In Großbritannien beschäftigten Firmen Arbeitslose, ohne sie zu bezahlen

Arbeiten ohne Lohn

In Großbritannien sind die Namen von Hunderten Firmen und Wohltätigkeitsorganisationen veröffentlicht worden, die Arbeitslose beschäftigt haben, ohne sie zu bezahlen. Die Betroffenen mussten bis zu 30 Stunden in der Woche arbeiten, um ihre Sozialleistungen nicht zu verlieren.

Vier Jahre lang kämpfte das Department for Work and Pensions (Ministerium für Arbeit und Rente, DWP) vor Gericht, um die Namen der Firmen und Organisationen zu schützen. Das DWP argumentierte, die betroffenen Unternehmen könnten im Zuge von Boykotten wirtschaftlichen Schaden nehmen. Ein britisches Berufungsgericht entschied nun, dass das öffentliche Inter­esse die kommerziellen Interessen der Unternehmen überwiegt.
In der jüngst veröffentlichten Liste finden sich bekannte Firmen wie Tesco und DHL, aber auch Wohltätigskeits­organisationen wie das Britische Rote Kreuz, die Heilsarmee und Oxfam. Sie nutzten zwischen Juli 2011 und Januar 2012 kostenlose Arbeitskräfte im Rahmen des Programms »Mandatory Work Activity«. Etwa 120 000 Arbeitslose mussten bis zu 30 Stunden die Woche ohne Bezahlung arbeiten, sonst hätten sie ihre wöchentliche Sozialleistung in Höhe von umgerechnet 86 Euro verlieren können. Das Programm wurde ­unter der Koalitionsregierung von Premierminister David Cameron eingeführt und 2015 nicht mehr verlängert. Bereits zuvor hatte eine vom DWP selbst in Auftrag gegebene Studie die Effek­tivität des Programms bezweifelt. Der Tageszeitung Independent sagte jedoch ein DWP-Sprecher: »Arbeitsmaßnahmen helfen jedes Jahr Tausenden Menschen, neue Kompetenzen und Erfahrungen zu erlangen, um wieder in den Arbeitsmarkt zu finden.«
Dem widerspricht die Organisation Boycott Workfare. Workfare bezeichnet Aktivierungsmaßnahmen wie »Mandatory Work Activity«, die mit Sanktionen arbeiten, und ist an das Wort welfare (Sozialhilfe) angelehnt. »Workfare ist eine Bestrafung. Es versorgt Unternehmen und Organisationen mit kostenloser Arbeitskraft, während die ­privaten Unternehmen, die die Maßnahmen vermitteln, saftige Gebühren ­abgreifen. All das bezahlen die Bürger – inklusive Menschen, die selbst in den Workfare-Programmen sind«, erklärte ein Sprecher von Boycott Workfare im Gespräch mit der Jungle World. Workfare verschwende die Zeit der Betroffenen und diene dazu, Arbeitslosen Geld durch Sanktionen wegzunehmen. In einer Richtlinie wird »Mandatory Work Activity« als Instrument für Arbeits­lose bezeichnet, denen es an »Fokussierung und Disziplin« bei der Arbeits­suche mangelt.
Den Sprecher von Boycott Workfare verwundert es nicht, dass auch Wohltätigkeitsorganisationen von diesem System profitiert haben. Ein Grund sei, dass Vermittlungsfirmen die Organi­sationen belogen und unbezahlte Arbeiter als Freiwillige ausgegeben hätten, ohne die Sanktionsmaßnahmen zu erwähnen. Seit 2012 haben über 600 ­Organsiationen das Abkommen »Keep Volunteering Voluntary« unterzeichnet und sich darin gegen Workfare-Maßnahmen ausgesprochen. Die Supermarktkette Tesco, die Workfare-Arbeiter beschäftigte, hat als einziges Unternehmen auf eine Anfrage des Independent reagiert. »Bevor wir uns dafür entschieden haben, dass die Maßnahme nicht das Richtige für uns war, haben wir angeboten, die Teilnehmer zu bezahlen«, heißt es in dem Statement.
Zwar wurde das Programm »Mandatory Work Activity« abgeschafft, andere Arbeitsmaßnahmen werden jedoch weitergeführt. Auch das neue Sozialleistungssystem Universal Credit, das derzeit eingeführt wird, sieht Zwangsmaßnahmen vor. Für Organisationen wie Boycott Workfare geht deshalb mit dem Urteil des Berufungsgerichts die Arbeit erst richtig los. »Wir können jetzt leichter herausfinden, wo workfare heute eingesetzt wird. Damit ist es für uns einfacher, Firmen und Organisationen zu exponieren. Workfare ist unmöglich, wenn es keine Orte gibt, an die man die Menschen vermitteln kann. Diese Organisationen können ihre Ausbeutung nicht mehr hinter der Maske der Anonymität verstecken«, so der Sprecher. Die Folge wäre schließlich der Zusammenbruch des Zwangsmaßnahmensystems.