Barack Obama und die schwarze Community. Eine Bilanz

Er war stets bemüht

Für viele Amerikaner ist Präsident Barack Obama zugleich ein Held und eine Enttäuschung. Kurz vor Ende seiner zweiten Amtszeit diskutieren schwarze Intellektuelle über das Vermächtnis des ersten schwarzen Präsidenten der USA.

»Wenn wir zusammenarbeiten, dann können wir über alte Rassenwunden hinwegkommen«. Das war der Kernsatz in Barack Obamas Rede »A More Perfect Union« am 18. März 2008. Es war die bedeutendste Rede seiner Kandidatur, das ganze Land hörte zu. Die USA glaubten an die Slogans von »Hope« und »Yes we can«. Sie wollten an eine post-racial society glauben, an ein multikulturelles Amerika, das den Rassismus überwunden hat. Weiße, Schwarze und Latinos wählten Obama, vor allem der Aktivismus junger Leute trug den ehemaligen Community-Organizer aus Chicago ins Amt. 1,8 Millionen Ameri­kaner kamen zur Amtseinführung ­Obamas im Januar 2009 nach Washington, D.C.
Acht Jahre später ist nicht viel geblieben von der Euphorie der Kampagne und der ersten Monate von Obamas Präsidentschaft. Es passiert immer wieder und in anscheinend immer kürzeren Abständen: Weiße Polizisten erschießen schwarze Teenager. Der Protest dagegen hat sich verselbständigt; er wird ­innerhalb von Stunden per Social Media organisiert. In den vergangenen ­Wochen hat sich die Situation durch die Polizistenmorde in Dallas und Baton Rouge weiter zugespitzt. Die schwarze Mittelschicht Amerikas diskutiert unterdessen immer kritischer, was die erste Präsidentschaft eines schwarzen Mannes genutzt hat.
»Obama ist der erste Präsident, der glaubwürdig ein Black-Studies-Seminar geben könnte«, schreibt Ta-Nehesi Coates von The Atlantic. Doch das hat Obama zumindest in seiner ersten Amtszeit nicht getan. Nicht weil er glaubte, es gäbe keinen Rassismus mehr in den USA, sondern weil er davon überzeugt war, Amerika »heilen« zu können, wie er bereits 2007 in einem Interview gesagt hatte. Die USA seien »eine Nation von Feiglingen in Fragen von race und ethnicity«, befand direkt zu Beginn von Obamas Amtszeit dessen schwarzer Justizminister Eric Holder. Sofort erntete der Minister Kritik, Obama distanzierte sich.
Den Beratern Obamas war diese »Schwäche« bewußt. Sie setzten auf eine Kampagne, die race nur erwähnte wenn unbedingt nötig und deren Botschaft Ethnizität transzendierte und Versöhnung predigte. Eine erfolgreiche Strategie, die Obama in den ersten Jahren seiner Präsidentschaft weiterverfolgte. Kein Präsident seit John F. Kennedy hat weniger über race gesprochen als Obama, hat der Politikwissenschaftler Daniel Gillion von der Universität Pennsylvania herausgefunden. Immer wieder betonte Obama, dass er der Präsident »aller Amerikaner« sei.
Trotzdem entlud sich das Ressentiment gegen Obama, etwa in der dauernden Kontroverse über die Frage seines Geburtsorts und die Behauptung, er sei Muslim, besonders gern vorgebracht durch die Tea Party, deren Kandidaten bei den Midterm-Wahlen 2010 in den Kongress gewählt wurden und mit der neuen republikanischen Mehrheit versuchten, Obamas Politik zu blockieren. Das Paradox und der Preis der Präsidentschaft Obamas sei, dass dieser nicht mehr für die schwarze Community habe tun können, schreibt Fred­rick Harris, Professor für African-American Studies an der ­Columbia University in seinem Buch »The Price of the Ticket«.
Dass diese Community zunehmend heterogener wird, bestätigt William ­Julius Wilson, Soziologe an der Harvard-Universität. »Das Problem der Einkommensungleichheit besteht nicht zwischen dem weißen und dem schwarzen Amerika, sondern zwischen schwarzen Wohlhabenden und schwarzen Habenichtsen. Es ist eine Fehlannahnme, dass 42 Millionen Menschen alle auf die gleiche Art von Rassismus betroffen wären«, zitiert ihn die New York Times.
Wegen der Gefahr eines stärkeren Widerstandes habe Obama dennoch im Stillen Verbesserungen für die black community bewirkt, sagen Obama-Vertraute. Besonders Schwarze hätten von der Rettung der Autoindustrie 2009 und dem im selben Jahr aufgelegten Konjunkturpaket profitiert. Die Einführung von »Obamacare« 2010 habe ­dafür gesorgt, dass 2,4 Millionen Afroamerikaner nun zum ersten Mal krankenversichert seien.
