Efraim Inbar im Gespräch über die Sicherheitslage in Israel

»Israel ist als Bündnispartner nicht sehr gefragt«

Efraim Inbar ist seit 1992 Direktor des Begin-Sadat Center for Strategic Studies an der israelischen Bar-Ilan-Universität in Ramat Gan. Er lehrt dort als Professor für Politikwissenschaft unter anderem zum arabisch-israelischen Konflikt, zu Entwicklungen im Nahen Osten und zu Sicherheitsfragen in der Region.

Der Krieg mit der libanesischen Hizbollah vor genau zehn Jahren galt vielen Israelis wegen vieler strategischer Fehler als ein Desaster. Heute besitzt die Hizbollah fünfmal so viele Raketen wie vor dem Krieg. Ihr Resümee?
Der Krieg war militärisch kein Erfolg, da keines der taktischen Ziele erreicht werden konnten. Das israelische Militär war einfach nicht vorbereitet. Der Südlibanon konnte nicht erobert werden; somit wurden auch nicht die Raketen zerstört, auf die man es eigentlich abgesehen hatte. Derzeit ist die Hizbollah tatsächlich besser ausgerüstet als damals, mit vielen Mittel- und Langstreckenraketen, die auch Tel Aviv treffen könnten.
Andererseits war die Nordgrenze seit der Staatsgründung noch nie so viele Jahre so ruhig.
In Sachen Abschreckung hat der Krieg sicherlich geholfen. Wenn selbst der Hizbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah rückblickend sagt, hätte er die israelische Reaktion geahnt, wäre der israelische Militärkonvoi nicht angegriffen worden – was zur weiteren Eskalation führte –, dann kann man sagen, es hat Eindruck hinterlassen. Für die Ruhe an der libanesischen Grenze gibt es aber mehrere Gründe. Denn so aktiv wie die Hizbollah gerade auf Seiten des syrischen Regimes ist, könnte sie eine zweite Front gar nicht eröffnen. Der Syrien-Krieg hält viele Akteure beschäftigt, deren Aggressionen sich sonst gegen Israel richten würden.
Daher hört man von einigen israelischen Sicherheitsstrategen, ein instabiles Syrien sei einem Syrien vorzuziehen, in dem der Iran Macht und Einfluss hat. Unter welchen Umständen würde Israel hier aktiv eingreifen?
Manchmal ist es besser, zuzusehen und abzuwarten. Israel hat mit diesem Krieg nichts zu tun und auf beiden Seiten kämpfen Kräfte, die Israel aus tiefstem Herzen hassen. Die demokra­tische Alternative dort ist sehr schwach und jedes Eingreifen Israels würde der Seite, auf die Israel sich stellt, automatisch die Legitimation entziehen. Israel ist als Bündnispartner nicht sehr gefragt. Wenn wir eingreifen, dann aus Eigeninteresse, zum Beispiel, um Waffentransporte zu unterbinden. Man muss aber auch sehen, was Israel an passiver Hilfe an der Grenze leistet. Verletzte werden dort versorgt oder in israelische Krankenhäuser gebracht.
Der israelische Fokus auf den Iran als größte Sicherheitsbedrohung hat sich nicht verschoben. Auch wenn es zu dem von den USA ausgehandelten Atomabkommen unterschiedliche Meinungen gibt, bleiben der Iran und mit ihm die Hizbollah die größte Bedrohung für die Existenz Israels. Eine Schwächung der Achse Beirut-Damaskus-Teheran wird in Israel daher als positiv betrachtet.
Auch im Süden, an der Grenze zum von der Hamas kontrollierten Gaza-Streifen, scheint die Abschreckung noch zu greifen. Wie lange wird es bis zur nächsten Auseinandersetzung dort dauern?
Die Hamas hat im Krieg 2014 einen schweren Schlag erlitten, sie hat sehr viele Kämpfer verloren und sieht sich derzeit auch damit konfrontiert, dass sie eine ihrer letzten Überraschungswaffen zu verlieren scheint, nämlich die Tunnel, durch die ihre Kämpfer nach Israel gelangen konnten. Diese Gefahr wird oft überschätzt. Israel findet Mittel und Wege, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Doch von Ruhe kann man an der Grenze zu Gaza nicht sprechen. Anfang Juli landete eine Rakete in einem leeren Kindergarten der Grenzstadt Sderot. Ein Funke genügt, um erneut zur Eskalation zu führen.
Hätte es geholfen, die Hamas 2014 ganz zu zerstören, wie es von einigen israelischen Politikern gefordert wurde?
Es ist ein Irrglaube, dass die Hamas mittelfristig gänzlich zerstört werden kann. Für Europa, wo es in den Diskussionen meist um vollständige politische Lösungen geht, mag es unverständlich sein, aber Israel muss realistisch bleiben, was den Umgang mit der Hamas angeht. Politische Lösungen sind mit der Gruppe nicht zu erreichen. Die israelische Militärstrategie in Bezug auf diesen in der Bevölkerung verwurzelten, unversöhnlichen nicht-staatlichen Akteur wird als »Rasenmähen« bezeichnet: Um die militärischen Kapazitäten der Hamas kleinzuhalten, braucht es regelmäßig Auseinandersetzungen mit überschaubaren Zielen. Auf lange Sicht muss die Hamas so lange geschwächt werden, bis sie einsieht, dass sie mit ihren Mitteln nichts erreichen kann. Nur aus einer solchen Po­sition der Schwäche kann sich eine Veränderung der Situation ergeben. Zeit zu gewinnen, ist dabei ein legitimes militärisches Ziel.
