Die Reaktionen auf den »Brexit« in Österreich. Teil 3 einer Serie

Der Austritt wird vertagt

Derzeit dämpft die österreichische FPÖ dämpft ihre Kritik an der EU, an ihrer Ablehnung der europäischen Integration aber hat sich nichts geändert. Dritter Teil einer Serie über die Reaktionen auf das britische EU-Referendum.

Zwei Tage nach dem Referendum in Großbritannien über den Austritt aus der EU gab sich die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) noch offensiv. Sofern nicht innerhalb eines Jahres gravierende Veränderungen stattfänden, solle es auch in Österreich ein Referendum nach britischem Vorbild geben. Das ließ Norbert Hofer, zu diesem Zeitpunkt noch gescheiterter FPÖ-Kandidat für das Bundespräsidentenamt, über die Boulevardzeitung Österreich seiner Gefolgschaft ausrichten.
Wenige Wochen später, in einem Interview mit der Tageszeitung Die Presse, stellte er die Lage jedoch gänzlich anders dar. Eine Abstimmung über den Austritt sei lediglich die Ultima Ratio für die FPÖ, falls sich die EU für eine Aufnahme der Türkei entscheide und die Entscheidungsbefugnisse stärker zentralisiere. Österreich profitiere von der EU, sagte Hofer, und er habe große Hoffnungen, dass sie sich noch zu einem Projekt entwickele, das Österreichs Anspruch auf Souveränität und das »Selbstbestimmungsrecht der europäischen Völker« akzeptiere. Dieser partielle Rückzieher dürfte damit zusammenhängen, dass Hofer erneut einen Wahlkampf zu bestreiten hat.
Nachdem der österreichische Verfassungsgerichtshof am 1. Juli der Anfechtung der Stichwahl für das Bundespräsidentenamt durch die FPÖ Recht gegeben hat, muss die Wahl im Oktober wiederholt werden. Der dem grünen Kandidaten Alexander Van der Bellen knapp unterlegene Hofer ist auf Stimmen außerhalb der FPÖ-Kernwählerschaft angewiesen, will er die Wahl dieses Mal für sich entscheiden. Eine konkrete Forderung nach dem Austritt aus der EU wäre dafür hinderlich, denn dieser wird bislang zumindest von den anderen großen Parteien abgelehnt. Sowohl die Sozialdemokratische Partei (SPÖ) als auch die konservative Österreichische Volkspartei (ÖVP) und die Grünen stehen geschlossen für einen Verbleib Österreichs in der Europäischen Union. Das macht auch eine wie auch immer geartete linke Kritik an der EU schwierig. Die Parteien, die offen einen Austritt aus der EU fordern, wie das rechtsliberale Wahlbündnis EUSTOP, sind politisch marginalisiert, was auch damit zu tun haben dürfte, dass die FPÖ das europakritische Wählerpotential weitestgehend an sich binden konnte.
Dieses beläuft sich allerdings traditionell nur auf rund 30 Prozent der Wahlberechtigten und ist Umfragen zufolge kurz nach dem britischen ­Referendum auf 23 Prozent gesunken. Da bei der Volksabstimmung von 1994 über den EU-Beitritt sich noch 33 Prozent der Befragten gegen diesen aussprachen, lässt sich hinsichtlich der Zustimmung zur EU-Mitgliedschaft von einem leichten Aufwärtstrend sprechen, wobei die Umfrageergebnisse je nach Zeitpunkt und Auftraggeber deutlich voneinander abweichen. Zwar kam ein überparteiliches Volksbegehren zum Austritt aus der EU im Vorjahr auf über 200 000 Unterschriften und musste somit parlamentarisch behandelt werden, doch eine Massenbewegung für den Austritt existiert nicht. Wohl deshalb dürften Hofer und die FPÖ ihre offensive Ablehnung der EU zurückstellen, ohne jedoch wirklich von ihr abzurücken.
Die Kritik an der EU ist einer der Kernpunkte im Programm der FPÖ. Die Angst davor, doch noch in den Sog der ökonomischen Krise zu geraten, sprechen Parteichef Heinz-Chrsitian Strache und andere FPÖ-Politiker mit ihrer Kritik an einem fortschreitenden »Souveränitätsverlust« an. Die »Bürokraten in Brüssel« stünden der Handlungsfähigkeit des Staats und natürlich dem »Volkswillen« entgegen.
So werden im Wahlprogramm von 2015 Volksabstimmungen über den Verbleib im Schengen-Raum und dem Europäischen Stabilitätsmechanismus gefordert. Die Währungsunion solle auf die wirtschaftlich starken Staaten beschränkt werden und falls dies nicht geschehe, müsse über eine Rückkehr zu nationalen Währungen nachgedacht werden, heißt es im Programm weiter. Ironischerweise würde jedoch ein Austritt aus der EU und der Euro-Zone Österreich in eine Krise stoßen und damit gerade zu dem gefürchteten Souveränitätsverlust führen. Als Trittbrettfahrer der deutschen Exportwirtschaft wäre es für Österreich eine ökonomische Katastrophe, sich aus dem EU-Binnenmarkt auszuklinken.
Das ist selbstverständlich auch Hofers Kontrahenten, dem ehemaligen Wirtschaftsprofessor Van der Bellen, bekannt. Dieser begründet die Untauglichkeit der FPÖ für Regierungsaufgaben mit deren ablehnender Haltung zur EU und hat damit im bürgerlichen Lager beträchtlichen Erfolg. Der »Brexit« und die damit einhergehende Weltuntergangsstimmung in den Medien wie auch an der Börse dürften ihm dabei gelegen kommen. Die proeuropäische Haltung ist eines der Hauptargumente, mit dem auch die SPÖ und große Teile der ÖVP Van der Bellen unterstützen. Der neue österreichische Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ), der seinen Vorgänger Werner Fay­mann nach dessen Rücktritt im Mai abgelöst hat, hat sich öffentlich für Van der Bellen ausgesprochen. Der für einen österreichischen Sozialdemokraten ungewohnt mediengewandte Kern, der jetzt schon für viele Linksliberale ein großer Hoffnungsträger geworden ist, hat sich wiederholt gegen ein Referendum über einen EU-Austritt ausgesprochen. Er setzt auf Lösungen im Rahmen der derzeitigen EU-Struktur und spricht sich gegen tiefergehende Reformen aus. Ob er sich mit diesem europapolitischen Pragmatismus, der schon seinem Vorgänger zum Vorwurf gemacht wurde, gegen den Anti-Eliten-Diskurs der FPÖ wird behaupten können, bleibt fraglich. Jegliche Krisenerscheinung in nächster Zeit wird wohl im Zusammenhang mit der EU-Frage diskutiert werden und dies könnte schnell zu einem Meinungsumschwung in der Bevölkerung führen. Sobald passiert ist und die Bundespräsidentenwahl stattgefunden hat, steht die FPÖ bereit, um solche Stimmungen aufzufangen.