehen doch ziemlich republikanermäßig aus) (#16) in eine trostlose Ecke der Stadt. Zwei Polizisten sitzen auf Klappstühlen im Schatten eines Tankstellenschildes. Ein Mann mit einem Tattoo läuft an ihnen vorbei, aber keine Spur von einer Demonstration (#17).
Jemand verteilt »The Way to Happiness«-Hefte und ich würde ihm gerne ein paar Fragen stellen, aber ich bin spät dran, bin mit Anne am Light-Rail-Bahnhof verabredet, die mein ­Gepäck dabei hat. (Habe ich erwähnt, dass sie eine super Gastgeberin ist?)
Einige Stunden später mache ich es mir in meinem Sitz auf meinem Flug nach Hause bequem und bald bewegen wir uns schnell (#18).
Ich gestehe, ich bin besorgt, mehr als ein bisschen. Aber morgen ist ein anderer Tag.
Nicke ein.

Aus dem Amerikanischen von Federica ­Matteoni.