Die »Arabische Friedensinitiative« von 2002 steht derzeit im Mittelpunkt der Diskussion um den israelisch-­palästinensischen Friedensprozess. Gerade war ein ranghoher saudischer Sicherheitsberater in Jerusalem – ein eher ungewöhnlicher Besuch. Hat diese Initiative nach all den Jahren Aussicht auf Erfolg?
Die israelische Regierung war immer dafür, den Konflikt innerhalb einer ­regionalen Allianz zu diskutieren. Das ist auch meiner Ansicht nach der erfolgversprechendere Weg. In Europa denkt man immer: Israel muss erst Frieden mit den Palästinensern machen, dann wird es auch der ganzen Region besser gehen. Dabei ist es umgekehrt. Mit Sameh Shoukry hat nach knapp zehn Jahren wieder ein ägyptischer Außenminister Jerusalem besucht. Solche Kooperationen können den Prozess weit eher voranbringen als zum Beispiel die internationalen Friedensbemühungen, die ­gerade in Paris stattfinden.
Es scheint weder von israelischer noch palästinensischer Seite Eile zu geben, den Konflikt zu lösen.
Der israelischen Regierung geht es derzeit darum, diesen Konflikt geduldig zu managen. Man sieht in der derzeitigen palästinensischen Verfasstheit keinen wahren Partner, der zur Gründung eines eigenen Staates fähig wäre, geschweige denn zu einem friedlichen Zusammenleben.
Zudem sind die palästinensischen Autonomiebehörden in einer Krise, was die Nachfolge von Präsident Mahmud Abbas angeht. Es gibt Ansichten, dass die Autonomiebehörde nach einem Abtreten Abbas’ zusammenbrechen könnte. Die Hamas steht bereit, dieses Machtvakuum zu füllen.
Israel spricht zwar von einer Zwei-Staaten-Lösung, doch ist diese in Wahrheit in sehr weiter Ferne. Nicht zuletzt die Frage der Kontrolle des Tempelbergs sowie die der Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge nach Israel sind unüberbrückbare Hindernisse. Auch das derzeitige Erziehungssystem der Autonomiebehörde verspricht keinen Wandel der palästinensischen Gesellschaft, sondern dient dazu, den Konflikt mit den Juden weiter anzuheizen.
Lange herrschte nach den Vorfällen um die antiisraelische Flottille Mavi Marmara im Jahr 2010 Funkstille zwischen Israel und der Türkei. Die Beziehungen wurden kürzlich wieder aufgenommen. Nun gab es den gescheiterten Militärputsch und Präsident Recep Tayyip Erdoğan baut einen autoritären Staat mit verstärkten is­lamischen Komponenten auf. Wären nicht die Kurden für Israel ein besserer Partner?
Israel kann sich seine Freunde nicht aussuchen. Wir unterstützen die Kurden auf verschiedene Weise und es gilt, ihnen viel Glück zu wünschen auf ihrem Weg zum eigenen Staat. Dieser ist derzeit allerdings noch sehr schwach ausgeprägt, auch aufgrund vieler interner Uneinigkeiten. Die Türkei hingegen ist trotz der derzeitigen Ereignissen ein enorm wichtiger Staat, nicht nur als wirtschaftlicher Partner, sondern auch als politischer Vermittler.
In den vergangenen Wochen kam es in Jordanien zu den zwei größten Anschlägen der vergangenen zehn Jahre durch den »Islamischen Staat«. Wie gefährdet ist Jordanien als stabiler Bündnispartner in der Region?
22 Jahre nach Unterzeichnung des Friedensvertrags ist Jordanien ein extrem wichtiger Partner Israels. Für die Größe des Landes ist es beeindruckend, wie viele Flüchtlinge dort aufgenommen wurden. Die Spannungen an der Grenze zu Syrien sind nach den Anschlägen enorm. Jordanien hat aber ein solides politisches System und die Sicherheitskräfte gehen rigoros gegen jeden vor, der mit dem Jihad sympathisiert, auch auf den Social-Media-Kanälen.
Die Stimmung in Europa ist derzeit gezeichnet von der Angst vor islamis­tischen Anschlägen. In Israel gehören diese schon lange zum Alltag. Was kann Europa von Israel im Umgang mit islamistisch motivierten Terror­attacken lernen?
Zuerst muss man herausfinden, woher die Gefahr kommt, und sich dann eine Vorstellung davon machen, was die Terroristen erreichen wollen. Europa wird dieses Problem nicht auf einmal lösen können. In Israel unterscheiden wir zwei Bereiche, die aus einem potentiellen Terroristen einen tatsächlichen Terroristen machen. Es braucht erstens eine hohe Motivation und zweitens die Fähigkeit, die Tat selbst auszuführen. Auf die Motivation haben wir nur bedingt einen Einfluss. Was wir aber beeinflussen können, sind die Strukturen und Ressourcen, die notwendig sind. Dafür ist Geheimdienstarbeit essentiell, die verschiedene Informationen wie ein Puzzle zusammensetzt. Es geht darum, aus so vielen Informationskanälen wie möglich Vorhersagen über mögliche Attentate zu treffen. Ein Netzwerk an Kontakten in anfälligen Kreisen kann helfen, Terrorzellen auszuheben, bevor diese losschlagen können. Kommt es dann dennoch zu einem Anschlag, sind Israelis sehr wachsam und mental besser vorbereitet als die Europäer, die erst lernen müssen, was es heißt, sich aktiv zur Wehr zu setzen, wenn sie bedroht werden. Viele Angriffe in Israel werden durch den Eingriff von Zivilisten beendet.