Auch im Justizsystem – der Ort der größten Ungleichheit zwischen Schwarzen und Weißen – arbeitete Obama an politischen Projekten, weitgehend ohne dahinterstehende grundlegende Fragen zu thematisieren. Sein Justizminister Eric Holder reformierte die Bürgerrechtsabteilung des Justizministeriums, verkündete die Smart on Crime-Ini­tiative, die Staatsanwälte verpflichtet, bei geringen Vergehen keine Anklagepunkte vorzubringen, die hohe Mindeststrafen nach sich ziehen. 2010 wurde der »Fair Sentencing Act« verabschiedet, der die Ungleichheit bei der Verfolgung bei Vergehen von Kokain und Crack reduzierte. Außerdem beendete Obama die Bundesförderung für viele Maßnahmen, die seit den neunziger Jahren für die Entstehung der mass incarceration, der massenhaften Inhaftierung vor allem von Schwarzen und Latinos hauptsächlich für Drogenvergehen, gesorgt hatten. 34 Bundesstaaten verschärften die Wahlgesetze zum Nachteil ärmerer Minderheiten. Das Justizministerium intervenierte dagegen, ohne vom Präsidenten wortgewaltig unterstützt zu werden.
Das änderte sich erst vor zwei Jahren. »Trayvon Martin hätte ich sein können vor 35 Jahren«, sagte der Präsident in einer sehr persönlichen Rede nach dem Freispruch von George Zimmerman 2014 und gründete »Brothers Keepers«, eine öffentlich-private Initiative, in der Bundesbehörden und lokale Communities zusammenarbeiten, um die Zukunftsaussichten junger männlicher Afroamerikaner zu verbessern. Ein Jahr später wurde die Initiative unter Beteiligung von Großkonzernen, die Millionen Dollar zuschossen, aufgestockt. Voriges Jahr besuchte Obama als erster Präsident ein Gefängnis. Er hob die Strafen von 46 Insassen auf, die wegen Drogenvergehen einsaßen.
»Too litte, too late«, kritisieren schwarze Intellektuelle wie Harris, sie ärgern sich, dass Obama nicht mehr ­getan hat. Der musste nun nicht mehr um seine Wiederwahl fürchten und fühle sich gegen Ende seiner zweiten Präsidentschaft freier, über den Rassismus im Land zu reden, so lautet eine Erklärung. Der Präsident sei zum Handeln gezwungen worden, sagt Glaude: Durch ständige Bilder von Polizeigewalt, von Protesten dagegen.
Der Blick auf ökonomische Daten liefert ein scheinbar klares Bild von Stillstand und sogar vom Rückschritt. Die Arbeitslosigkeit unter Schwarzen stieg im Zuge der Finanzkrise auf 16 Prozent, um bis 2015 wieder auf acht Prozent zu fallen. Vor allem der Einbruch des Immobilienmarktes hat die schwarze Community – in der Vermögen vor allem in Immobilien investiert wird – hart getroffen. Obama hat auf wiederholte Warnungen über die Folgen des Zusammenbruchs des Immobilienmarkts für Afroamerikaner nicht reagiert. Zwischen 2005 und 2009 ging das Vermögen schwarzer Haushalte um 51 Prozent zurück.
Statt zu helfen, habe Obama »immer wieder« den bekannten Eindruck »schwarzer Pathologie« verstärkt, kri­tisiert Michael Dyson, Professor an der Georgetown University, in seinem Buch »The Black Presidency«. »Die Brüder müssen ihre Hosen mal hochziehen«, erklärte der Präsident 2010 der schwarzen Jugend im MTV-Interview. »Keiner interessiert sich dafür, wie hart eure Jugend war«, und: »Es gibt keinen Raum mehr für Entschuldigungen«, mit diesen Worten hätte kein Weißer den neuen Jahrgang des schon immer überwiegend von Schwarzen besuchten Morehouse College in Atlanta begrüßen können. Es war Ausdruck eines meritokratischen Idealismus der wachsenden schwarzen Mittelklasse und dessen, was Fredrick Harris black respectability politics nennt: der Glaube schwarzer Eliten und die Aufforderung an die schwarze Unterschicht dass, wer »doppelt so hart arbeitet« (Obama) sich selbst und die Gemeinschaft voranbringen kann. Sie ist keine Erfindung Obamas, sondern bereits jahrzentelang Teil schwarzer Politik.
Das Wissen über das weiße Ressentiment und die republikanische Blockadepolitik haben dafür gesorgt, dass die schwarze Community ihn trotz allem immer noch unterstützt. Die traditionelle Nähe der schwarzen Wählerinnen und Wähler zur Demokratischen Partei bleibt erhalten. Umfragen der Meinungsforscher von Gallup zeigen, dass Obamas Popularität bei Afroamerikanern ungebrochen ist. Nahezu 90 Prozent bewerten ihn positiv. Obama als Person bedeute viel für die schwarze Bevölkerung, sagt Randal Kennedy, er sei die Antithese zum Stereotyp des »gescheiterten schwarzen Mannes« und alleine deswegen ein Held des schwarzen Amerika, auch wenn er politisch enttäuscht habe.
Schwarze ließen sich zu leicht mit zu weng abspeisen, sagt dagegen Cornel West. Der vergleichsweise radikale und oft laut polternde Princeton-Professor war einer der ersten prominenten schwarzen Kritiker des Präsidenten. West sieht sich der Tradition des schwarzen Aktivismus verpflichtet, die für Jahrzehnte das politische Gewissen der USA war. Der »schwarze Republikaner« Obama habe sich an die Plutokratie Amerikas, seine Berater und Großspender von der Wall Street verkauft. Der Präsident habe »kein Rückgrat«, suche immer den Ausgleich und die Mitte, doch bei Rassismus und Polizeigewalt müsse man eine Seite wählen, zürnte West Mitte Juli. Umweltaktivisten und LGBT-Organisationen hätten Obama wie jeden anderen Präsidenten unter Druck gesetzt, die schwarze Community nicht, beklagt auch Harris.