Der Charme des Monströsen

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Einige Popgrößen haben in diesem Jahr das Zeitliche gesegnet: Geniale Neuerfinder wie David Bowie waren darunter oder auch nur scheinbare Neuerer wie Prince, in den der Popjournalismus von jeher mehr hineininterpretierte, als tatsächlich drinsteckte. Fast unbeachtet dagegen ist da der Selbstmord von Keith Emerson im März geblieben, obwohl gerade er mit Sicherheit für sich beanspruchen konnte, der Rockmusik einst eine neue Richtung gegeben zu haben, wenn auch eine ziemlich umstrittene.
Emerson tourte mit seiner Band The Nice 1967 als einer der ersten mit einem neuartigen Instrument, dem Moog-Synthesizer, und scheute sich nicht, Dauerbrenner des sonntäglichen Klassikradios, wie Bachs »Brandenburgisches Konzert Nr. 3«, in länglich lärmende, fauchende und quietschende Ungetüme zu verwandeln. Ein Rezept, das er mit seiner Band Emerson, Lake & Palmer (ELP) perfektionierte, sprich bis ins absolut Megalomanische trieb – wofür die Band bis 1977 gefeiert wurde, um danach umso gründlicherer Verachtung anheimzufallen.
Die wiederum war so maßlos, wie ELP zu ihrer Hochzeit selber agierten. Und so gibt es einiges sehr Hörenswertes auf den großen Alben der Band wie »Tarkus« (1971) zu entdecken, die auf eigentümliche Weise zwischen charmant und monströs oszillieren.
Sich diesem Hörwagnis wieder auszusetzen, den Kontrast zwischen den nahezu atonalen Moog- und Hammondattacken Emersons, der melancholischen Stimme Lakes und dem vom Free Jazz beeinflussten Schlagzeugspiel Palmers zugleich zu erleiden wie zu genießen – das ermöglicht das soeben erschienene, liebevoll gestaltete und kommentierte Boxset »The Anthology (1970–1998)«. Eine dringende Empfehlung für alle, denen wohlkalkulierte und zielgruppengerechte Popmusik zu langweilig ist, auch wenn oder gerade weil die Qualität der hier versammelten 39 Stücke mächtig schwankt.
Emerson, Lake & Palmer: The Anthology (1970–1998). (BMG/Warner)