Katalanische Parteien beharren auf Unabhängigkeit

Gefährdetes Vaterland

Ende Juli beschloss das katalanische Regionalparlament, den konstituierenden Prozess hin zu einem unabhängigen Staat fortzusetzen – ­obwohl ihm dies vom spanischen Verfassungsgericht untersagt worden war.

»CDC, ERC und CUP können erreichen, was Franco nie geschafft hat: Sie riskieren die Autonomie Kataloniens«, erregte sich Xavier García Albiol in einem Tweet. Der Sprecher der kleinen Fraktion der konservativen Volkspartei (PP) im katalanischen Parlament wurde daraufhin heftig dafür kritisiert, die nach staatlicher Unabhängigkeit von Spanien strebende Mehrheit der Abgeordneten jener katalanischen Parteien in einem Atemzug mit dem Diktator Francisco Franco genannt zu haben. Albiol musste zugeben, dass es unter Franco gar keine Autonomie gegeben hat. In einem weiteren Tweet legte der Konservative aber nach: »In Katalonien erleben wir eine Krise der Institutionen, die uns fast in die Zeiten des Franquismus versetzt. Es sind die Separatisten, die die Selbstverwaltung gefährden.« In seinen Tweets offenbarte er nicht nur eine verharmlosende Sicht auf die Franco-Diktatur, unter der selbst der private Gebrauch der katalanischen Sprache als Verstoß gegen die Einheit Spaniens verfolgt wurde, sondern verwies auf die mögliche Auflösung des katalanischen Regionalparlaments durch das spanische Verfassungsgericht.
Seit die Bankenkrise von 2008 sich in Spanien zu einer bis heute anhaltenden tiefgehenden Wirtschaftskrise ausgeweitet hat, deren Folgen durch die harte Austeritätspolitik der spanischen Zentralregierungen seit 2010 noch verschärft wurden, wächst in der Bevölkerung Kataloniens die Zustimmung zu einem Bruch mit Spanien. Bei den im Auftrag der Regionalregierung seit Februar 2015 regelmäßig vorgenommenen Meinungsumfragen in Katalonien ergab sich nach dem Wahlsieg der Konservativen bei den gesamtspanischen Wahlen Ende Juni das erste Mal eine Mehrheit von 47,7 Prozent für die Unabhängigkeit – 42,4 Prozent sind demnach dagegen.
In Katalonien regiert seit Januar das Parteienbündnis Junts pel sí (JxS, »­Gemeinsam für das Ja«). Es wurde für die katalanischen Regionalwahlen vom 27. September 2015 gegründet, um die Abstimmung zu einem Plebiszit über die Unabhängigkeit zu machen. Das spanische Verfassungsgericht hatte dies eigentlich verboten und sieht Sanktionsmöglichkeiten wie Geld- oder Gefängnisstrafen gegen zuwiderhandelnde Abgeordnete oder Regierende vor. In JxS zusammengeschlossen hatten sich die rechtsliberale Partei Convergència Democràtica de Catalunya (CDC) und die linksnationalistische Esquerra Republicana (ERC). Sie verfehlten die absolute Mehrheit der Mandate knapp und verbündeten sich deshalb mit der Candidatura d’Unitat Popular (CUP), die ein eher undogmatisches, bewegungsnahes linkes Programm hat, sich aber auch radikal für die katalanische Unabhängigkeit einsetzt.
So stimmten gemäß ihren Wahlversprechen 72 Abgeordnete des Regierungsbündnisses aus JxS und CUP am Mittwoch vergangener Woche für die »einseitige Abspaltung« Kataloniens. Die elf Abgeordneten der Partei Podemos stimmten dagegen, weil sie für ein föderales, neustrukturiertes Spanien eintreten. Die Abgeordneten des PP und der rechtsliberalen Partei Ciudadanos, die einen spanischen Nationalismus vertreten, verließen aus Protest den Saal. Die Abgeordneten des regionalen Verbandes der sozialdemokratischen Partei PSOE blieben auf ihren Plätzen, weigerten sich jedoch abzustimmen. Das katalanische Parlament hat 135 Abgeordnete, eine klare Mehrheit stimmte also für die »einseitige Los­lösung«. Die Resolution basierte auf ­einem Bericht der »Kommission für einen konstituierenden Prozess«, die die Unabhängigkeit vorbereiten soll. Der bekannte Liedermacher Lluis Llach, ein Abgeordneter von JxS, stellte den Bericht feierlich vor und sprach sich für den Aufbau eigenständiger staatlicher Institutionen aus, die die spanischen ersetzen sollen. Entsprechend wurde die Schaffung mehrerer Institutionen beschlossen, deren Kernstück ist eine katalanische Steuerbehörde.
Soraya Sáenz de Santamaría, die stellvertretende Ministerpräsidentin der spanischen PP-Regierung, kritisierte noch am selben Tag den »sehr schwerwiegenden Schritt« des katala­nischen Regionalparlaments, gegen die »Verletzung des Rechtes der Spanier« auf »Einheit ihres Vaterlandes« werde mit »ausreichenden juristischen Mitteln« vorgegangen. Die Staatsanwaltschaft sei angewiesen worden, beim Verfassungsgericht sofort Klage gegen die Verantwortlichen zu erheben. Am Montag verkündete das Verfassungsgericht nach einer ungewöhnlich kurzen Beratung von 90 Minuten, es habe die Klage angenommen. Die katalanische Parlamentspräsidentin Carme Forcadell und weitere Verantwortliche hätten nun 20 Tage Zeit, ihre Position zu den Klagepunkten darzulegen.
Der Ministerpräsident der Region Katalonien, Carles Puigdemont, erwiderte am Montag, von der Klage beim spanischen Verfassungsgericht unbeeindruckt: »Wir gehorchen dem Parlament, erfüllen unser Versprechen gegenüber den Bürgern und bauen einen freien Staat auf, modern und prosperierend.«