Der Neun-Punkte-Plan der Bundesregierung wendet sich gegen Flüchtlinge

Rassistische Reflexe

Mit den Maßnahmen aus Angela Merkels Neun-Punkte-Plan und anderen Vorschlägen, die nach den Gewalttaten von Würzburg, München und Ansbach gemacht wurden, wird vor allem Panik geschürt.

Innerhalb weniger Tage Ende Juli ereignete sich in Bayern eine Serie von Gewalttaten. Zwei davon – der Axtangriff in einem Zug bei Würzburg und der Selbstmordanschlag in Ansbach – wurden von als Flüchtlingen registrierten Tätern mit kruden islamistischen Motiven begangen, beim dritten Täter, der neun Menschen in einem Münchener Einkaufszentrum ermordete, handelte es sich um einen 18jährigen Deutschen, der sich auch, weil er aus einer iranischen Familie stammt, als »Arier« sah, stolz darauf war, am gleichen Tag Geburtstag zu haben wie Hitler, den norwegischen Rechtsterroristen Anders Breivik verehrte und seine Opfer offenbar gezielt unter Jugendlichen mit sogenanntem Migrationshintergrund suchte.
Allen drei Fällen ist gemeinsam, dass sie sich nicht feinsäuberlich als politisch motiviert oder Taten psychisch labiler Einzeltäter einordnen lassen, sondern Merkmale von beidem tragen. So etwas ist verwirrend, gerade für eine Öffentlichkeit, die die Welt gerne für einfach und übersichtlich hält. Es überrascht also nicht, dass viele Politiker und Journalisten sowie nicht zuletzt deren Publikum lieber zu den vertrauten Schubladen greifen: Im Münchner Fall wird weiterhin von einem Amoklauf statt von Rechtsterrorismus gesprochen, die beiden anderen Taten firmieren als islamistischer Terror. Dieser Sprachregelung schloss sich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in ihrer vorgezogenen Sommerpressekonferenz an, auf der sie die Morde von München kurz am Rande streifte – nicht einmal ein paar mitfühlende Worte an die Angehörigen hatte sie in dieser Sache übrig –, um sich dann ausschließlich den Taten der beiden Zugewanderten zu widmen.
Auch der Neun-Punkte-Katalog, den die Kanzlerin vorstellte, trägt entsprechend reflexhafte Züge. Teils richten sich die angekündigten Maßnahmen direkt gegen Geflüchtete, so die Drohung mit ­erleichterten Abschiebungen, die Einrichtung eines nationalen Ein- und Ausreiseregisters sowie – was immer man sich darunter vorstellen soll – ein »Frühwarnsystem« für die »Radikalisierung« bei Flüchtlingen. Der Rest liest sich wie der Wunschzettel des autoritären Charakters mit Staats- und Uniformfetisch: mehr Polizei, mehr Internetüberwachung, mehr Geheimdienstarbeit und schließlich der Einsatz der Bundeswehr Im Inneren.
Was all das gegen Täter wie die aus Ansbach, Würzburg und München ausrichten soll, denen die Maßnahmen angeblich gelten, ist nicht ersichtlich. Wozu diese sich hingegen vorzüglich eignen, ist, genau die Panik zu schüren, in die doch allen Appellen zufolge jetzt niemand verfallen solle. Dass Merkels Ausführungen dennoch allenthalben als »besonnen« gelobt werden, mag daran liegen, dass andere Reaktionen noch planloser und drastischer aus­fallen: Da durchkämmen Streifenbeamte Flohmärkte nach Ballerspielen, Besucher von Großveranstaltungen wie beispielsweise dem Wacken-Open-Air dürfen sich überlegen, wie sie ohne Rucksäcke klarkommen, und bei Torsten Krauel brannten die Sicherungen komplett durch. Der Welt-Kommentator entblödete sich nicht, die Würzburger Attacke als »etwas, das wir zuletzt im Zweiten Weltkrieg erlebt haben«, zu bezeichnen.
Erstaunlich wenig wird hingegen über die neuesten Hetztiraden (»Asylrecht für Muslime umgehend aussetzen«, Alexander Gauland) aus der AfD geredet, aber wohl leider eher nicht, weil Journalisten neuerdings selbstkritischer im Umgang mit der Rechtsaußenpartei wären oder sich zumindest das Interesse an deren erwartbaren Absonderungen erschöpft hätte, sondern weil ihr andere die Arbeit abnehmen. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) erklärte, Abschiebungen in Krisengebiete dürften »kein Tabu sein«, medizinische Gutachten sind ihm ohnehin egal, und auch sein Parteivorsitzender, Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer, ließ es sich nicht nehmen, einmal mehr gegen Merkels Flüchtlingspolitik zu stänkern. Schneller allerdings war Sahra Wagenknecht: »Die Ereignisse der letzten Tage zeigen, dass die Aufnahme und Integration einer großen Zahl von Flüchtlingen und Zuwanderern mit erheblichen Problemen verbunden und schwieriger ist, als Merkels leichtfertiges ›Wir schaffen das‹ uns im letzten Herbst einreden wollte«, schrieb die Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Bundestag, was unter anderem dazu führte, dass sich Beatrix von Storch (AfD) und Philipp Lengsfeld vom Haselnuss-Flügel der CDU auf Twitter darum stritten, zu wessen Partei Wagenknecht nun besser passe. Was diese nach Kritik aus den ­eigenen Reihen indirekt beantwortete: Ihre Stellungnahme habe zu »Missverständnissen« geführt, erklärte sie auf Facebook, sie habe ­lediglich auf mangelnde Integrationsbemühungen der Regierung hinweisen wollen. In der ursprünglichen Pressemitteilung sucht man diesen Hinweis vergeblich, immerhin verzichtete Wagenknecht aber auf die Behauptung, der sei durch einen Ausrutscher mit der Maus gelöscht worden.
Mit der vielbeschworenen Besonnenheit ist es dieser Tage also nicht weit her. Was hingegen rassistische Reflexe und die routinemäßige Aufrüstung im Inneren angeht, herrscht in Deutschland business as usual.